«Meine Mutter droht immer wieder mit Suizid»
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«Meine Mutter droht immer wieder mit Suizid»

Lesedauer: 4 Minuten

Die Eltern von Maya, 13, streiten ständig und wollen sich scheiden lassen. Die Mutter droht zudem, sich das Leben zu nehmen. In ihrer Not wendet Maya sich an Sarah Zanoni.

Text: Sarah Zanoni
Bild: Adobe Stock

«Frag doch mal Sarah»

Meine Eltern streiten die ganze Zeit und es ist auch schon klar, dass sie sich scheiden lassen. Ich habe Angst, dass ich dann einen Elternteil nicht mehr sehe und der Kontakt zerfällt. Mein Vater will ausziehen und der einzige Grund, dass er noch nicht ausgezogen ist, sind ich und meine zwei Schwestern. Seit meine Eltern so viel streiten, schneide ich mir manchmal die Knöchel auf. Meine Mutter hat auch schon mehrmals auf irgendeine Art und Weise gesagt, dass sie Suizid begehen will. 
Maya, 13 

Liebe Maya 
Du steckst zuhause in einer ziemlich stark belasteten Situation – das tut mir sehr leid! 
All die Dinge, die du hier schilderst, sind schon für sich allein ein grosses Thema: die Streitereien deiner Eltern, die wahrscheinliche Trennung oder Scheidung, deine Selbstverletzung mit den Knöcheln und dann noch die Angst, dass deine Mutter nicht mehr leben möchte.  

Du und deine Schwestern müsst da ganz schön viel aushalten. Ich bin deshalb wahnsinnig froh, dass du dir Hilfe holen willst. Am besten du informierst noch andere Erwachsene, denen du vertrauen kannst. Zum Beispiel deine Lehrperson oder jemand aus deiner Verwandtschaft, wie eine Gotte oder einen Götti? Manchmal ist es aber einfacher, man spricht mit einer aussenstehenden, neutralen Person über solche Sorgen.

Da gäbe es zum Beispiel die Schulsozialarbeiterin an deiner Schule. Da könntest du hingehen und alles erzählen. Sie hat Schweigepflicht und kann dich beraten oder mit dir zusammen nach Lösungen suchen. Schweigepflicht bedeutet, dass sie das, was du ihr anvertraust, nur mit deiner Einwilligung weitererzählen darf. Sie könnte dann mit deinen Eltern sprechen und ihnen klarmachen, wie gross deine Sorgen sind. 

Manche Eltern denken, eine Scheidung wäre das Schlimmste. Doch die Kinder leiden viel mehr darunter, wenn sie mitten im Elternstreit aufwachsen müssen.

Das Leiden der Kinder

Viele Eltern, die vor einer Trennung stehen oder einfach viele Konflikte haben, sind sich oft überhaupt nicht bewusst, dass ihre Kinder massiv darunter leiden. Jeder Streit macht eine schreckliche Stimmung zuhause und als Kind nimmt man das sofort wahr, auch wenn es nicht einmal richtig laut wird. 

Manchmal können sich Eltern einfach noch nicht dazu entschliessen, einen Schlussstrich unter die Beziehung zu setzen. Sie halten die Situation viel länger aus, als es für ihre Kinder gesund und erträglich wäre. Manche denken, für die Kinder wäre eine Scheidung der Eltern das Allerschlimmste und sie dürften diesen Schritt nicht machen. Doch in Wahrheit leiden Kinder viel mehr darunter, wenn sie mitten im Elternstreit aufwachsen müssen.

Denn auch du und deine Schwestern brauchen ein Daheim, wo es einfach nur friedlich ist. Wo du Spass haben kannst, dich um deine Sachen wie Schule, Freundinnen und Hobbys kümmern oder auch nur chillen kannst. 

