«Mama ich hasse dich!»

Bilder: Joel Sartore / Getty Image und Frank Muckenheim / Plainpicture
Was tun, wenn einem das Kind wutentbrannt und voller Verachtung böse Worte an den Kopf wirft? Erst einmal entspannt bleiben. Solche Sätze sind in der Regel nichts anderes als ein altersgerechter Ausdruck von Frustration.
habe? Ich habe meiner 4-jährigen Tochter den Fernseher ausgeschaltet. Da sprang sie mit geröteten Wangen und zusammengekniffenen Augen vom Sofa, stemmte die Hände in die Seiten und schüttelte wild den Kopf. Sie liebe mich nun ganz und gar nicht mehr.
«Ich lieb dich nicht mehr!», «Du bist doof !», «Blöde Mama!». Die meisten Eltern kennen solche Wutausbrüche. Diese und ähnliche Worte aus dem Mund des eigenen Kindes drehen vielen Müttern und Vätern das Herz in der Brust um. Und der schlimmste dieser Sätze lautet «Ich hasse dich!». Er kann Eltern eiskalt erwischen und schockieren. Doch wie kann man mit ihm umgehen? Wie sich selbst und dem Nachwuchs in der unschönen Situation helfen?
Kurzschlussreaktionen verhindern
Auch beim Gefühl der überwältigenden Hilflosigkeit hilft kurzweilige Ablenkung. Etwa Blumen giessen, Wäsche zusammenlegen oder mit dem Hund spazieren gehen. Und hat das Kind den Satz in aller Öffentlichkeit fallen lassen, heisst es: andere Menschen möglichst ignorieren, um weitere Aufregung zu vermeiden.
«Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Kinder und Jugendliche sich zu den Worten ‹Ich hasse dich!› hinreissen lassen»
Beate Schwarz, Professorin für Entwicklungs- und Familienpsychologie an der ZHAW.
Grenzen setzen, ohne dem Selbstwert zu schaden
«Dennoch sollten Eltern diesen Satz nicht einfach ignorieren, denn der Zorn und die Enttäuschung des Kindes sind in dem jeweiligen Moment sowohl echt als auch stark», erklärt Beate Schwarz. Ausserdem sollten Mutter und Vater den Kommentar ansprechen, um einen respektvolleren Umgang zwischen dem Nachwuchs und sich selbst zu fördern. Das Ziel bei diesem Gespräch: Kindern und Jugendlichen Grenzen setzen, ohne dem Selbstwertgefühl des Sohnes oder der Tochter zu schaden.
Deshalb ist es wichtig, dem Nachwuchs erst einmal zu signalisieren: «Ich habe dich trotzdem lieb.» Sowohl bei einem Kind als auch bei einem Teenager sind Sätze denkbar wie: «Es tut mir leid, dass du mich hasst, weil ich dich liebe.»
«Helfen sie ihrem Kind, mit seinen eigenen Emotionen in Kontakt zu treten!»
Ausserdem ist es wichtig, dass Mutter und Vater erklären, wieso sie nicht auf den Wunsch des Kindes eingehen wollen oder können. Etwa: «Wenn du länger fernschaust, wirst du weniger Schlaf bekommen und morgen den ganzen Tag müde sein. Dadurch wirst du keinen Spass beim Spielen haben.» Indem Eltern kurz ihre Gründe erklären, verhindern sie, dass das Kind ihr Verbot als Willkür empfindet. Stattdessen machen Mutter und Vater deutlich: Unser Handeln ist nachvollziehbar und an dein Wohlbefinden geknüpft.
Eltern prägen die Kommunikation mit dem Kind
Gerade wenn es im Alltag schnell gehen soll, fallen solche Kommentare allzu leicht – und womöglich ohne dass man es merkt. «Mütter und Väter sollten jedoch zum Wohl der Beziehung zu ihren Kindern auf sie verzichten», sagt Beate Schwarz. Durch ihre grosse Vorbildfunktion können sie die Kommunikation mit ihrem Kind stark prägen.
