Fünf Fragen, die Familien sofort weiterhelfen
Wenn unser Kind oder wir Eltern in einer schwierigen Situation nicht weiterwissen, können folgende Fragestellungen helfen, das Problem aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.
Galileo Galilei sagte einst: «Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will.» Aber wie werden wir und unsere Kinder angesichts von Krisen und Schwierigkeiten neugierig, anstatt uns davon lähmen zu lassen? Manchmal reicht dazu die richtige Frage. Im heutigen Artikel möchte ich Ihnen fünf meiner Lieblingsfragen vorstellen, mit denen wir unsere Widerstandskraft wecken und den grossen und kleinen Problemen des Lebens mit Kreativität entgegentreten können.
1. Wie würde die «beste Version» meines Selbst mit dieser Situation umgehen?
Wir alle kennen diese goldenen Momente, in denen wir uns energiegeladen fühlen, dem Trubel des Familienlebens gelassen begegnen und berufliche Aufgaben mit links schaffen. Augenblicke, in denen wir uns ein wenig stärker, klüger und zuversichtlicher fühlen als sonst. Ebendiese Stärke können wir in herausfordernden Momenten in uns wachrufen, indem wir uns fragen: «Wie würde mein bestes Selbst mit dieser Situation umgehen?»
Wie formuliert dieses Ich die unbequeme E-Mail an die Lehrkraft unseres Jugendlichen? Wie reagiert es auf die Kinder, die heute gefühlt den ganzen Tag streiten? Wie geht es mit der schier endlosen Todo-Liste um, die ihm im Nacken sitzt? Unmittelbar stellt sich in uns ein intuitives Gefühl ein, was diese bessere Version unseres Selbst denken, sagen und tun würde – und damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung Lösung schon getan.
2. Worauf kann ich mich verlassen, wenn alles zusammenfällt?
Spätestens abends im Bett dreht sich das Sorgenkarussell bei vielen Menschen: Die Sechstklässlerin fragt sich, was passiert, wenn sie eine schlechte Note schreibt. Der Jugendliche grübelt über seinen letzten Kommentar auf Insta. Als Eltern fragen wir uns, was die Lehrperson über uns denkt, wenn unser Kind die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Oder wir sinnieren darüber, weshalb wir nicht auf den Geburtstag der Bekannten eingeladen wurden. Ein gutes Gegenmittel gegen Sorgen ist Gewissheit.
Es tut gut, zu wissen, dass das Wesentliche im Leben durch die meisten Alltagssorgen unberührt bleibt.
Die Gewissheit, dass es Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann; Fähigkeiten, auf die man auch dann zurückgreifen kann, wenn sich die Sorgen bewahrheiten; und Werte, die uns durch schwierige Zeiten tragen. Es tut gut, zu wissen, dass das Wesentliche in unserem Leben durch die allermeisten Alltagssorgen unberührt bleibt.
So geht ein Kind beispielsweise anders mit der Angst vor einer Prüfung um, wenn es sich sicher sein kann, dass seine Eltern zu ihm halten, egal, wie seine Note ausfällt. Der Jugendliche sorgt sich weniger um die Meinung irgendwelcher Insta-Bekanntschaften, wenn er weiss, dass seine besten Freunde ihn so akzeptieren, wie er ist. Und wir Eltern stören uns nicht mehr so sehr an unterschwelligen Vorwürfen zu unserem Erziehungsstil, wenn wir uns beispielsweise bewusst machen: «Ja, wir begleiten die Wut unseres Kindes und erwarten nicht von ihm, sich ‹gefälligst zusammenzureissen› – weil das unseren Werten für ein respektvolles Miteinander entspricht.»
3. Was brauchst du, um …?
Kurz nach der Geburt unseres zweiten Kindes hatte das ältere eine kurze Phase, in der es plötzlich nicht mehr in die Kita gehen wollte. Zwar schien es sich tagsüber dort nach wie vor wohlzufühlen und wirkte beim Abholen jeweils sehr aufgestellt – nur der Übergang am Morgen fiel ihm wirklich schwer. Eines Morgens sagte ich zu ihm: «Ist ganz schwierig für dich, heute loszugehen, hm? Was würde dir denn helfen?» Zuerst kam nichts.
