Schwieriger Start im Kindergarten? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Schwieriger Start im Kindergarten?

Lesedauer: 3 Minuten

Jedem sechsten Kind fällt der Kindergartenstart schwer. Psychologen sprechen von einer Verhaltenshemmung, wenn Kinder Mühe mit Veränderungen im Alltag haben. Sie benötigen ein sicheres Umfeld, um positive Erfahrungen mit Neuem zu machen.

Text: Nadine Messerli-Bürgy und Simone Munsch
Bild: Carla Kogelman

Mona mag keine Veränderungen. Sie braucht lange, um sich an eine neue Situation zu gewöhnen, so auch an den Kindergarten. Neues schreckt sie eher ab. Mona ist keine Ausnahme.

Der Kindergartenstart ist für einige Kinder eine grössere Herausforderung als für andere. Vor allem für Kinder, die für gewöhnlich ängstlich oder zurückhaltend auf Neues reagieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von verhaltensgehemmten Kindern. Verhaltenshemmung ist eine Temperamentseigenschaft und damit über die Zeit hinweg relativ stabil. Sie ist bereits im Kleinkindesalter sichtbar und kann auch noch im späteren Schul- und Jugendalter vorhanden sein.

Verhaltenshemmung ist keine Krankheit, sondern eine ­Eigenschaft des Kindes, die durchaus positive ­Auswirkungen hat.

Gemäss aktuellem Forschungsstand haben rund 15 bis 20 Prozent der Kinder im Kindergartenalter eine Verhaltenshemmung. Der Begriff wurde vom US-Psychologen Jerome Kagan geprägt und kann als biologische Einflussgrösse bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Angststörungen eine Rolle spielen.

Dabei ist Verhaltenshemmung selbst keine Krankheit, sondern eine Eigenschaft des Kindes, die durchaus positive Auswirkungen hat. So ist es per se kein Nachteil, sich nicht in neue Situationen zu stürzen, ohne sie zunächst aus der Ferne beobachtet und eingeschätzt zu haben.

Vorsichtig, leicht gestresst und oft angespannt

Kinder mit einer ausgeprägten Verhaltenshemmung können Mühe mit Veränderungen im Alltag aufweisen. Sie tendieren dazu, nicht nur vorsichtig mit neuen Situationen umzugehen, sondern Neues regelmässig zu vermeiden. In sozialen Situationen und allgemein in neuen Situationen wirken sie schüchtern und verschlossen.

Kinder mit Verhaltenshemmung erleben in neuen und unbekannten Situationen mehr Anspannung und Angst als andere Kinder. Die Forschung hat gezeigt, dass Kinder mit Verhaltenshemmung in neuen Situationen ­körperlich und emotional gestresster reagieren. Die erhöhte körperliche und emotionale Anspannung ist gekoppelt mit einer erhöhten Aufmerksamkeitsbereitschaft für potenziell bedrohliche Aspekte der Umwelt.

Damit sind Kinder mit Verhaltenshemmung vorsichtiger und erwarten eher Gefahren als andere. Sie reagieren weniger spontan und wirken teils bedrückt und gehemmt. Im Kindergarten äussert sich dies häufig im Spiel und in den Interaktionen mit Gleichaltrigen sowie Lehrpersonen.

Weil verhaltensgehemmte Kinder Neues meiden, bleiben positive Erfahrungen mit Unbekanntem aus – die Angst vor Neuem wird nicht abgebaut. Diese Kinder finden weniger Übungsmöglichkeiten, um ihre sozialen, emotionalen und sprachlichen Kompetenzen zu verbessern.

Im Kindergarten spielen Kinder mit Verhaltenshemmung häufig alleine und beteiligen sich nur zögerlich oder auf Aufforderung am Spiel oder an den Gesprächen der anderen. Im Schulalter sind sie dadurch weniger sozial integriert.

Rituale im Kindergarten helfen

Verhaltensgehemmte Kinder brauchen Unterstützung. Sie benötigen ein sicheres Umfeld, das es erlaubt, positive Erfahrungen mit Neuem und Unbekanntem zu machen. So erfahren Kinder Schritt für Schritt Sicherheit und entwickeln ihre soziale und emotionale Kompetenz und Selbständigkeit.

Die Rituale innerhalb des Kindergartens helfen, die erhöhte körperliche Anspannung und die Ängstlichkeit zu reduzieren. Die Tendenz, Neues zu vermeiden, wird reduziert und das Kind wagt sich Schritt für Schritt mit positiven Gefühlen und Neugierde an weitere Herausforderungen.

Verhaltenshemmung – das können Eltern tun
Ist Ihr Kind ängstlich und mag Neues für gewöhnlich nicht?

Sorgen Sie sich nicht zu sehr. Was Ihr Kind braucht, sind Ihre Zuversicht und Ihre Unterstützung. Mit Ihrem Vertrauen weiss Ihr Kind, dass es Neues bewältigen kann.

Erzählen Sie öfters davon, wie Sie als Kind mit ähnlichen Schwierigkeiten umgegangen sind. Stellen Sie sich mit Ihrem Kind zusammen vor, was es Neues im Kindergarten antreffen und was es in dieser neuen Situation Positives erleben wird. Denken Sie daran, dass jedes Erlebnis dem Kind erlaubt, eine neue Erfahrung zu machen und damit Schritt für Schritt Vertrauen und Sicherheit aufzubauen.

Besprechen Sie mit Ihrem Kind, dass Sie Vertrauen in sein Können haben und sehr zuversichtlich sind, dass es ihm gelingt, mit dem Neuen umzugehen, und dass Sie fest an Ihr Kind denken werden, wenn es im Kindergarten ist. Freuen Sie sich zusammen mit Ihrem Kind über die einzelnen Fortschritte und den zunehmenden Mut.

Wussten Sie, dass die Art und Weise, wie Eltern im Alltag mit Neuem umgehen, dem Kind als wichtiges Muster dient? Eine Studie aus Australien hat gezeigt, dass das Training der Eltern, eigene Ängste zu überwinden, nicht nur bei den Eltern selbst, sondern auch bei Kindern mit Verhaltenshemmung einen Rückgang der ängstlichen Grundhaltung bewirkt. Wenn Sie also als Elternteil laut aussprechen und Ihr Kind daran teilnehmen lassen, wie Sie mit Ängsten umgehen, profitieren Sie beide davon!

Nadine Messerli-Bürgy
ist Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Lausanne sowie Leiterin des Forschungsprojektes STERN. Sie ist Mutter von zwei Kindern.

Alle Artikel von Nadine Messerli-Bürgy

Simone Munsch
ist Prof. Dr. phil., ist Ordinaria für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Departement für Psychologie der Universität Freiburg und Präsidentin des Instituts für Familienforschung und -beratung.

Alle Artikel von Simone Munsch

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