Gene entscheiden über den Schulerfolg – aber anders, als wir denken

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Durch die Erziehung und das Verhalten der Eltern nehmen die Gene auch dann Einfluss auf die Entwicklung, wenn die Kinder sie nicht geerbt haben.
Wenn ich viel mit ihr spreche, wenn ich ihr regelmässig vorlese, wenn ich mit ihr Museen und Büchereien besuche – so lautet der Rat –, erhöhe ich ihre Chancen, erfolgreich durchs Leben zu gehen. Hinter diesen Empfehlungen steckt der verbreitete Glaube, dass Eltern durch ihr Verhalten die Entwicklung ihrer Kinder beeinflussen.
Eltern vererben ihren Kindern einen Teil ihrer Gene. Diese haben einen Einfluss darauf, wie Kinder sich entwickeln.
Die Bedeutung der Gene wurde erstmals durch Adoptiv- und Zwillingsstudien bekannt, in denen zum Beispiel gezeigt wurde, dass getrennt adoptierte eineiige Zwillinge trotz ihrer unterschiedlichen familiären Umfelder beachtliche Gemeinsamkeiten in ihrem Verhalten aufwiesen. Seit einigen Jahren ist es ausser dem möglich, Varianten im Erbgut direkt zu messen und ihre Rolle für menschliches Verhalten zu unter suchen.
Wie spielen Gene und Umfeld zusammen?
Die vorherrschende Sichtweise auf die Rolle der Gene für die Entwicklung ist einseitig: Oft wird vemutet, dass Gene ihren Einfluss ausüben, indem sie nur die Biologie und das Verhalten desjenigen Menschen beeinflussen, der die Gene geerbt hat. Ein Beispiel dafür wäre, dass die Gene meiner Tochter die Entwicklung ihres Gehirns beeinflussen und dies Konsequenzen für ihr Verhalten hätte.
Anlage und Umwelt sind eng miteinander verwoben
Um mehr über dieses Zusammenspiel von Genen und Verhalten der Eltern zu erfahren, habe ich kürzlich mit meinen Kollegen eine Gruppe von 860 britischen Müttern und Kindern untersucht. Unser Team besuchte diese Familien regelmässig, beginnend im fünften Lebensjahr der Kinder bis hinein ins frühe Erwachsenenalter. Während der Kindheit wurden umfassende Daten über das Verhalten der Mütter gegenüber ihren Kindern gesammelt, etwa darüber, ob die Mütter ihre Kinder geistig förderten, zum Beispiel durch das Vorlesen von Büchern, und ob sie sich ihren Kindern gegenüber sensibel und liebevoll verhielten, beispielsweise durch in den Arm nehmen. Als die Kinder das 18. Lebensjahr erreicht hatten, sammelten wir Informationen über ihren bisherigen Schulerfolg.
Mütter, die genetisch eine höhere Veranlagung für Bildungserfolg trugen, förderten auch ihre Kinder in
einem grösseren Ausmass.
Die Ergebnisse unserer Analysen zeigen eine enge Verzahnung von Erziehung und Genen, die gemeinsam den Schulerfolg von Kindern beeinflussen. Die Mütter, die genetisch eine höhere Veranlagung für Bildungserfolg trugen, zeigten auch in ihrem Verhalten geringe, aber messbare Tendenzen, den Schulerfolg ihrer Kinder zu begünstigen. Dies zeigte sich besonders darin, dass sie ihre Kinder in grösserem Ausmass geistig förderten. Dies hatte Folgen für den späteren Schulerfolg: Die Kinder dieser Mütter besuchten die Schule länger und hatten etwas bessere Noten. Bemerkenswert daran war, dass der Einfluss der mütterlichen Gene auf den Schulerfolg der Kinder unabhängig davon erfolgte, ob Kinder diese Gene von ihren Müttern auch geerbt hatten.
Anders ausgedrückt: Kinder von Müttern, deren Gene den Bildungserfolg begünstigten, hatten einen Vorteil, der über das Erben dieser Gene hinausging, weil sie zusätzlich in einem förderintensiveren Familienumfeld aufwuchsen.
Welche Erkenntnisse bringt diese Studie?
Ein Fazit unserer Studie ist daher, dass es wichtig ist, solche Angebote allen Familien leicht zugänglich zu machen, um Chancengleichheit für jedes Kind sicherzustellen, unabhängig vom genetischen Hintergrund.
Eine weitere Schlussfolgerung unserer Studie ist, dass Anlage und Umwelt sehr viel enger miteinander verwoben sind, als oft angenommen wird. Um die Entwicklung von Kindern besser zu verstehen, ist es daher wichtig, beide Faktoren gemeinsam zu untersuchen.
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