Die Knöchel aufschneiden ist ein riesiges Alarmzeichen

Du schreibst, dass du dir manchmal deine Knöchel aufschneidest. Das ist ein riesiges Alarmzeichen, wie schlecht es dir zuhause geht. Deutlicher kannst du es ja gar nicht zeigen, dass du das Ganze nicht mehr aushalten kannst. Der Druck wird für dich jeweils so gross, dass du es nicht mehr aushältst und einfach nur ein Ende davon haben willst. Sich in die Haut zu schneiden, bis es blutet, führt augenblicklich zu einem Gefühl der Erleichterung – weil eben das unerträgliche Druckgefühl plötzlich weggeht. Ich habe darüber in einer früheren Kolumne berichtet. 

Ich kann wirklich gut verstehen, dass dir oft alles zu viel wird. Aber ich bitte dich: Hol dir sofort Hilfe, wenn sich die Lage für dich wieder zuspitzt. Du kannst jederzeit (Tag und Nacht) die Telefonnummer 147 von Pro Juventute wählen. Dort kümmert sich dann eine Fachperson sofort um dich und spricht mit dir am Telefon, bis es dir wieder etwas besser geht.  

Bitte trau dich, deiner Mutter zu sagen, wie sehr du Angst hast, sie zu verlieren.

Diese Nothilfe gibt es übrigens auch für Erwachsene: Man kann die Nummer 143 wählen und sich helfen lassen. Diese Nummer nennt man die «Dargebotene Hand» und sie steht den Menschen ebenfalls rund um die Uhr zur Verfügung. Vielleicht kannst du deiner Mama einmal davon erzählen und sie bitten, sich Hilfe zu holen, wenn es ihr schlecht geht. 

Angst um die Mutter

Bitte trau dich, ihr zu sagen, wie sehr du Angst hast, sie zu verlieren. Ich glaube, es würde ihr helfen, zu merken, dass du und deine Schwestern sie noch ganz ganz lange als Mutter braucht. Vielleicht hat sie nämlich nur aus Wut, Enttäuschung oder Traurigkeit gesagt, dass sie nicht mehr weiterleben oder sich was antun will. Natürlich soll man solche Äusserungen immer ernst nehmen. Aber es ist von der Person selbst oft auch Ausdruck einer momentanen Überforderung. 

Ich finde es extrem wichtig, dass deine Mutter weiss, wie viel Angst sie damit bei dir ausgelöst hat. Dann kann sie dir nämlich versichern, dass sie so etwas niemals wirklich machen würde. Oder sie könnte sich Hilfe holen bei einer Therapeutin oder einem Arzt.  

Kontakt nach einer Trennung

Nun möchte ich noch etwas zum Kontakt zwischen dir und deinen Eltern sagen, wenn sie dann wirklich einmal getrennt leben sollten. Ich begleite sehr viele Kinder und Jugendliche, deren Eltern getrennt wohnen und geschieden sind.

In jedem Fall ist es möglich, eine gute Lösung für dich zu finden: Du wirst deine Mama und deinen Papa immer sehen können und in Kontakt bleiben, wenn du das möchtest. Egal, bei wem du dann wohnen wirst. 

Ich kenne ganz viele Kinder, die freuen sich total, wenn sie ihren Papa oder ihre Mama besuchen gehen. Weil der Elternteil sich dann ebenfalls auf das Kind freut und sie zusammen eine schöne Zeit erleben. Vertraue darauf: Beide Eltern lieben dich und deine Schwestern. Sie wollen beide das Beste für euch. Und deshalb wird es bestimmt eine gute Lösung geben! 

Frag doch mal Sarah

In unserer Rubrik «Frag doch mal Sarah» beantwortet Jugendcoach Sarah Zanoni Fragen von Kindern und Jugendlichen.

Hast du auch eine Frage, die du ihr gerne stellen würdest? Dann sende eine E-Mail an online@fritzundfraenzi.ch oder kontaktiere uns auf unseren Social-Media-Kanälen.

Jugencoach Sarah Zanoni

Sarah Zanoni
arbeitet seit rund 20 Jahren als Jugendcoach mit Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen. Sie hält Vorträge und Seminare rund ums Thema Kind und Jugend und hat Bücher dazu publiziert. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und lebt im Kanton Aargau. Ihre Hobbys sind ihre Hunde, Krimis, Reisen und Schreiben.

Alle Texte von Sarah Zanoni

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