5 Konflikte und wie Eltern hier sinnvoll Grenzen setzen
Der Alltag mit Kindern ist anspruchsvoll. Die pädagogische Psychologin Sarah Zanoni kommentiert 5 typische Konfliktsituationen und sagt, wie Väter und Mütter darauf reagieren können.
1. «Ich will auch!» – Eifersucht unter Geschwistern
Die Sechsjährige ist untröstlich. Ihre grosse Schwester darf nach dem Znacht nochmal für eine Stunde mit ihren Freundinnen vor die Tür – und sie nicht. «Ich will auch!», brüllt das Mädchen.
Die Eltern wissen: Wenn «die Kleine» auch rausgeht, wird es spät und das Kind wird am Folgetag müde sein. Aber alle Begründungen der Eltern – morgen ist Schule, die Schwester ist vier Jahre älter – helfen nichts. Das Mädchen tobt und marschiert zielstrebig auf die Wohnungstür zu.
Sarah Zanoni: Eifersucht unter Geschwistern ist die Angst, von etwas weniger zu bekommen als das andere Kind. Egal, worum es geht: Zuwendung, Medienzeit, Süssigkeiten – Geschwister vergleichen sich fast immer.
Hier möchte die Jüngere das gleiche Recht wie die Ältere. Dabei ist es wichtig, auf dem Unterschied (in diesem Fall: des Alters) zu bestehen und der Jüngeren ruhig, sicher und klar zu vermitteln: Nein, du darfst nicht rausgehen, weil es zu spät für dich ist.
Der Frust des Kindes wird sich umso rascher legen, je klarer die Eltern in einer Sache sind.
Wenn du zehn Jahre alt bist, wirst du auch um diese Zeit nach draussen gehen dürfen. Der Frust der Sechsjährigen wird sich umso rascher legen, je konsequenter und klarer die Eltern in dieser Sache sind.
2. «Die Hausaufgaben mache ich bei meinem Freund» – leere Versprechen
«Hallo Papa, ich geh zu Juri», ruft der neunjährige Henry, als er nachmittags von der Schule heimkommt. «Ich mache die Hausaufgaben mit ihm.» Der Rucksack fliegt in die Ecke, die Tür knallt hinter ihm ins Schloss.
Als der Vater eine Stunde später aus dem Fenster schaut, sieht er die Buben auf der benachbarten Wiese Fussball spielen. Als Henry zum Abendessen heimkommt, ist er müde, aber glücklich. Die Hausaufgaben hat er nicht gemacht. Wie so oft. Die Eltern ärgert das sehr. Aber: Versuchen sie Juri direkt nach der Schule für die Hausaufgaben zu verpflichten, stossen sie auf Widerstand.
Zanoni: Die Eltern sollten Henry mit seinem Schwindel konfrontieren. Davon, Henry zu bestrafen, würde ich absehen. Sein Verhalten hat ja eine Ursache: Warum fällt es ihm so schwer, Hausaufgaben zu machen? Das Ziel müsste sein, dass Henry das Thema Schule positiv vernetzen kann statt mit Frust und Stress.
Dies kann gelingen, indem man mit Henry einen kleinen Vertrag abschliesst: Er muss die Aufgaben vor 20 Uhr erledigt haben, aber wann genau, entscheidet er selbst. Er darf einen Timer für kurze Arbeitszeiten stellen. Nach einer zehnminütigen Pause soll er eine weitere Sequenz arbeiten. Diese Methode hilft deshalb gut, weil sie Henrys Autonomiebedürfnis entspricht. Hält Henry den Vertrag ein, sollte das von den Eltern mit anerkennenden Worten kommentiert werden.
3. «Bleib hier, Mama!» – das Kind lässt Eltern keine Zeit für sich
«Mama, kommst du mal», «Mama, Durst», «Mama, ich will zu Carla, bringst du mich?» – ihre beiden Kinder, vier und sechs Jahre alt, halten die 39-jährige Katja ganz schön auf Trab. Zeit für sich hat sie kaum, doch neu möchte sie einmal pro Woche am Abend zum Sport.
Nur wer gut zu sich selbst schaut, kann auch gut zu anderen schauen.
Zweimal musste sie schon absagen, weil der Vierjährige sie nicht gehen liess. Sobald sich die Mutter verabschieden will, fängt er an zu schreien, rennt hinter ihr her, klammert sich an sie. Der Vater kann nichts ausrichten. Der Bub beruhigt sich erst, wenn Katja verspricht zu bleiben. «Er ist ja noch so klein», sagt sie sich dann – und ist frustriert.
