Wissen: Von Aperol und der Angst, den Anschluss zu verlieren
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Von Aperol und der Angst, den Anschluss zu verlieren

Lesedauer: 2 Minuten

Kinder! Zuerst verpasst sie ihretwegen so manches, doch als Teenager halten sie unsere Kolumnistin auf dem neuesten Stand.

Text: Mirjam Oertli
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Kamele haben drei Augenlider, Fische dagegen besitzen gar keine. Und Kraken können mit zwei Armen aufrecht gehen wie auf Beinen. Haben Sie das gewusst? Ich nicht. Erst kürzlich schaute ich mit unserem Sohn dieses Buch an, das uns mal geschenkt worden war. Davor war ich ahnungslos gewesen, was derartige anatomische Besonderheiten von Tieren angeht.

Es ist schon ein vielfältiges Wissen, das einem ein Haushalt mit Kindern so entgegenspült. Mir war das lange nicht bewusst. Ein solcher Haushalt wirkt anfangs ja eher wie ein Meer aus Mandelöl und Feuchttüchern, in dem sich gut ertrinken lässt.

Wie oft ich damals aufschreckte, wenn ich mal wieder mitbekam, was ich nicht mitbekommen hatte! Über welche Serie gerade alle reden. Oder dass «man» längst auf Facebook ist. Und dann gab es diesen Moment, in dem ich realisierte: Die halbe Welt trinkt so was Knallorangenes – und ich habe keine Ahnung!

Nun lässt sich aus dem Verpassen von Getränketrends noch nicht der Ausstieg aus der Zivilisation diagnostizieren. Aber wenn ich schon das Umsichgreifen des Aperol Spritz versäumt hatte: War nicht auch Relevantes, bloss weniger Grelles an mir vorbeigegangen? Weil ich stattdessen mit Kartoffelbrei beschäftigt war? Der Brei gelang inzwischen fluffig. Doch verfestigte er ein Gefühl: dass ich durch ihn Zugang fand zu einem nerdigen kleinen (Eltern-)Wissen, während das grös­sere Ganze aus dem Blick verschwand.

Facebook habe ich zwar verschlafen. Doch mit Snapchat-Filtern bin ich up-to-date – selbst wenn mein Avatar nie sein Outfit wechselt.

Der Familientisch als Hotspot

Dieses Gefühl hielt sich zäh. Jedoch nicht ewig. Man taucht ja wieder auf. Und mit den Jahren – in letzter Zeit vor allem – scheint es mir manchmal fast zu kippen. Jetzt nicht mit Fun Facts über Kraken und Kamele. Auch nicht damit, dass man den Stoff aus dem Unterrichtsfach NMG (Natur, Mensch, Gesellschaft) schon bald rezitieren kann, zumal bei mehreren Kindern.

Doch ich, die einst selbst Lionel Messi nur knapp dem richtigen Sport zuordnen konnte, weiss heute, dass Erling Haaland 23 Länderspiele für Norwegen bestritt. Jedenfalls zum Produktionszeitpunkt unseres Fussballquartetts. Facebook habe ich vor Jahren zwar verschlafen. Doch mit Snapchat-Filtern bin ich «up to date» – selbst wenn mein Avatar nie das Outfit wechselt. «Flexen», «goated» oder «slay»? Kann ich korrekt verwenden. Obwohl ich lieber damit «flexe», wie gut ich weiss, wie «cringe» das in meinem Alter wäre.

Was ich alles nicht wüsste und erführe, wenn ich meine Teenager nicht hätte!

So liefert mir das Familien­leben stetig neue Updates. Unauffällig, wie geschenkt, laufen sie ab, im Hintergrund gewöhnlicher Abendessen am heimischen Tisch. Sie statten mich nicht nur mit Jugendslang und Fussball-Scores aus, sondern auch mit Wissen um viral gegangene Memes und aufstrebende Rapperinnen. Oder mit jugendlichen Perspektiven auf noch weltbewegendere Dinge.

Manchmal muss ich dann lachen. Darüber, dass ich einmal dachte, man würde mit Kindern den Zeitgeist verpassen. Es sind doch längstens sie, die dafür sorgen, dass ich den Faden nicht verliere. Jenen zu Neuem – und jenen zwischen den Generationen. Was ich alles nicht wüsste und erführe, wenn ich sie nicht hätte! Und was den Aperol von damals betrifft … da drücke ich gerne zwei Augen zu. Mit allen Augenlidern, die ich habe.

Mirjam Oertli
ist freie Journalistin und Buchautorin («Wer auf dem Handy kein gratis Internet hat, ist tot!», «Jetzt stellen Sie doch das Kind mal ruhig!»). Sie ist Mutter von zwei Teenagern und einem Primarschulkind und lebt mit ihrer Familie in Luzern.

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