Was tun, wenn das Kind ständig am Handy klebt? -
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Was tun, wenn das Kind ständig am Handy klebt?

Lesedauer: 4 Minuten

Die 15-jährige Anna verbringt viel zu viel Zeit am Handy, finden ihre Eltern, die deshalb Rat beim Elternnotruf suchen. Der Berater zeigt Mutter und Vater im Gespräch Wege auf, wie sie mit ihrer Tochter wieder in Beziehung treten können.

Aufgezeichnet von Matthias Gysel
Bild: Adobe Stock

Mutter: «Anna ist immer am Handy, vor und nach der Schule und am Abend im Zimmer. An den Wochenenden ist es sehr schlimm.»

Vater: «Sie ist oft nicht ansprechbar.»

Mutter: «Es macht mir Angst. Sie zieht sich zurück. Unser Kind verschwindet. Wenn wir sie ansprechen oder ihr Handy verlangen, schreit sie und beleidigt uns mit Schimpfwörtern. Das ist so verletzend.»

Vater: «Am Anfang hatte sie einen guten Umgang mit dem Handy. Sie beschäftigte sich auch mit anderen Dingen, verabredete sich mit Kolleginnen und trainierte mit Freude Handball.»

Mutter: «Dann veränderte sich ihr Verhalten, leider.»

Das Verhalten Ihres Kindes können Sie nicht völlig kontrollieren.

Berater: «Was veränderte sich konkret?»

Mutter: «Anna vermied den Kontakt mit uns und wurde aggressiver. Mittlerweile nimmt sie nur noch sehr selten am Familienleben teil. Ich habe den Eindruck, sie verheimlicht uns vieles, auch Dinge, die mit dem Handy zu tun haben. Das macht mich unruhig.»

Vater: «Ich fühle mich so machtlos und ausgeliefert.»

Berater: «Es ist anerkennenswert, dass Sie als Eltern Verantwortung übernehmen und eine Beratung aufsuchen. Was Sie erleben, klingt belastend. Es erfordert viel Kraft und ist für Sie herausfordernd. Ich frage mich, was für Sie hilfreich sein kann, damit Sie sich weniger ausgeliefert fühlen und sich in Bezug auf Ihre Tochter wieder etwas selbstwirksamer erleben können.»

Mutter: «Es wäre schön, nicht immer nur auf Situationen reagieren zu müssen.»

Berater: «Ein erster Schritt kann sein, dass Sie sich mehr auf sich selbst und Ihre Gefühle fokussieren und dann entscheiden, wie Sie sich in der herausfordernden Situation mit Anna verhalten möchten. Sie verfolgen dann eine Absicht, die Sie als Eltern bestimmen können. Das Verhalten Ihres Kindes können Sie nicht völlig kontrollieren. Auch nicht ihr Handyverhalten. Sie können aber sich selbst und Ihre Handlungen lenken, was Ihre Erwartungen an Ihre Tochter verändern und Ihren Druck vermindern kann.

Auch wenn Ihre ­Tochter Angebote ­zurückweist, sind sie sinnvoll und wichtig. Sie zeigen Ihre ­Verbundenheit mit ihr.

Sie können sich so als Eltern zu einer Situation verhalten und sich wieder selbstwirksamer erleben. Das kann helfen, mit Anna, trotz der schwierigen Situation, im Dialog zu bleiben und für sich selbst und im Leben der Tochter wieder präsenter zu sein. Ist es Ihnen möglich, Ihrer Tochter in dieser angespannten Zeit Beziehungsangebote zu machen? Sie könnten zum Beispiel etwas mit ihr unternehmen, das ihr Spass macht. Oder Sie kochen ihr Lieblingsmenü. Oder Sie schauen sich zusammen einen Film an, den Ihre Tochter aussuchen darf.»

Mutter: «Solche Angebote würde sie vermutlich ablehnen.»

Berater: «Auch wenn sie Ihre Angebote zurückweist, sind sie sinnvoll und wichtig. Zugewandte Beziehungsgesten zeigen Ihrer Tochter, dass Sie als Eltern da sind. Sie zeigen Ihre Verbundenheit mit ihr. Das kann Ihrer Tochter Sicherheit geben.»

Wenn man mit dem Kind in stetigen heftigen Auseinandersetzungen und in Sorge ist, kann es passieren, dass die gemeinsamen Erlebnisse zu kurz kommen. Sie sind aber wichtig.

Mutter: «Was Sie sagen, zeigt mir, dass ich in herausfordernden Situationen auch auf mich und mein Befinden schauen soll und nicht nur auf das Verhalten meiner Tochter. Und spüren darf, wie es mir dabei geht. Das hilft mir, dass ich mich in der Situation etwas weniger ausgeliefert fühle.»

Vater: «Ich merke, dass auch ich mich zurückgezogen habe, weil ich ihre Ausbrüche und die Machtkämpfe nicht mehr ertrage. Die gemeinsamen schönen Zeiten mit ihr fehlen mir.»