In einigen Fällen werden Eltern den Dialog mit ihrem Nachwuchs nicht verbessern können. Dann fallen Kommentare wie «Ich hasse dich!» allzu oft. Gibt es keinen Raum mehr für ein ruhiges Gespräch und entsteht bei Mutter oder Vater Leidensdruck, empfiehlt es sich, professionelle Hilfe aufzusuchen.
Aber in der Regel ist ein vereinzeltes «Ich hasse dich!» ein normaler Kommentar, sowohl von Kindern als auch von Jugendlichen. Wenn Eltern dann dem Kind helfen, mit seinen starken Emotionen fertigzuwerden und zudem kompromissbereit und respektvoll Grenzen setzen, dann stärkt das nicht nur die Streitkultur in der Familie – es fördert auch die künftige Kommunikations- und Konfliktfähigkeit ihres Kindes.
Zur Autorin:
4 Tipps für den Umgang mit dem kindlichen Hass
- Wichtig ist der Austausch der Eltern untereinander und eine Absprache darüber, wie man auf das «Ich hasse dich!» reagiert. Kinder und Jugendliche sollten nicht zwei grundlegend unterschiedliche Reaktionen der Eltern erleben.
- Wenn die Bestürzung über die drei Worte anhält, können Mütter und Väter in Elterngruppen Austausch suchen. Das Gespräch mit anderen betroffenen Eltern kann eine wichtige emotionale Stütze sein.
- Eltern sollten mit Jugendlichen mindestens zwei Kommunikationsregeln befolgen: das aufmerksame gegenseitige Zuhören und das respektvolle Ausredenlassen.
- Je früher die Eltern ihrem Nachwuchs die Gründe für die Verbote kurz und nachvollziehbar erklären, desto förderlicher ist das für die langfristige Kommunikation in der Familie.
Hier finden Eltern Hilfe
- Jugendberatungsstelle der Stadt Zürich: Kostenlose telefonische Kurzberatungen sowie psychologische Beratung und Therapie für Jugendliche und Eltern der Stadt Zürich
- Elternnotruf: 24-Stunden-Beratung per Telefon oder E-Mail für Eltern
- Beratung für Eltern entwicklungsverzögerter Kinder und Jugendlicher
- Zentralstelle für Ehe- und Familienberatung
- Pro Juventute
«Jugendliche sollten eigene Lösungen vorschlagen»
Während der Pubertät kommt es oft zu Streit mit den Eltern. Fallen böse Worte, sollen Mütter und Väter in einem ruhigen Moment die zugrunde liegenden Konflikte thematisieren, rät Psychotherapeutin Gabrielle Marti.
Frau Marti, gerade Jugendliche gehen oft auf Konfrontationskurs mit den Eltern. Wie sollten diese reagieren, wenn ihr Teenager «Ich hasse dich» zu ihnen sagt?
Dieses Entwicklungsverständnis hilft Eltern, im eskalierten Streit emotional Abstand zu gewinnen, damit sie auf «Ich hasse dich» nicht gleichermassen impulsiv reagieren wie ihre Kinder. Danach braucht es meist Zeit, um die eigenen Gefühle zu ordnen. Erst dann sollte man das Gespräch über den Auslöser des Wutausbruches mit dem Kind wieder aufnehmen. Bei Jugendlichen – im Gegensatz zu Kindern – kann dies auch erst nach ein paar Tagen sein.

Wie sollte dieses Gespräch ablaufen?
Und dann?
Oft macht es Sinn, gegensätzliche Positionen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern konkret zu benennen, um diese im Anschluss daran aushandeln zu können. Dabei ist es hilfreich, dass Eltern wie Jugendliche nicht nur ihre Position vertreten, sondern auch die zugrunde liegenden Sorgen und Wünsche. Bei der Suche nach Kompromissen ist es hilfreich, den Sohn oder die Tochter aufzufordern, eigene Lösungsvorschläge einzubringen und altersgerecht Verantwortung zu übernehmen. Schriftliche Vereinbarungen von Regeln können zur Klärung und Verbindlichkeit beitragen.
Es gibt auch Situationen, in denen Eltern und Jugendliche über längere Zeit nicht mehr miteinander ins Gespräch kommen.
Zur Person:
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