Über Ängste und Freiheiten einer alleinerziehenden Mutter

Unsere Autorin ist seit der Trennung von ihrem Mann alleinerziehend. Wie fühlt es sich an, für alles verantwortlich zu sein – und an allem schuld?
Ich bin geschieden. Ich bin eine geschiedene, 46-jährige Mutter von zwei Teenagern, 13 und 16 Jahre alt. «Geschieden» klingt furchtbar alt, finde ich. «Geschieden» tönt müde, überdrüssig, zerzaust. Ich bin allerdings weder müde noch überdrüssig. Über die Frisur will ich nicht reden.
Alleinerziehende haben viel mehr zu bieten als Trauma und Tränen. Kein alleinerziehendes Elternteil gleicht dem andern. Jede und jeder hat eine Geschichte, die schwierig war, bevor sie besser wurde.
Als Alleinerziehende kann ich mich organisieren, wie es mir passt. Ich kann mich auf mich verlassen. Ich bin aber auch an allem schuld.
Meine Kinder sehen ihren Vater regelmässig. Ich selbst habe wenig Kontakt mit ihm. Nach einigen belastenden Jahren kam der Bruch, was nach sich zog, dass ich im Alltag auf mich gestellt bin.
Der Werkzeugkoffer war parat
Dass ich im Alltag allein bin, gibt mir viele Freiheiten. Ich kann mich ganz auf meine Kinder einlassen, ihr Tempo annehmen, ihnen meine volle Aufmerksamkeit schenken. Ich finde, unsere Beziehung profitiert. Ich kann in meinem Alltag schnell Entscheide treffen – «Ja, bleib bis ein Uhr nachts» oder «Nein, du musst da nicht mitkommen».
Ich kann das Wohnzimmer so oft umstellen, wie ich will. Und ich bin die Herrin der Fernbedienung. Es macht mir Freude, den Geschirrspüler so irr einzuräumen, wie es nur geht, und wenn die Kinder ausgehen, habe ich sturmfrei. Gerade darum beneiden mich einige Mütter sehr.
Als Alleinerziehende kann ich mich organisieren, wie es mir passt. Ich kann mich auf mich verlassen. Ich bin aber auch verantwortlich für alles und an allem schuld.
Im Alltag allein zu sein bedeutet, dass ich mich um Winterreifen, Rasenmäher und den Aufbau von Ikea-Möbeln kümmern muss. Das war mir von Anfang an klar: Ich hatte mir einen Werkzeugkoffer angelegt, den ich mittlerweile mit Stolz aufschlage und in dem ich stirnrunzelnd wühle. Ich kann dübeln und bohren, schleifen und sägen.
Worauf ich nicht vorbereitet war: Dass ich mit meinen Kindern nicht mehr eingeladen werde.
Geahnt hatte ich im Voraus auch, dass man unter Nachbarinnen bespricht, warum wir uns wohl getrennt haben – und mir zwinkernd zuflüstert, dass man gestern Abend einen Mann aus meiner Wohnung habe kommen sehen.
Fragen zwischen Zwiebeln und Gurken
Worauf ich allerdings nicht vorbereitet war: Dass ich mit meinen Kindern nicht mehr eingeladen werde. Dass wir für Abendessen und Ausflüge nicht mehr angefragt werden. Dass meine Freundinnen nur dann für mich Zeit haben, wenn ihre Männer keine Zeit für sie haben. Dass sie für ein Abendessen, einen Absacker, gar einen Espresso am Wochenende nicht abmachen können, denn «das ist Familienzeit». Was nichts anderes bedeutet, als dass sie sich mit intakten Familien verabreden.
Darauf war ich nicht vorbereitet und auch nicht darauf, dass man mich im Quartierladen, zwischen Zwiebeln und Gurken, fragen würde, ob wir uns «im Guten» getrennt haben, damit es für unsere Kinder «einigermassen geht».
Ich muss mich daran gewöhnen, dass man mich nicht fragt, ob man mir helfen könne, das Holz hochzutragen oder den Dachträger zu montieren, sondern im Vorbeigehen nur fröhlich winkend grüsst, während ich mir die Rückenmuskeln zerre.
Nicht vorbereitet war ich auch darauf, wie unfassbar unangenehm es für mich ist, um Hilfe zu bitten. Damit ich das nicht machen muss, mache ich das meiste selbst. Oder ich lerne, wie man es macht. Schlimmstenfalls bezahle ich jemanden, der es für mich übernimmt.
