«Geh dich umbringen!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Geh dich umbringen!»

Lesedauer: 2 Minuten

Erst offline, dann auch online: Der 20-jährige Marco Ribeiro aus Thusis GR wurde über Jahre gemobbt. Eltern, Schule und Polizei reagierten darauf ungeschickt bis abweisend.

Aufgezeichnet von Mirjam Oertli
Bild: Mara Truog / 13 Photo

Ich wurde beleidigt, gedemütigt, schikaniert. Von der 1. Klasse bis zur 3. Oberstufe, erst auf dem Pausenplatz, dann im Internet. Am Anfang dachte ich, ich sei halt einfach nicht so beliebt. Mit der Zeit merkte ich, dass es weit darüber hinausgeht. Ich hatte keine Kollegen, war ausgeschlossen und musste mir laufend dumme Sprüche anhören. Später kamen Schläge dazu.

Irgendwann in der 5. Klasse kamen Instagram und erste Klassenchats in unserer Schule auf. Einmal postete ich ein Ferienfoto von meiner Mutter und mir. ‹Geh dich umbringen›, las ich bald darunter. Und: ‹Du bist so hässlich wie deine Mutter.› Immer wieder haben sie Fotos von mir verunstaltet, mit Geschlechtsteilen auf dem Gesicht, mit Teufelshörnern auf dem Kopf, mit allem Möglichen, und diese dann auf ihren Profilen veröffentlicht. Wenn ich sie blockierte oder ihre Konten meldete, erstellten sie Zweit- oder Fake-Accounts.

Wenn ich meine Lehrpersonen über die neuesten Vorfälle informierte, reagierten sie, indem sie das Thema mit der ganzen Klasse besprachen. ‹Ich bring dich um, wenn du das noch einmal machst›, wurde mir danach per Sprachnachricht mitgeteilt. Einmal, nachdem meine Eltern den Kontakt mit der Schule gesucht hatten, kam der Lehrer ins Schulzimmer und sagte: ‹Marco fühlt sich gemobbt. Daher sitzt der Schulpsychologe heute hier und schaut zu.›

Es jagte mir Angst ein, dass in der Lehre alle so nett waren. Erst mit der Zeit konnte ich akzeptieren, dass man mich anscheinend mag.

Natürlich machte an diesem Tag niemand etwas. Schlimm war aber, dass ich danach quasi als Lügner dastand. Überhaupt fühlten sich meine Termine mit Fachpersonen immer ein wenig an, als müsste ich mich rechtfertigen. Als würde ich die Leute dazu einladen, mich zu mobben. ‹Ignorier es einfach›, haben meine Eltern gesagt und nicht begriffen, dass das nicht geht. Jedes Mal, wenn ich zum Beispiel aus dem Klassenchat aussteigen wollte, fügte man mich neu hinzu.

Einmal bin ich zur Polizei gegangen. Die Mobber hatten Fotos von mir aus meinem Instagram-Profil ausgedruckt und im Schulzimmer aufgehängt. Sie schossen mit Pfeilen darauf, und als ich reinkam, drehten sie sich zu mir um und taten, als wollten sie auch auf mich schiessen.

Mir brannte die Sicherung durch. Ich rannte durchs Dorf und traf verheult beim Polizeiposten ein. Nur, um zu hören, ich müsse das Problem mit dem Lehrer klären. Da fühlte ich mich sehr allein. Dreimal war ich kurz davor, mir das Leben zu nehmen. Aber irgendwie schaffte ich es durch diese schlimme Zeit und schloss die Schule ab. Was ich danach erlebte, war ein Kulturschock. Es jagte mir Angst ein, dass in der Lehre alle so nett waren. Erst mit der Zeit konnte ich akzeptieren, dass man mich anscheinend mag.

Mirjam Oertli
ist freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Luzern. Sie ist bestürzt darüber, wie perfid Cybermobbing sein kann, und wünscht jeder und jedem Betroffenen bestmögliche Hilfe. Sie selbst hätte bisher wohl den Kopf verloren, wären ihre Kinder damit konfrontiert. Nun weiss sie, wieviel sinnvoller Ruhe und Sachlichkeit sind. Und hofft, dieses Wissen nie anwenden zu müssen.

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