Sie nannten ihn Mappan
Unser Kolumnist Mikael Krogerus bekam in seinem Leben schon viele Spitznamen – am liebsten ist ihm aber der, den ihm seine Kinder gaben.
Mein Spitzname in der Schule war Kokosnuss, heute heisse ich Mappan – eine kurze Autobiografie in Namen. In der Schule konnte keiner meiner deutschen Mitschüler das weiche skandinavische «K» in meinem Vornamen Mikael aussprechen. Was dazu führte, dass sie meinen Namen zum deutscheren Mika verkürzten und durch hanseaisch-dialektale Lautverschiebung zu Mikker pervertierten; dann setzte sich zeitweise Snickers durch, das später, als wir anfingen, die Nachnamen als Spielfeld für Diskriminierungen zu entdeckten, von Kokosnuss verdrängt wurde, als Anspielung auf meinen Familiennamen Krogerus. Meine Lehrer blieben bei Mikael. Sie sprachen es sehr deutsch aus. Mi-k-k-k-a-el. Es klang wie eine Salve aus einer Maschinenpistole.
Während meines Studiums in Dänemark nannte man mich Finnland, weil ich der einzige Finne war. Als ich in die Schweiz kam, versuchte ich, einem unbestimmten Assimilationstrieb folgend, mich neu als Mik zu erfinden, mit Rachen-K ausgesprochen. Es dauerte lange, vor allem mein Chef blieb beharrlich bei Mikael. Und wenn er doch Mik sagte, betonte er es, als ob er von einem Blatt Papier ablesen würde, auf dem der Name in Anführungszeichen geschrieben worden war.
Meine Eltern nennen mich Mikko, was die finnische Diminutiv-Form von Mikael ist, ein befreundeter Journalist sagt konsequent Krogi, manchmal auch Mitch. Letzteres gefällt mir, es klingt nach gebräunter Schultermuskulatur und zusammengekniffenen, auf die Weite des Meeres gerichteten Augen.
Mappan setzt sich aus ‚Mama‘ und ‚Papa‘ zusammen.
Seit der Geburt meiner Kinder aber heisse ich Mappan. Meine Tochter erfand den Namen, als sie zwei war. Sie spricht ihn schwedisch aus, mit Betonung auf dem Doppel-P. Aber wie kam sie drauf? Das Kunstwort setzt sich zweifelsfrei zusammen aus Mama und Papa. Sah sie in mir ein Mischwesen, einen Zentauren – halb Vater, halb Mutter? Einen postbinären Hybriden jenseits klassischer Geschlechterzuschreibungen?
War meiner Tochter früher als anderen klar, dass Kategorien wie Mann und Frau, Mutter und Vater, weiblich und männlich Derivate einer zu Ende gehenden Epoche sind und dass wir neue Worte brauchen, um neue Wirklichkeiten herzustellen?
Wie dem auch sei, wusste meine Tochter offensichtlich, was ich nur dumpf ahnte: dass ich kein Assistent meiner Frau sein würde, hilflos ohne die Anweisungen der Partnerin, sondern umgekehrt, dass ich es sein würde, der weiss, wo das Impfbüchlein liegt, der an die Packliste fürs Skilager denkt, der innerhalb von drei Jahren um zehn Jahre altert.
Nicht, dass meine Frau sich wie ein Mann aus den 1950ern verhielte, der sich an den gedeckten Tisch setzt, den Kindern über den Kopf streicht und uns die Welt erklärt. Im Gegenteil. Es ist eher so, dass unsere Kinder zwei Mütter haben. Genauer: zwei Mappans.
Zwei Mischwesen, die ihre Kinder lieben wie Löwinnen ihre Jungen, sich aber halt nicht ausschliesslich über sie definieren. Die aus schlechtem Gewissen nachts wach liegen, umgekehrt aber halt immer auch noch etwas anderes vom Leben wollen. Kürzlich fand ich einen Zettel auf der Tastatur meines Laptops, meine Tochter hatte ihn dort hinterlegt: «Du bist der beste Mappan, den es gibt.»