«Für Eltern ist die Therapie weniger stigmatisierend»
Die Psychiaterin Karen Braken-Portmann erklärt, welche Vor- und welche Nachteile Home Treatment für psychisch erkrankte Mütter und Väter hat – und wann eine Behandlung zu Hause nicht möglich ist.
Frau Braken-Portmann, ist es sinnvoll, die Kinder aussen vor zu lassen, wenn eine Home-Treatment-Patientin nicht möchte, dass ihre Kinder in ihre Behandlung involviert werden?
Dieser Entscheid liegt nicht bei uns. Wir raten jeweils zu einem Gespräch, beziehungsweise einer Beratung bei unserer Fachstelle für Angehörige. Dann können die Kinder verstehen, was mit Mama oder Papa los ist, ohne dass sie regelmässig in den Prozess miteinbezogen werden müssen. Wenn es einen konkreten Auslöser für die Depression gegeben hat, den die Kinder sehr gut nachvollziehen können, ergibt es Sinn, dass die Mutter selbst mit ihnen spricht.
Wie wird das Umfeld jeweils in die Behandlung miteinbezogen?
Das kommt sehr darauf an, wie die Patientin und ihre Angehörigen das möchten. Wir bieten früh die Möglichkeiten für Paar- und Familiengespräche. So erhalten wir wertvolle Informationen und alle Beteiligten kommen zu Wort. Das ist sehr wichtig. Es gibt natürlich auch Patienten oder Angehörige, die das nicht möchten, das kommt allerdings sehr selten vor. Meist sind die Angehörigen froh über das Hilfsangebot.
Unter welchen Bedingungen kann eine Patientin oder ein Patient im Home Treatment behandelt werden?
Zunächst muss eine Behandlungsbedürftigkeit im stationären Sinne vorliegen. Es muss ein fester Wohnsitz vorhanden sein, der vom Hauptstandort unserer Psychiatrischen Dienste innerhalb von 30 Minuten erreichbar ist. Auch die Angehörigen müssen einverstanden sein, das ist sehr wichtig. Und wir behandeln keine Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen, denn diese benötigen eine medizinische Überwachung, welche wir im Home Treatment nicht gewährleisten können.
Bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung ist eine Behandlung bei uns ausgeschlossen, da die Patienten zu ihrem eigenen Schutz und dem anderer stationär behandelt werden müssen. Zudem müssen die Patienten über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.
Ist der Personalaufwand beim Home Treatment grösser als bei einem stationären Aufenthalt?
Nein, der Personalaufwand ist sogar kleiner und gleichzeitig intensiver. Dadurch, dass die immer gleichen Bezugspersonen im täglichen Kontakt mit der Patientin oder dem Patienten stehen, wird die therapeutische Beziehung sehr eng. Patienten und Bezugspersonen empfinden dies als positiv.
Welches sind die Vorteile von Home Treatment gegenüber einer stationären Behandlung?
Der Patient oder die Patientin bleibt im gewohnten Umfeld. Gerade Eltern haben grosse Mühe mit der Vorstellung einer stationären Behandlung, die sie von ihren Kindern trennt. Sie empfinden die Behandlung zu Hause auch als weniger stigmatisierend als den Aufenthalt in einer Klinik.
Wenn man den Patienten zu Hause besucht, versteht man die Gesamtsituation viel besser, kann die Lage besser einschätzen und darauf reagieren.
Ausserdem ist es wirtschaftlich günstiger, da es als ambulante Behandlung abgerechnet wird, ohne dass die Behandlungsdauer gegenüber einer stationären Behandlung verlängert wird.
Gibt es auch Nachteile?
Ein Nachteil kann sein, dass man weiterhin den Belastungsfaktoren zu Hause, zum Beispiel bei Beziehungsproblemen oder Überlastung im Alltag, ausgesetzt ist. Aber auch das kann in den Gesprächen thematisiert werden und zur Therapie eingesetzt werden.
Lesen Sie hier einen Erfahrungsbericht zum Home Treatment:
Sie bieten Home Treatment für Personen von 18 bis 64 Jahren an. Warum?
Unsere Fachpersonen sind alle in der Erwachsenenpsychiatrie tätig. Für Kinder- und Jugend- oder für geriatrische Psychiatrie bräuchten wir andere Ressourcen und eine fachliche Ausbildung. Dies ist aber in Planung.