Niemand anderes da
Etwas weniger alleinerziehend fühle ich mich, wenn ich mir Rat von meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Freundin hole. Nur: Sie sind ja trotzdem nicht da, um die grossen kleinen Dramen mit aufzufangen. Wenn Teenager 1 das Haus in Tränen und Teenager 2 es wortlos und ohne Schulsack verlassen hat. Sie sind nicht da, wenn die Türe knallt, ich gerädert in der Stille stehe und mein Arbeitstag noch gar nicht begonnen hat.
Sie sind nicht da, wenn meine Freundinnen «Familienzeit» haben, sie rundherum in den Gärten bräteln, lachen und ich mein Bier allein im Garten trinke. «Wo hast du nicht versagt?», frage ich mich dann. Wenn die Tochter schreit «Ich hasse alles!», es dem Sohn zu viel wird, er sich im Zimmer verschanzt und ich auf dem Sofa sitze und in eine Spirale der Selbstvorwürfe taumle, sind sie nicht da, um zu sagen: «Es liegt nicht an dir.»
Das Türknallen, Hassen, Schmollen und Schweigen der Teenager gilt meist nicht mir. Das auszuhalten, gelingt besser, wenn es mir gut geht.
Sie sind nicht da, wenn ich um drei Uhr morgens mit rasendem Herzen aufwache und mich frage: «Wovor habe ich Angst?», um eine lange Liste der möglichen Gründe aus der Dunkelheit zu ziehen. Also frage ich meine Kinder manchmal direkt, was sie anders haben möchten. Ihr Wunsch: «Mach dir weniger Sorgen um uns.»
Das Türknallen, das Hassen, Schmollen und Schweigen gilt meist nicht mir. Das zu akzeptieren und auszuhalten, gelingt besser, wenn es mir gut geht.
Eigene Sparringspartnerin
So werde ich zur eigenen Sparringspartnerin. «Helen», sage ich mir mit Nachdruck, «du hast zu wenig geschlafen, darum bist du müde. Du lässt dir jetzt ein Bad ein, entspannst dich und bist damit gleich noch ein Vorbild in Sachen Selbstfürsorge.» Funktioniert das? Manchmal. Und die anderen Male sage ich mir, dass ich die Schnauze halten soll mit diesem Achtsamkeitsscheiss.
Manchmal schreibe ich um drei Uhr morgens meiner schlaflosen Schwägerin «Auch wach?» und wir holen uns gemeinsam einsam je ein Joghurt aus dem Kühlschrank und tauschen Instagram-Posts voll dunklem Humor.
Ich kann gut allein – und ein neuer Mann kommt nur in unser Leben, wenn er es noch schöner macht.
Aber nicht nur in diesen Momenten fehlt jemand hier. Auch dann, wenn ein Blickkontakt zwischen Eltern sagt: «Wie unglaublich wundervoll sind sie, unsere Kinder.» Und: «Er war doch erst noch fünf.» Sie sind nicht da, um die Momente später wieder auszupacken, mit «Weisst du noch, als sie …».
Also erzähle ich diese Augenblicke meinem Tagebuch. Mitten in der Nacht. Anstatt zuzuschauen, wie Karl auf Instagram einen Rotkraut-Salat vorbereitet, lese ich die Liste meiner Herzensmomente.
Sturz als Chance
Übrigens, der Mann, der aus meiner Wohnung kam, gesehen von meiner Nachbarin, war mein Bruder. Einen neuen Partner suche ich aktuell nicht. Ich kann gut allein – und ein neuer Mann kommt nur in unser Leben, wenn er es noch schöner macht.
Diese Energie investiere ich heute lieber in meine Freunde. Mit ihnen kann ich mich entspannen, die Führung abgeben, auf das Leben anstossen. Es ist wohltuend, zu hören, dass auch die Freundin nach einem Streit mit den Kindern mal eine Träne vergiesst oder dass mein Freund, ebenfalls Journalist, seinen Text auch ständig kürzt, statt an ihm weiterzuschreiben.
Wenn es nicht drei Uhr morgens ist oder ich müde in den Selbstvorwürfen mariniere, sehe ich das Alleinsein tatsächlich als grosse Chance. Die Scheidung unterbrach ein System, eine destruktive Routine. Wie nach einem heftigen Sturz musste ich mich erst mal hinsetzen, die Orientierung wiederfinden und mich dann entscheiden, wie es weitergeht.
Aber es ist eben auch so: Ich durfte aus diesem System aussteigen, ich durfte aus dieser Routine ausbrechen und ich darf mich entscheiden, wie es für mich weitergeht – von den vielen kleinen Sachen, die das Glück ausmachen (wie pinke Bettwäsche) bis hin zu den grossen Fragen, die dem Leben Richtung geben, wie: Was will ich noch erleben, bevor ich alt bin?
Das Alleinsein bringt Freiheiten. Dafür bin ich dankbar.