«Wir sollten Kindern etwas zutrauen»
Pflegefachfrau Gwendolyn Nicholas und Koch Nico Lopez Lorio liessen die beiden Söhne schon mit acht allein im ÖV durch die Stadt fahren. Heute ist auch die fünfjährige Tochter oft dabei.
«Auf sich selbst und andere schauen, Abmachungen und Pflichten einhalten: All dies bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Unsere Kinder hatten früh ihre Aufgaben. Angefangen damit, die Tasche selbständig zu packen, wenn Sport ansteht.
Natürlich geht mal etwas vergessen, oder es braucht einen Hinweis. Damit halte ich mich aber zurück. Je älter die Kinder werden, desto mehr traue ich ihnen zu. Gabriel wollte vor zwei Jahren nicht mehr in die Nachmittagsbetreuung, sondern die zwei Stunden nach Schulschluss künftig allein zu Hause verbringen.
Ich glaube, mit einem Handy wähnt man Kinder in falscher Sicherheit.
Ich sagte: ‹In Ordnung, wenn du mir zeigst, dass es funktioniert.› Das tut es: Jetzt ist er dienstags von16 bis 18 Uhr allein, vor 17 Uhr klingelt der Wecker. Dann holt er Valentina vom Hort ab. Letzthin rief Gabriel meinen Mann an, um zu fragen, ob er und Valentina fernsehen dürften. Er hätte einfach den TV einschalten können, tat es aber nicht.
Verantwortung hat viel mit Selbständigkeit zu tun. Ich will die Kinder nicht quer durch die Stadt chauffieren. So musste sich Damian damals im Quartier ein Hobby suchen. Ich war mit ihm viel im ÖV unterwegs. Er war sehr aufmerksam, merkte sich Routen. Damian war acht, als er im Tram allein in die Innenstadt zum Spanischkurs fuhr – mit Umsteigen.
Auch Gabriel ist selbständig unterwegs. Einmal nahm er das Tram in die falsche Richtung. Die Kinder haben meine Nummer im Portemonnaie, und wir haben vereinbart, dass sie in so einem Fall den Tramchauffeur oder in einem Laden um Hilfe bitten. Das hat Gabriel getan. Er hat kein Handy. Ich glaube, damit wähnt man sich in falscher Sicherheit. Das Handy lenkt Kinder ab, wenn sie bei der Sache sein müssten. Wir sollten Kindern etwas zutrauen.
Wenn mir eines der Kinder sagt ‹Ich kann das jetzt allein›, versuche ich loszulassen.
Eine Pflicht, bei der es mitunter harzt, sind Hausaufgaben. Ich biete ein Zeitfenster an, in dem ich bei Bedarf Unterstützung gebe. Es passiert, dass Damian erst eine Stunde später einfällt, dass ich ihn Vokabeln abfragen sollte. Da bin ich mittlerweile konsequent – und lehne ab. Das durchzuziehen, war eine Herausforderung.
Wenn mir eines der Kinder sagt ‹Ich kann das jetzt allein›, versuche ich loszulassen. Natürlich gibt es Grenzen: Damian kennt Gleichaltrige, deren Eltern nicht wissen, wo sie abends sind – für mich ein No-Go.»