Zanoni: Der Wunsch der Mutter nach mehr Zeit für sich selbst ist verständlich und gesund. Nur wer gut zu sich selbst schaut, kann gut zu anderen schauen. Doch nicht jedes Kind kann sich gleich früh von seiner engsten Bezugsperson lösen. Daher sollte die Mutter ihre ‹Freizeit› nicht erzwingen. Sie sollte genau beobachten, wann sie zeitlich aus dem Haus geht: Fällt der Zeitpunkt in eine Tageszeit, in der ihr Sohn bereits müde, hungrig oder quengelig ist, wäre dies ungünstig.
Man kann kurze Trennungen zu einem anderen Tageszeitpunkt üben und sie so zu etwas Normalem machen. Vielleicht am Wochenende tagsüber, wenn Papa Zeit hat oder die Grosseltern einspringen können. Klappt dies gut, kann man diese Trennungsphasen nach und nach ausdehnen und Mama kann irgendwann zum abendlichen Sport wegbleiben. Oft hat das Kind nach dem ersten Moment der Trennung kein Problem mehr – sofern eine vertraute Bezugsperson bei ihm ist.
4. «Nur noch kurz» – das Kind hält sich nicht an Medienzeiten
«Nur noch kurz!», das hören die Eltern des zwölfjährigen Kai ständig. In seiner Freizeit spielt er am liebsten Computergames. In der Schule läuft es ganz gut und auch in seinem Fussballverein ist Kai gut integriert. Trotzdem sind seine Eltern darum bemüht, die Computerzeit zu begrenzen. Sie haben sich mit Kai auf zwei Stunden pro Tag geeinigt. Sind diese um, möchte Kai trotzdem nicht aufhören.
Zanoni: Grenzen setzen bei der Mediennutzung gehört heute zu den häufigsten Ärgernissen im Familienalltag. Jungs und Mädchen vergessen alles rundherum, wenn sie sich an ihren elektronischen Geräten vergnügen. Hier gilt es mit dem Kind vorgängig zu besprechen, wann und wie lange es online gehen und was es dabei machen darf. Trotzdem wird es bei vielen Kindern Stress geben, wenn die Eltern zum Abschalten mahnen.
Oft hilft nur, wenn man logische Konsequenzen folgen lässt: die Zeit, die das Kind am Gerät überzieht, darf es am nächsten Tag weniger dran sein. Natürlich wird es zu Diskussionen, Tränen, Wut oder Betteln kommen – doch die meisten Kinder lernen schnell, wenn sie damit nicht durchkommen.
5. «Lasst mich in Ruhe!» – die Teenagerin macht, was sie will
Chiara ist 14 und fühlt sich schon ziemlich erwachsen. Sie fragt ihre Eltern in letzter Zeit kaum mehr um Erlaubnis und verbringt die Abende oft «draussen». Was sie dort tut, erzählt sie ihren Eltern nicht. Chiara riecht nach Tabak und die Mutter findet eine leere Zigarettenbox in Chiaras Sporttasche. Darauf angesprochen, flippt Chiara total aus.
Zanoni: Chiara ist in der Pubertät – die Zeit der Identitätsfindung, die für die meisten jungen Menschen mit viel Unsicherheit und Stress einhergeht. Wer Chiara sein will, muss sie selbst gerade herausfinden. Und dies tut sie, indem sie mit anderen Jugendlichen zusammen ist. Das Ausprobieren von Suchtmitteln wie Tabak, Alkohol oder Drogen gehört leider dazu.
Ihre Eltern sollten weder Vorwürfe noch Verbote machen, denn dies würde Chiara nur von ihnen wegstossen. Vielmehr geht es darum, die Beziehung und das Vertrauen zu stärken. Die Mutter oder der Vater sollten ihrer Tochter Verständnis und Interesse an ihrer Welt entgegenbringen. Je neutraler sie sich betreffend Rauchen äussern, desto weniger muss Chiara das Rauchen als Widerstand und Provokation aufrechterhalten.
Es wäre gut, mit Chiara zu vereinbaren, dass sie Mutter und Vater darüber informiert, wohin sie abends geht. Und gemeinsam mit ihr eine Uhrzeit festzulegen, zu der sie nach Hause kommt. Die Eltern tun gut daran, Chiara zu zeigen, dass sie immer für ihre Tochter da sein werden, wenn sie sie braucht – egal was passiert. Die Chance ist gross, dass Chiara auf diese Art und Weise ihren Eltern wieder mehr anvertraut.