Berater: «Es ist schön, dass Sie dieses Bedürfnis spüren. Wenn man mit dem Kind in stetigen heftigen Auseinandersetzungen und in Sorge ist, kann es passieren, dass die gemeinsamen Erlebnisse zu kurz kommen. Sie sind aber wichtig.»

Der Elternnotruf

Bei Themen rund um den Familien- und Erziehungsalltag ist der Verein Elternnotruf seit fast 40 Jahren für Eltern, Angehörige und Fachpersonen eine wichtige Anlaufstelle – sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Die Beratungen finden telefonisch, per Mail oder vor Ort statt. www.elternnotruf.ch 

An dieser Stelle berichten die Berater aus ihrem Arbeitsalltag.

Mutter: «Wenn wir solche Mo­mente haben, geniesse ich sie sehr!»

Berater: «Das freut mich. Nutzen Sie einen dieser guten Momente, um ein Gespräch mit Ihrer Tochter zu führen. Überlegen Sie sich vorher, was Ihnen am Verhalten von Anna Sorge bereitet und welche Verhaltensweisen Sie konkret verändert haben wollen. Das Handyverhalten muss zum Beispiel nicht zwingend im Vordergrund stehen. Einigen Sie sich als Eltern auf ein paar wenige Veränderungswünsche. Teilen Sie Anna im Gespräch mit, dass Ihnen die guten gemeinsamen Zeiten mit ihr fehlen, Sie sich diese zurückwünschen und dass Sie sie lieben.»

Vater: «Sollten wir nicht trotzdem eine tägliche Zeitdauer für den Handy­gebrauch abmachen und eine Vereinbarung aufsetzen, die sie dann unterschreibt?»

Berater: «Es ist eher sinnvoll, Zeiten ohne Handy zu vereinbaren. Zum Beispiel beim Nachtessen und in einem Zeitfenster vor dem Zubettgehen. Wichtig ist, dass sie von allen Familienmitgliedern, also auch von Ihnen als Eltern, eingehalten werden.»

Mutter: «Wir können Vorbild sein.»

Berater: «Eine sinnvolle Handynutzung ist ja nicht nur ein Thema unserer Kinder. Es kann sein, dass Ihr Angebot und Ihre Veränderungswünsche von Anna nicht sofort angenommen werden. Bleiben Sie beharrlich bei Ihrer Haltung und den Veränderungswünschen.

Lassen Sie sich von Ihrer Neugierde leiten und sich die digitale Welt ihrer Tochter von ihr erklären.

Es kann hilfreich sein, Ihrem Kind Alternativen zum Handykonsum anzubieten. Was könnten Sie stattdessen zusammen tun? Gemeinsam kochen, wieder mal ein Spiel spielen. Eine Positionierung von Ihnen als Eltern, Ihre klare Haltung und Ihr Wille, die Tochter zu unterstützen, werden bei Ihrem Kind nachwirken. Bleiben Sie dabei stets in einer wohlwollenden Beziehung. Verbinden Sie sich mit Ihrem Kind. Verbinden Sie sich als Eltern.»

Mutter: «Es tut gut, die Situation in Ruhe und aus der Distanz zu betrachten.»

Berater: «Unter Stress ist es schwierig, Lösungen zu finden. Es ist daher wichtig, dass sich die Familie als Ganzes beruhigen kann. Das gelingt besser, wenn die eingespielten Eskalationsmuster unterbrochen werden können und sich der Aufmerksamkeitsfokus wieder stärker auf das Gelingende ausrichtet. Das ist nicht in jedem Fall die Lösung, aber es beruhigt die Emotionen.»

Vater: «Anna hat auch schon gesagt, dass ihr Handy Privatsache sei und wir uns da nicht einmischen dürfen.»

Berater: «Bleiben Sie mit ihr zu diesem Thema im Gespräch. Lassen Sie sich von Ihrer Neugierde leiten und sich die digitale Welt ihrer Tochter von ihr erklären. Schauen Sie, ob und wie weit sie es zulässt. Bleiben Sie auch hier etwas beharrlich. Vielleicht müssen Sie eigene Wider­stände, Vorurteile oder Bewertungen überwinden. Nehmen Sie Anteil an den Interessen von Anna. Gut ist auch, wenn Sie Ihr Kind über die Risiken und Gefahren aufklären und diese mit ihr in einer ruhigen Situation besprechen. Sagen Sie Ihr, dass Sie als Eltern die Verantwortung zu ihrem Wohle wahrnehmen, weil Sie sie lieben und für sie da sein ­wollen.»

Vater: «Das ist für mich eine spannende Herangehensweise.»

Mutter: «Ich spüre, dass meine Gedanken leichter werden und sich Wahlmöglichkeiten auftun.»

Das Wichtigste in Kürze

3 Tipps

  • Machen Sie Ihrem Kind auch in schwierigen Zeiten Beziehungsangebote.
  • Lassen Sie sich die digitale Welt Ihres Kindes von ihm erklären.
  • Bleiben Sie beharrlich in Ihrer Haltung.

Matthias_Gysel

Matthias Gysel
ist Sozialarbeiter, Coach und Berater beim Elternnotruf. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen.

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