«Wenn du so weitermachst, stirbst du»
Als im Kopf Chaos herrschte, fing Gymnasiastin Sara an, ihren Körper zu kontrollieren. Ihre Essstörung kostete die 16-Jährige fast das Leben.
Im Lockdown fing ich an, mehr Sport zu treiben. Was als Freizeitbeschäftigung begann, wurde ambitionierter: Ich trainierte täglich eine Stunde. Als Leichtathletin war ich Sport gewohnt, aber nicht in dem Ausmass. Die Schule fing wieder an, ich trieb weiter Sport. Im Sommer zerbrach eine Freundschaft. Dieser Verlust hat mich sehr mitgenommen, monatelang an mir genagt. Zu Hause gab es oft Streit mit meinen Eltern, denen ich nichts vorwerfen kann – Konflikte gehören zur Pubertät.
Die Ernährungsberatung verschlimmerte alles. Ich wusste erst recht, wo Fette und Kohlenhydrate lauerten, und ass gar nichts mehr.
Es waren turbulente Monate, in denen ich anfing, noch mehr an mir zu zweifeln, wozu ich ohnehin neigte. Schon als Kind war ich sehr selbstkritisch. Ich ging also weiterhin meinen Pflichten nach, schrieb gute Noten, war für Freunde da. Und spürte die Angst, mich selbst zu verlieren.
Meine Workouts wurden härter, der Fokus auf meinen Körper stärker. Ich trainierte weiter, ass immer weniger. Mein Leben war mir entglitten und dies mein Versuch, Kontrolle zu erlangen. Meine Eltern suchten Hilfe beim Kinderarzt, der mir eine Therapie verschrieb. Dort schickte man mich zur Ernährungsberatung, was alles verschlimmerte: Jetzt wusste ich erst recht, wo Fette und Kohlenhydrate lauerten. Ich ass gar nichts mehr.
Dann ging es schnell. Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten, aber im Spital war kein Platz frei. Weil ich im Liegen stabil genug war, musste ich nochmals heim. Tage später, da hatte ich bereits ein kleines Nierenversagen, wurde ich in die stationäre Therapie aufgenommen. Ich hoffte auf ein Medikament, das mir helfen würde. Ich stellte bald fest, dass ich allein das konnte.
Ich ging wöchentlich zur Therapie. Dort tat ich, was mir so lange nicht möglich gewesen war: Ich redete mir alles von der Seele.
Die Einsicht, dass ich krank war, kam auf die harte Tour. Die Ärzte waren unmissverständlich: Wenn du so weitermachst, stirbst du. Das hat den Schalter umgelegt: Ich begann zu essen. Im Spital arbeiteten sie mit Belohnungen: Wer zunahm, bekam Bildschirmzeit oder eine zusätzliche Stunde Besuch. Bei mir hat das funktioniert. Nach vier Wochen – üblicherweise dauert es viel länger – durfte ich nach Hause.
Die Schule besuchte ich zuerst im Teilpensum und ich ging wöchentlich zur Therapie. Dort tat ich, was mir so lange nicht möglich gewesen war: Ich redete mir alles von der Seele. Und erlernte Strategien im Umgang mit meinen Sorgen und Ängsten – gesündere, als nichts mehr zu essen. Vor der Krankheit hatte ich Probleme für mich behalten.
Ich galt als die Glückliche, deren Leben perfekt war. Es ging mir weniger darum, diesen Schein aufrechtzuerhalten, vielmehr wollte ich niemandem zur Last fallen, die Harmonie nicht gefährden. Zu meiner Genesung gehörte, mehr auf mich selbst zu hören. Das war ein langer Weg.
Heute geht es mir sehr gut. Ich habe Freude am Leben, kenne meine Grenzen. Ich kann sagen: Ich möchte nicht – oder eben: Ja, das will ich! Meine Therapie ist abgeschlossen. Ich habe auch keinen Essplan mehr, sondern esse, wie ich es früher tat: nach Lust und Gefühl.