Unsere Kinder brauchen «meh Dräck» – und mehr Zuversicht
In der digitalisierten Welt fehlt Wesentliches. Trotzdem wird sich die kommende Generation darin finden, schreibt unsere Kolumnistin Michèle Binswanger.
Es ist während der Pandemie passiert, still und leise und doch unübersehbar: Eben noch waren es die Millennials, die unter dem aufmerksamen Blick globaler Marketing-Fachleute definierten, was hip und angesagt ist. Jetzt sind die Millennials erwachsen, sesshaft – und weniger interessant geworden. Nun ist die Generation Z am Zug, auch Generation Woke genannt.
Ich kann diese Generation von sehr nahe betrachten, denn ich habe zwei Vertreter davon zu Hause, oder besser eine Vertreterin und einen Vertreter. Sie sind die ersten, die in die digitalisierte Welt hineingeboren wurden. Sie sind informiert und organisiert wie keine Generation zuvor. Die Welt liegt ihnen zu Füssen – oder ist zumindest per Handy mit einem Klick abrufbar.
Die Jungen starren in die blutleere Welt der Smartphones, die so viel verspricht. Und uns am Ende des Tages doch leer und alleine fühlen lässt.
Als Mutter und Vertreterin der Generation X, der letzten Generation, die noch analog aufgewachsen ist, zweifle ich manchmal daran, dass dieser omnipräsente digitale Zugang zur Welt diese wirklich besser macht. Oder die Menschen, die darin leben.
Vielleicht ist Zweifel aber auch das falsche Wort. Vielleicht ist es mehr eine Melancholie, die der analogen Welt nachtrauert, wie ich sie noch erlebt habe. Sie ist verloren, denn die digitale Welt, die sie ersetzt, ist aufregender, bunter und pflegeleichter. Aber ihr fehlt auch etwas Wesentliches, ohne das die Menschen nicht glücklich werden können.
In meinen Ferien habe ich Ernest Hemingways «A Moveable Feast» gelesen, das Buch über seine Zeit im Paris der Zwanzigerjahre. Er hat kein Geld und sitzt deshalb zum Schreiben im Café, wo es warm ist, und beobachtet dabei die Welt. Er sieht dem Licht zu, wie es sich im Verlaufe des Tages verändert. Den Menschen, die an ihm vorbeiflanieren, den grossen Pferden, die den Boulevard heraufziehen.
Wenn heute jemand dem Licht zuschaut, wie es sich verändert, oder den Menschen, die sich in den Strassen statt auf Instagram bewegen, ist er kaum mehr jung. Die Jungen starren in die blutleere Welt des Smartphones, die so viel verspricht. Und uns am Ende des Tages doch leer und alleine fühlen lässt.
Ich bin dennoch voller Hoffnung, gerade wenn ich meine beiden Generation-Z-Kinder anschaue.
Altrocker Chris von Rohr forderte einst «meh Dräck» und traf damit einen Nerv. Denn der Mensch als analoges Wesen braucht «Dräck», braucht Gerüche, Reibung, Licht, Nähe. Dass wir uns davor gerade in der digitalisierten Welt mittlerweile durch Masken schützen müssen, macht die Sache nicht einfacher.
Dennoch bin ich voller Hoffnung, gerade wenn ich meine beiden Generation-Z-Kinder anschaue. Die analoge Welt, wie wir sie kannten, mag zunehmend verloren gehen. Sie aber werden sich finden und ihre eigene Welt schaffen, wie jede andere Generation zuvor. Und irgendwann werden sie voller Melancholie die nächste Generation betrachten und der Welt nachtrauern, die sie als junge Menschen erobert haben.