Heute weiss man: Kinder leiden nicht unter der Trennung an sich, häufig aber unter ihren Folgen. Die Scheidungsfolgenforschung hat die Zusammenhänge gut untersucht: Als direkte Folgen einer Trennung gelten Konflikte zwischen den Eltern, der Verlust eines Elternteils, die psychische Verfassung des erziehenden Elternteils und ein allfälliger «ökonomischer Abstieg». Als indirekte Folgen, welche Kinder im negativen Sinne prägen können, gelten ein Umzug, der Verlust von anderen Beziehungen und die Gründung einer Zweitfamilie.
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Scheidungskinder: Wie geht eine Trennung im Guten?

Text: Andres Eberhard
Bilder: Thomas Schweigert / 13 Photo
Das Wichtigste zum Thema:
Kinder leiden nicht unter der Trennung an sich, häufig aber unter ihren Folgen. Die Scheidungsfolgenforschung hat die Zusammenhänge gut untersucht: Als direkte Folgen einer Trennung gelten Konflikte zwischen den Eltern, der Verlust eines Elternteils, die psychische Verfassung des erziehenden Elternteils und ein allfälliger «ökonomischer Abstieg». Als indirekte Folgen, welche Kinder im negativen Sinne prägen können, gelten ein Umzug, der Verlust von anderen Beziehungen und die Gründung einer Zweitfamilie. Die gute Nachricht lautet: Fast alle der erwähnten negativen Folgen einer Trennung können durch das Verhalten der Eltern positiv gesteuert werden. Der Ratschlag, der von Experten am häufigsten zu hören ist, lautet deshalb: Trennen Sie die Rolle als Partner oder Partnerin von Ihrer Rolle als Mutter oder Vater, dann kommt es gut.
Doch, das ist einfacher gesagt, als getan. Die Realität sieht oft anders aus. Viele Mütter und Väter, die sich in einer Trennung befinden, umtreiben Fragen wie:
- Wie umgehen mit der Wut auf den Partner oder auf die Partnerin?
- Welche Wohnform (Nestmodell, Wochenende-Papa, Wochenende-Mama etc.) ist am besten für das Kind?
- Wie stark trifft eine Trennung der Eltern die Psyche eines Kindes?
- Wie funktioniert man mit dem Ex oder mit der Ex als Elternpaar weiterhin?
- Was tun, wenn die Expartnerin oder der Expartner partout nicht kooperieren möchte?
Antworten darauf und weitere vertiefte Informationen zum Thema Scheidungskinder lesen Sie im gesamten Artikel mit Fokus: Scheidung – und trotzdem Familien bleiben.

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einer Trennung können durch das Verhalten der Eltern
positiv gesteuert werden.
Auf den Punkt gebracht: Kinder sollten nicht in den Streit der Eltern involviert werden. Das klingt einfach, ist es aber natürlich nicht. Denn kommt es zur Trennung, streiten die Eltern – so sehr man das auch zu verhindern versucht – oft auch um die Kinder. Erstens, weil niemand die Kinder verlieren möchte. Und zweitens, weil es im Trennungsverfahren immer auch um den Unterhalt der Kinder geht. Oliver Hunziker findet dafür einfachere Worte: «Kinder bedeuten eben auch Geld.»
Wenig förderlich zeigt sich dabei die Systematik unseres Rechtssystems. Eine Scheidung muss immer vor Gericht. Dafür braucht es in der Regel Anwälte. Und die sind dazu da, die Interessen einer einzigen Person zu vertreten. Wir werden also regelrecht auf ein Seilziehen getrimmt, bei dem jeder seine eigenen Interessen durchsetzen will. «Die Aufgabe von Gerichten ist, herauszufinden, wer recht hat», sagt Hunziker. Dabei würde eine gute Scheidung, vor allem wenn Kinder im Spiel sind, ein pragmatisches Miteinander brauchen: Kommunikation, Kompromisse, aufeinander zugehen.
Wenn Behörden über das «Kindeswohl» entscheiden müssen
(* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.)