Seit kurzem bieten die PDAG auch die Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Home Treatment an. Wie unterscheidet sich diese von der Behandlung Erwachsener?
Abgesehen von rechtlichen Besonderheiten im Umgang mit Minderjährigen müssen bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen spezielle entwicklungspsychologische und pädagogische Komponenten in die Behandlung einbezogen werden. Deswegen gibt es auch eine besondere Facharztweiterbildung in Kinder- und Jugendpsychiatrie in Abgrenzung zur Erwachsenenpsychiatrie.
Wie lautet Ihr bisheriges Fazit?
In den persönlichen Rückmeldungen sowohl unserer Patienten als auch unseres Teams wird das Home Treatment als erfolgreich empfunden. Dies wurde auch in den Begleitstudien zum Home Treatment wissenschaftlich bestätigt. Wenn man den Patienten zu Hause besucht, versteht man die Gesamtsituation viel besser, kann die Lage besser einschätzen und darauf reagieren.
Gibt es auch negative Erfahrungen?
Es ist immer schwierig, wenn jemand nicht transparent ist und Probleme verheimlicht. Wenn sich zum Beispiel herausstellt, dass die Patientin Drogen konsumiert, was im Zusammenspiel mit den verschriebenen Medikamenten gefährlich wird und auch krankheitserhaltend ist. Überwachen können wir dies im Home Treatment nur bedingt.
In der Regel sind die Patienten aber sehr kooperativ, motiviert und transparent. Vor der Behandlung schliessen wir eine Behandlungsvereinbarung ab, in der steht, dass der Konsum von Drogen und Alkohol verboten ist. Das wird bei Bedarf auch getestet.
Wie funktioniert das mit der Medikamentenabgabe?
Nachdem wir die Patienten in einem Indikationsgespräch kennengelernt haben und über die Medikation aufgeklärt haben, geben wir die Medikamente jeweils für eine Woche ab. Bei Neueinstellungen sind wir neben den täglichen Besuchen auch über das Pikett-Telefon jederzeit bei Fragen erreichbar. Bei Bedarf besuche und berate ich die Patienten bei Medikamentenfragen auch vor Ort.
Im Home Treatment werden Patientinnen und Patienten statt stationär in der Klinik in ihrem gewohnten Umfeld zu Hause betreut. Sie erhalten täglich Besuch von einem multiprofessionellen Team bestehend aus Ärztinnen, Psychologen, Pflegefachpersonen und einer Sozialarbeiterin. Zudem ist das Personal rund um die Uhr per Telefon erreichbar. Benötigte Medikamente werden jeweils für eine Woche abgegeben und in Eigenverantwortung eingenommen. Das Modell eignet sich besonders für Patientinnen und Patienten mit Familie. Inwieweit diese in den Prozess einbezogen wird, entscheiden sie selbst. Ins Home Treatment überwiesen werden Patientinnen und Patienten nach einer Abklärung durch klinikinterne oder auch externe Fachpersonen.
Was können Sie zum Erfolg beim Home Treatment im Vergleich zu einer stationären Behandlung sagen?
In unseren Studien zur Behandlung im Home Treatment konnte festgestellt werden, dass die Behandlungsqualität gegenüber einer stationären Behandlung gleichwertig ist und dass sogar die Behandlungsdauer kürzer ist. Auch die Rückfallquote ist niedriger, da man nicht, wie nach einer stationären Behandlung, aus einem geschützten Rahmen in den Alltag kommt und da erst lernen muss, das Erlernte umzusetzen. Im Home Treatment passiert dieser Schritt parallel zur Behandlung. Unser Bemühen ist es ausserdem, dass gegen Ende der Behandlung die anfangs zu 100 Prozent krankgeschriebenen Patientinnen und Patienten mit unserer Begleitung schrittweise wieder in die Arbeitswelt zurückfinden.
- Psychiatrische Dienste Aargau www.pdag.ch
Suche nach «Home Treatment» - Psychiatrische Universitätsklinik Zürich www.pukzh.ch
Suche nach «Home Treatment» - Luzerner Psychiatrie
www.lups.ch
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