Dann fragte ich erneut nach: «Was brauchst du, um dich von mir verabschieden zu können?» – «Auf den gelben Bagger im Garten (der Kita) sitzen!» und «Einen Luftballon mitnehmen» waren seine Antworten. Es ist immer wieder erstaunlich, was Kindern und Jugendlichen zur obigen Frage einfällt, wenn man ihnen etwas Zeit gibt.
So fand die Tochter meines Kollegen Fabian Grolimund in der ersten Klasse: «Papa, die Rechenaufgaben sind heute so schwierig, dass ich die nur kann, wenn ich auf deinem Schoss sitzen darf.» Und auch Geschwisterkinder reagieren oft besser auf die Frage «Was braucht ihr, damit ihr euch wieder vertragen könnt?» als auf den Appell, jetzt bitte mit dem Ärgern aufzuhören.
4. Hatte jemand, den ich kenne, auch schon mal ein ähnliches Problem – und was war da hilfreich?
Noch immer glauben viele Menschen, ihre Probleme alleine lösen zu müssen. Sich Rat oder Hilfe zu holen, empfinden sie als Zeichen von Schwäche. Sobald wir aber unsere Fühler ausstrecken und merken: «Ich bin mit meinen Schwierigkeiten nicht alleine!», fällt eine grosse Last von uns ab. Gleichzeitig können wir einen reichen Fundus an Ideen und Lösungsstrategien anzapfen – egal, ob man die beste Freundin einweiht, einer Selbsthilfegruppe beitritt oder innerhalb der Klasse über Lösungen für aktuelle Probleme diskutiert.
Wir haben wohl alle schon die Erfahrung gemacht, dass sich eine Schwierigkeit als echte Chance erweist.
Vielleicht hat ja ein Klassenkamerad die zündende Idee, wie man sich am besten für sein Hassfach motiviert. Oder die Arbeitskollegin, wie man mit dem eigenen Sohn über den ausufernden Handykonsum ins Gespräch kommen könnte.
5. Wie könnte ich diese Situation in etwas Gutes verwandeln?
Für unsere psychische Gesundheit ist es essenziell, dass auch unangenehme Empfindungen ausgedrückt werden dürfen. Deshalb bin ich keine Freundin davon, Schwierigkeiten mit blauäugig-positivem Denken zu begegnen. Nichtsdestotrotz haben wir alle wohl schon einmal die Erfahrung gemacht, dass sich eine Schwierigkeit, eine unerwünschte Veränderung oder ein unangenehmes Erlebnis im Laufe der Zeit als echte Chance erweist.
Vielleicht hat die Trennung Raum geschaffen für eine erfüllende Partnerschaft. Vielleicht hat sich eine vermeintliche Schwäche in einem anderen Kontext als Stärke erwiesen oder eine Kündigung eine berufliche Neuorientierung ermöglicht.
Manchmal gelingt es uns schneller, aus unserer Problemtrance herauszufinden und unsere Ressourcen zu aktivieren, wenn wir uns überlegen: «Was könnte ich aus dieser Situation lernen? Welche Möglichkeiten eröffnen sich dadurch? Und wie kann ich mir dieses Problem zunutze machen?» Besonders eindrücklich erlebte ich selbst diese Wirkung, als ich nach einer komplikationsreichen Schwangerschaft und einem Kaiserschnitt unter Vollnarkose die ersten Tage im Krankenhaus so geschwächt war, dass ich kaum aufstehen konnte.
Es brach mir das Herz, dass ich unser Neugeborenes nicht selbst umsorgen konnte. Stattdessen verschwand die Hebamme mit meinem Mann im Wickelzimmer der Station. In dieser Zeit gab mir der Gedanke Kraft: «Dadurch wird auch ein Raum frei für eine ganz intensive Papa-Kind-Beziehung von Anfang an.» Und so war es dann auch.