Fragt man Roland Keller, ob er in den letzten Jahren Weihnachten gemeinsam mit den Kindern feiern konnte, muss er in seinen Unterlagen nachschauen. Auf dem Tisch liegen Sichtmäppchen mit unzähligen Dokumenten. Zum Gesprächstermin hat Keller auch ausgedruckte SMS seiner Kinder mitgebracht, die beweisen sollen, dass seine Söhne ihn gern haben. Oder vielleicht auch eher: dass er im Recht ist. Zu Hause im Regal stehen weitere sechs Bundesordner gefüllt mit Gerichtsakten, Korrespondenzen mit Beiständen und Anwälten, Protokollen der KESB und der Polizei. Keller zieht eine Akte hervor und sagt: «Ah, hier, die Feiertagsregelung: In geraden Kalenderwochen sind die Kinder zu Neujahr und Ostern bei mir.» Und Weihnachten? «Wir waren in einer Pizzeria, doch nach zwei Stunden wollte der Jüngere wieder nach Hause.»
Partnerin von der Rolle als Vater oder Mutter zu trennen.
Am Ende hatte Keller vor dem Zürcher Obergericht Erfolg – die KESB habe die Besuche zu Unrecht eingestellt, stand im Urteil. Seither darf Keller seine Söhne wieder sehen. Da der Vater 45 Autominuten entfernt wohnt, klappt das allerdings nur jedes zweite Wochenende. Für die Übergabe wartet er draussen im Auto, ins Treppenhaus darf er nicht. Als Gewinner sieht sich Keller nicht. «Das Verhältnis zu den Kindern ist viel schlechter als vorher. Es ist viel kaputtgegangen in diesen zwei Jahren.»
Kinderfreundliche Obhut
Interessant ist, dass Kinder dabei nicht die Person an sich vermissen, sondern vielmehr die Bedürfnisse und Erfahrungen, die mit der Person einhergehen. Theoretisch kann also auch eine andere Bezugsperson die Rolle des abwesenden Vaters oder der abwesenden Mutter einnehmen – eine Erkenntnis, die insbesondere für Patchwork-Familien interessant sein dürfte.

Drei Wohnformen sind üblich: Am häufigsten ist nach wie vor das sogenannte Residenzmodell. Die Kinder wohnen bei einem Elternteil – in der Regel der Mutter – und besuchen den anderen bei ihm zu Hause und verbringen einen Teil der Ferien mit ihm. Beim (seltenen) Nestmodell bleiben die Kinder in derselben Wohnung, die Eltern wechseln sich dort mit der Betreuung der Kinder ab.
Über das dritte Modell wird derzeit in der Politik und in den Medien viel diskutiert: die sogenannte alternierende Obhut (auch: Wechselmodell). Die Kinder leben abwechselnd bei beiden Elternteilen – zu mindestens 30 Prozent. Seit 2017 prüfen Schweizer Gerichte die alternierende Obhut, wenn die Kinder oder ein Elternteil dies verlangen – also auch dann, wenn sich ein Partner dagegen ausspricht. Allerdings zeigen sich die Richter in der Praxis bisher sehr zurückhaltend, dieses Modell gegen den Willen eines Elternteils anzuordnen.
Kritiker bemängeln jedoch, dass dies realitätsfremd sei. Eine vom Bund in Auftrag gegebene Studie der Universität Lausanne kommt zum Fazit: «Die in der Schweiz herrschenden sozialen Bedingungen verunmöglichen eine allgemeine Einführung der alternierenden Obhut.» Oder anders gesagt: Wie auch soll es möglich sein, dass ein Gesetz getrennte Paare dazu zwingt, ein egalitäres Modell zu leben, wenn dies noch nicht einmal zusammenlebende Paare hinkriegen?
Nach einer Trennung sei es den finanziell besser gestellten Kreisen vorbehalten, sich eine zweite grosse Familienwohnung in der Nähe zu leisten und sich flexible Arbeitszeiten einzurichten, welche eine egalitäre Kinderbetreuung zulassen, argumentieren die Lausanner Wissenschaftler.
