Mein Kind kann keine Hilfe annehmen

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Beim gemeinsamen Lernen kracht es oft zwischen Eltern und Kindern. Dabei kann Streit vermieden werden, wenn Mütter und Väter mehr Fragen stellen würden, weiss unsere Kolumnistin Stefanie Rietzler.
Manchen Kindern fällt es schwer, Unterstützung anzunehmen. Solange sie in einem Bereich alleine zurechtkommen, ist das kein Problem. Kompliziert wird es, wenn ein Kind mit einer Lernschwäche nicht mehr zuhört, wenn die Lehrerin oder die Heilpädagogin ihm etwas erklären will oder – wie im Falle von Ella – ein rechenschwaches Kind bei den Hausaufgaben alleine nicht weiterkommt und Hilfe einfordert, dann aber nichts damit anzufangen weiss. Am Ende hängt der Haussegen schief und alle sind frustriert.
Doch weshalb ist es für manche Kinder so schwierig, sich helfen zu lassen – und wie dringen wir in dieser Situation zu ihnen durch?
«Du machst mir ein Durcheinander im Kopf!»
Je mehr wir das Kind in die Expertenrolle versetzen, desto aktiver denkt es mit.
Wir können Ella besser verstehen, wenn wir uns in eine ähnliche Situation versetzen. Vielleicht denken wir daran, wie uns bei der Arbeit ein versierter Computer-Crack in das neue Programm einführt, mit dem Mauszeiger über den Bildschirm huscht, wild herumklickt und tippt und dabei noch etwas erklärt. Bald sind wir völlig konfus und warten nur darauf, bis die Erläuterungen zu Ende sind, vielleicht sogar mit dem Gedanken: «Das bringt mir gar nichts, das muss ich mir dann eh noch mal selber anschauen.»
In solchen Fällen hilft es, wenn wir uns an zwei Prinzipien halten:
1. Weniger sagen, mehr fragen.
2. Gemeinsam mit dem Kind die Lösungen der Schule nachvollziehen, anstatt es mit zusätzlichen Varianten zu verwirren.
Je mehr wir Kinder in die Expertenrolle versetzen und uns zum Beispiel von ihnen erklären lassen, wie die Lehrerin bei einfacheren Beispielen im Heft vorgegangen ist und was sie dazu gezeigt und erzählt hat, desto aktiver denkt das Kind mit. Als Elternteil kann man in die Rolle eines neugierigen Mitlernenden schlüpfen, indem man Fragen stellt, die Lösungen im Heft und Buch des Kindes nachvollzieht («Aha, dann seid ihr so vorgegangen?») und dem Kind dabei hilft, Zusammenhänge zu erkennen («Das wäre dann so ähnlich wie hier, oder?»). Wir können dem Nachwuchs auch offen sagen, dass wir dies oder jenes in unserer eigenen Schulzeit anders gelernt haben – und nun gespannt sind, wie das heute vermittelt wird.
Bei manchen schulischen Inhalten werden wir uns selbst unsicher fühlen, das ist normal. Dann ist es besser, die Hausaufgaben abzubrechen und das Kind zu bitten, sich das Vorgehen in der Schule nochmals zeigen zu lassen, anstatt es zu verwirren und die Situation in Tränen enden zu lassen.
«Wenn ihr mir helft, fühle ich mich klein und schwach!»
Auch ohne eine solche Aussage werten viele Kinder und Jugendliche Hilfsangebote als Zeichen, dass sie alleine nicht schaffen, was von anderen in ihrem Alter erwartet wird.
Es ist ihnen «peinlich», wenn der Heilpädagoge ihnen etwas gesondert erklären muss, und sie empfinden es als Kränkung, wenn ihnen einfachere Aufgaben angeboten werden. Oft werden sie tatsächlich in der Klasse deswegen belächelt.
Für diese Kinder ist es wichtig, dass sie nicht immer auf der Seite des Hilfeempfängers stehen müssen, sondern sich von Zeit zu Zeit auch in der starken Position befinden, in der sie anderen etwas voraushaben, Hilfe anbieten und mit ihren Stärken glänzen können.
Oft wird Hilfe abgewehrt, weil sie nicht mit dem übereinstimmt, was das Kind braucht.
«Hilfe ja, aber nicht so!»
Hat man den Eindruck, das Kind «macht oft zu», wenn man ihm helfen möchte, dann lohnt es sich, dies in einem ruhigen Moment anzusprechen: «Ich habe das Gefühl, so wie ich dir bei … helfe, stresst dich das. Was könnte ich tun, damit du meine Hilfe besser annehmen kannst?»
Ein Vater, dessen Sohn aufgrund einer Leseschwäche zehn Minuten pro Tag üben sollte, fragte den Bub nach mehreren frustrierenden Anläufen, die in Streit geendet hatten: «Sag mal, was würdest du mir für meine Lesebegleitung für eine Note geben? … Was?! So schlimm? Was müsste ich denn machen, um eine Note besser zu werden? … Ah, mehr loben und nicht so genervt auf die Fehler tippen. Das probier ich morgen gleich mal aus.»
Zur Autorin:
Mehr lesen von Stefanie Rietzler:
- «Du gehst jetzt raus, bis du dich wieder beruhigt hast»
Oft sind Kinder so gefangen in ihrer Wut, dass sie andere mit ihren Ausrastern ängstigen. Viele Eltern und Lehrpersonen verordnen dem tobenden Kind dann eine «Auszeit». Dabei wäre es förderlicher, sich in das Kind hineinzufühlen und ihm zu helfen, seine Wut in Worte zu fassen.
- Wie reagiert Ihr Kind auf Lob?
Kann Ihr Kind schlecht mit Lob umgehen? Wie sieht das denn bei Ihnen aus? Wer seine eigenen Reaktionen auf Komplimente versteht, kann auch das Verhalten seiner Kinder besser einordnen.
- Nasenbär Giancarlo muss bei Fehlern immer niesen
Oft hilft es Kindern, wenn man ein Problem von ihrer Person trennt und ihm die Form eines Stofftieres oder Fantasiewesens gibt.