Drohen, Erpressen, Demütigen – im Familienalltag können nicht nur Ohrfeigen Kinder verletzen. Psychische Gewalt ist die häufigste Form von Gewalt gegen Minderjährige, sagt der Psychologe und Heilpädagoge Franz Ziegler. Der Kinderschutzexperte über ein Phänomen, das schwer einzugrenzen ist, aber quasi jede Familie betrifft.
Der Weg zu Franz Ziegler führt vorbei am Kindergarten und der Dorfschule. Kindergeschrei, dann wieder Stille. Noch schnell die Dorfstrasse überqueren, und man steht vor einem schneeweissen Haus, dahinter grasen Kühe und Schafe. «Sie haben es aber schön hier!», sage ich, als die Tür aufgeht. Franz Ziegler lächelt: «Nicht wahr? In Zäziwil scheint seit Monaten die Sonne.»
Da hat die Mutter ihre Tochter geschlagen, würde ich sagen.
Ja, mit Worten. Verbale Gewalt ist die typischste Form von psychischer Gewalt. Deshalb spricht man auch von Wortschlägen.
Das ist ein sehr komplexes und weites Thema. Psychische Gewalt kann von einem einfachen Nebensatz wie «Kapierst du das eigentlich nie?» bis zum verbalen Treiben in den Selbstmord führen: «Ich wünschte, du wärst tot.» Das wichtigste Merkmal von psychischer Gewalt ist, dass Eltern ihrem Kind das Gefühl von Minderwertigkeit oder Wertlosigkeit vermitteln, sei es durch Drohen, Erpressen, Lächerlichmachen, Demütigen, Isolieren, Ignorieren oder auch permanente Schuldzuweisungen.
«Mit dem Kind nicht mehr zu reden, ist eine Form der Erpressung.»
Auf jeden Fall. In dem Moment, in dem ich die Entwicklung seines Selbstvertrauens und das Vertrauen in andere zu untergraben anfange, reden wir von psychischer Gewalt. Mit dem Kind nicht mehr zu reden beziehungsweise ihm zu vermitteln, ich lieb dich nur, wenn dein Zimmer aufgeräumt ist, und trete auch erst dann wieder in sozialen Kontakt mit dir, ist eine Form von Erpressung.
Das ist eine andere Situation. Es ist ein Unterschied, ob sich eine Mutter ein Timeout von zehn Minuten nimmt, dieses auch als solches deklariert, um dann wieder ruhiger mit dem Kind sprechen zu können, oder ob sie beharrlich schweigt und jeden Versuch des Kindes, wieder mit ihr in Kontakt zu treten, boykottiert.
Er stellt sie bloss, erniedrigt sie, unterwandert die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls. Ein grosses Problem bei psychischer Gewalt sind Dinge, die ein Kind immer und immer wieder zu hören bekommt. Ein Kind kann unter diesen Umständen kein gesundes Vertrauen in sich selbst und in andere gewinnen. Das ist ja klar. Es hört permanent: Du bist nichts und du wirst auch nichts werden.
Nein, schon beim ersten Mal handelt es sich um Gewalt. Das gilt genauso für eine Ohrfeige, also körperliche Gewalt. Und wenn wir grundsätzlich etwas am Ausmass der ausgeübten Gewalt an Kindern ändern wollen, müssen wir diese Tatsache akzeptieren. Nicht die möglichen Folgen sind entscheidend, sondern die Handlung selbst. Die Tat an sich ist ein Ausdruck von Gewalt und insofern verurteilenswert.