Räumliche Nähe zahlt sich aus
Eine gänzlich harmonische Trennung sei es nicht gewesen, erzählt Mutter Karin, «aber für uns beide war klar, dass wir über unseren Schatten springen mussten. Die Kinder leiden unter der Trennung schon genug.» Noch während der Weltreise informierten sie die Kinder über den Entscheid. Diese seien erleichtert gewesen. «Sie merkten ja, das etwas nicht stimmt, wussten aber nicht, was los ist.» Marc Benninger sagt, dass nicht alle die Trennung problemlos weggesteckt hätten. Ein Kind hatte vermehrt Schlafprobleme, ein anderes sei wütend auf die Mutter gewesen, welche die Trennung ausgesprochen hatte.

Nicht das, nicht dies, nicht jenes: Für viele Eltern, die sich in einer emotional stressigen Trennungssituation befinden, kann das wirken wie Hohn. Auch Karin Benninger weiss das: «Am Anfang schafft man das nicht immer. Es soll aber das Ziel sein. Und mit der Zeit gelingt es auch.»
Geholfen hat der Familie Benninger auch, dass sich die Eltern bereits vor der Trennung die Erziehung der Kinder aufgeteilt hatten, wie Karin Benninger sagt. «Wir haben beide relativ flexible Arbeitszeiten.» Ein zentraler Punkt sei zudem, dass die Kinder in ihrer gewohnten (Schul-)Umgebung bleiben konnten. So zog Mutter Karin nach der Trennung ins Nachbardorf, das nur eine fünfminütige Autofahrt entfernt liegt. Das biete auch für die Eltern Vorteile: «Wenn etwas vergessen geht, kann man es schnell holen gehen.»
Eltern verarbeiten eine Trennung sehr individuell
Wie Eltern eine Trennung verarbeiten, ist sehr individuell. Manche wie Marc Benninger tun das für sich, andere sprechen mit Freunden, wieder andere suchen sich professionelle Hilfe bei Psychologen oder Mediatoren. Einen anderen Weg, eine Trennung zu verarbeiten, schlägt Andrea Marco Bianca, reformierter Pfarrer aus Küsnacht, vor. Und zwar einen, der besonders für Kinder gut geeignet ist: Bianca rät, sogenannte Scheidungsrituale durchzuführen.
Dabei handelt es sich um symbolische Akte, bei denen es um die Auflösung des Eheversprechens und eine Neuformulierung des Elternversprechens geht.
Zum Beispiel trifft man sich an einem bedeutungsvollen Ort – in einer Kirche, im Wald, auf einem Berg – und führt eine kurze Zeremonie durch. Beim Ritual gilt: Alles ist möglich, vom einfachen Handschlag oder dem Anstossen mit einem Glas Prosecco in den eigenen vier Wänden bis hin zu einer grossen Zeremonie mit Pfarrer und Gästen an einem Lagerfeuer, bei dem die Ex-Partner ihre Eheringe vergraben.
Zudem gelte es, den Kindern die Schuld und die Verantwortung zu nehmen. «Kinder erleben oft Schuld- und Schamgefühle. Darum hilft es, ihnen zu versichern: ‹Du bist nicht schuld, du kannst es nicht ändern und du musst auch nichts machen.›»
Der Vorteil von Ritualen im Vergleich zu nur in Worte gefassten Versprechen ist, dass sie erfahrbar sind. Bilder, Gesten, Symbole oder Erlebnisse bleiben nun einmal besser in Erinnerung als ein paar Sätze am Familientisch.
Nicht nur für die Kinder seien solche starken Erinnerungen wichtig, auch für die Eltern. «In stressigen oder kritischen Situationen hält man sich eher an das Versprechen», sagt Bianca, der selbst geschieden ist und seine Dissertation zum Thema geschrieben hat. Ein weiterer Vorteil: Rituale sind starke Signale nach aussen. «Verwandte und Freunde, die sich aus Unsicherheit womöglich abwenden würden, merken: Die schaffen es.»
