Zwillinge getrennt auf verschiedenen Schulstufen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Zwillinge getrennt auf verschiedenen Schulstufen

Lesedauer: 3 Minuten

Wie ist es für eine Familie, wenn der eine Zwilling im Kindergarten und der andere schon in der ersten Klasse ist? Ein Vater berichtet.

Text: Reto Vogt
Bild: Rawpixel.com /zVg

«Sind deine Jungs schon in der Schule?» Die Antwort auf diese eigentlich simple Frage ist leider alles andere als trivial. Meistens antworte ich: «Es ist kompliziert», weil es das tatsächlich ist. Während der 6-jährige Bastian den zweiten Kindergarten besucht, geht Felix schon in die erste Klasse.

Vor ihrer Einschulung hatten wir Eltern uns entschieden, dass die beiden in unterschiedliche «Chindsgi»-Klassen gehen. Unsere Überlegung dahinter war, dass jeder seinen eigenen Freundeskreis und sein eigenes Umfeld aufbauen kann.

18 Vikariate in 9 Monaten

Dass es aber so unterschiedlich wird, hätten wir nicht gedacht. Während Bastian ein relativ normales erstes Jahr im Kindergarten verbrachte, fingen bei Felix die Probleme schon kurz nach dem Start an. Als seine Lehrperson eine Woche nach Start in den Mutterschutz ging, fand die Schule keine fixe Stellvertretung. Im Wochentakt wechselten sich insgesamt 18 Vikare ab.

Für die Klasse war es eine schwierige Zeit. Kaum hatte sie sich frisch an eine Bezugsperson gewöhnt, kam schon wieder jemand anderes. Mit neuen Ideen, neuen Regeln und neuen Abläufen. Bei Felix äusserte es sich zeitweise so, dass er anfing, andere Kinder zu plagen. Eine schwierige Situation für alle Beteiligten und wir als Eltern fühlten uns hilflos. Uns schien, dass er einerseits mit der unsteten Situation über- und gleichzeitig aber auch unterfordert war: Die Klasse ging nie in den Wald, hatte keine Themenprojekte und wurde eigentlich nur betreut statt begleitet oder gefördert. Das frustrierte und verunsicherte ihn. Mehrere Gespräche im Kindergarten halfen nur temporär, wirklich besser wurde die Situation nicht.

Der Kinderarzt empfahl uns, Felix entwicklungspädiatrisch abklären zu lassen. Auch die Lehrpersonen begrüssten diesen Entscheid. Das Ergebnis der Abklärung lautete: Teilweise hochbegabt, vor allem im logischen Denken, aber auch in anderen Disziplinen deutlich weiter als andere in seinem Alter. Sein teilweise aggressives Verhalten sei völlig normal, meinte die Ärztin im nachfolgenden Gespräch, da ihm Spielpartnerinnen und -partner auf Augenhöhe fehlen und er nicht entwicklungsgerecht gefördert würde.

Reto Vogt mit seinen Zwillingen Bastian und Felix.

Einmal Schule, einmal Chindsgi

Die «Diagnose» wurde nicht nur uns, sondern auch der Schule zugestellt. Und so erhielten wir einen Anruf: Felix solle im Sommer in die erste Klasse statt das zweite Kindergartenjahr zu absolvieren, meinte die Klassenlehrerin. Wir Eltern waren mit der Situation überfordert. Was genau bedeutet das jetzt alles und vor allem: Was passiert mit Bastian? Aus unserer Sicht war Felix‘ Zwillingsbruder kognitiv absolut auf Augenhöhe. Sollte er jetzt auch ein Jahr überspringen?

Im Gespräch stellte sich Bastians Kindergartenlehrerin gegen einen vorzeitigen Übertritt in die Schule. Sie würde ihm die Erfahrung nicht nehmen wollen, «der Grosse» zu sein im Kindergarten. Und ohne Abklärung sei ein vorzeitiger Übertritt ohnehin nicht möglich. Wir aber wollten aber zunächst eine stufenübergreifende Trennung vermeiden. Wir hatten Angst vor Eifersüchteleien und wollten nicht, dass Bastian sich minderwertig vorkommt.

Neues Jahr, neues Glück, neue Stufe?

Doch es half alles nichts. Wir konnten Bastian nicht mehr abklären lassen, weil vor den Sommerferien keine freien Termine mehr gab. Und nach und nach sahen auch wir Eltern ein, dass ihm ein zweites Jahr im Kindergarten guttun würde. Also akzeptierten wir die Situation wie sie war und führten mit den Kindern intensive Gespräche, um ihnen zu vermitteln, dass beide gleichwertig sind. Unabhängig von der Schulstufe.

Heute, ein Jahr später, wo das erste Schul- und das zweite «Chindsgi»-Jahr langsam zu Ende gehen, ist es Zeit für ein Fazit: Ja, es gab Tage, an denen Bastian eifersüchtig auf die Hausaufgaben von Felix war und es Streitereien deswegen gab. Aber es ist weder bei uns zu Hause noch unter den Schulgspändli ein grosses Thema. Das ist vor allem der grossartigen Unterstützung von allen beteiligten Lehrpersonen beider Kinder zu verdanken. Bastian erhielt ab und zu eigene Aufgaben mit nach Hause. Und: Felix hörte auf, andere Kinder zu plagen. Endlich wurde er entsprechend gefördert. Auch für Bastian stimmte das letzte Jahr im Kindergarten und er freut sich jetzt auf den Schulstart. Dass er dann ein Erstklässler und Felix ein Zweitklässler ist, stört ihn nicht. Eine weitere Abklärung steht nicht mehr im Raum, da dies aus unserer Sicht keine wirklichen Erkenntnisgewinne verspricht. Es ist gut so, wie es ist.

Und für mich ist die Antwort auf die Frage, ob meine Jungs schon in der Schule sind, endlich nicht mehr kompliziert.

Reto Vogt
ist Chefredaktor von inside-it.ch. Er wohnt mit seiner Frau und den beiden sechsjährigen Zwillingen Bastian und Felix in Winterthur.

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