Auch wenn es kein leichter Weg ist: Es gibt also einige Strategien, die Eltern dabei helfen, die häufigsten schädlichen Folgen einer Trennung in den Griff zu bekommen. Sowohl gegen Konflikte mit dem Partner als auch für das eigene Wohlbefinden lässt sich etwas tun. Mit der Wahl einer kinderfreundlichen Obhutslösung können Eltern zudem dafür sorgen, dass das Kind durch die Trennung keinen Elternteil verliert.
Nicht vergessen werden sollten dabei die indirekten Folgen, die eine Trennung auf das Kind haben kann: Umzug, Verlust von Bekannten und häufig auch eine neue Familie. Gerade ein Umzug kann für Kinder schlimm sein, weil sie aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden. Viele Eltern wie die Familie Benninger sorgen darum dafür, dass sie auch nach der Trennung nah beieinander wohnen. Mit guter Kommunikation nach aussen – warum nicht mit einem Scheidungsritual – lässt sich zudem verhindern, dass sich Verwandte oder Bekannte aus Unsicherheit abwenden.

Nur für eine Konsequenz einer Trennung sind gute Ratschläge teuer: Oft geraten Einelternhaushalte in finanzielle Schwierigkeiten, meist alleinerziehende Mütter. Die Gründe für den «ökonomischen Abstieg» liegen darin, dass die Mütter vor der Trennung nicht oder nur Teilzeit berufstätig waren und dann auf einen Schlag zur Haupternährerin der Familie werden.
Dies lässt sich kaum verhindern, es sei denn, man teilt Betreuungs- und Arbeitsverhältnisse bereits vor der Trennung auf. Danielle Estermann vom SVAMV rät: «Im besten Fall wird die Betreuung bereits thematisiert, wenn das Kind unterwegs ist.»
Wohl jede Familie wünscht sich, dass sie zusammenbleibt, am besten bis ans Ende aller Tage. Gelingt das nicht, fühlt sich das an wie ein Scheitern. Ein Happy End trotz Trennung scheint erst einmal undenkbar. Wer an diesem Punkt ist, sollte sich einen Ratschlag des Kinderarztes Remo Largo zu Herzen nehmen, der im Buch «Glückliche Scheidungskinder» niedergeschrieben ist. Seine Co-Autorin Monika Czernin hat sich soeben getrennt und sorgt sich, was nun aus ihrer Tochter wird. Largo, selbst seit vielen Jahren geschieden, sagt: «Wenn ihr als Eltern die Bedürfnisse eurer Tochter weiterhin ausreichend abdeckt und es euch selbst nach der Trennung gut geht, wird nichts passieren.»

Links:
Der Verein für elterliche Verantwortung (VeV) bietet ebenfalls Beratungen an und ist in sieben Kantonen mit Selbsthilfegruppen präsent. Er organisiert auch Fachtagungen und eine Weiterbildung zum Trennungsberater. www.vev.ch
Die Kinderrechtsorganisation Kisos bietet Beratungen durch Mediatoren an. www.kisos.ch
Das «International Council on Shared Parenting» ist eine internationale Organisation, die wissenschaftliche Forschung zu geteilter Elternschaft fördert. www.twohomes.org
Mediationsangebote in der Deutschschweiz (durch Beraterpaar Mann/Frau mit juristischer und psychosozialer Grundausbildung durchgeführt) sind zu finden auf: www.scheidungsberatung.ch
Sonya Gassmann bietet Mediationen für die ganze Familie (auch Kinder) an:
psychologie-be.ch
Die Psychologin im Fritz+Fränzi-Interview: Was hilft Kindern bei einer Trennung?
Buchtipps:
Mehr lesen zum Thema Trennung:
Hildegund Sünderhauf: Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis. Springer, 2013.
Andrea Büchler, Heidi Simoni (Hg.): Kinder und Scheidung. Der Einfluss der Rechtspraxis auf familiale Übergänge. Rüegger Verlag, 2009.
Andrea Marco Bianca: Scheidungsrituale. Globale Bestandsaufnahme und Perspektiven für eine glaubwürdige Praxis in Kirche und Gesellschaft. TVZ, 2015.
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