Mutter sein: Vom Gewicht des Zuständigseins
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Vom Gewicht des Zuständigseins

Lesedauer: 2 Minuten

Manchmal spürt unsere Kolumnistin eine Schwere und es fehlt ihr an Leichtigkeit. Dann merkt sie, dass es daran liegen könnte, dass sie schon eine ganze Weile Mutter ist.

Text: Mirjam Oertli
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Es gibt Tage, da fehlt es mir an Leichtigkeit. Kennen Sie das? Man schleicht sich morgens ins Bad und wundert sich, woher das ganze Gewicht kommt. Ist es Wintermüdigkeit?, frage ich mich dann. Die Weltlage? Oder einfach zu viel Netflix am Vorabend?

Ab und zu fällt mir aber auch auf, dass ich schon eine ganze Weile Mutter bin. Und dann stelle ich mir all die Gedanken vor, die ich mir seither gemacht habe. Laufend, oft mehrspurig, teilweise verflochten, gerade so, als wäre so ein Elternkopf das Brüttiseller Kreuz. Jeder einzelne zwar meist nicht der Rede wert, gut tragbar jedenfalls. Doch manchmal, eben, da scheint sich alles zu kumulieren zu einer gefühlten Schwere.

Kinder sind wunderbar. Sie füllen das Leben mit Farbe und Freude. Mit Filzstiftflecken an den Wänden, wenn sie klein sind. Und mit Peniskritzeleien auf der Butter, wenn sie grösser werden. Sie füllen es aber auch mit der Notwendigkeit, eine Meinung zu haben, zum Beispiel zu Pastinakenbrei aus dem Gläsli und zu Kieferorthopädie. Oder mit der Unvermeidlichkeit, spätabends noch bei Lehrer Schmidt auf Youtube zu schauen, wie man Potenzen potenziert. Und gelegentlich auch mit richtigen Sorgen.

Das Zuständigsein hat sich so sehr verinnerlicht, dass ich es meistens gar nicht merke.

Aber man wächst ja hinein. Schon kurz nachdem wir unser Bündel mit dem schiefsitzenden Mützchen im Maxi-Cosi heimgetragen hatten, merkten wir: Die Fragen und Dinge, die wir von nun an bedenken oder tun sollten, lauern überall – vom Deuten des Weinens und dem Studieren des Impfplans bis zum Anbringen des Eckschutzes am Couchtisch. Manchmal stellten sie sich auch direkt in den Weg. Wie beim Abwägen zwischen Notfalltropfen und Notfallstation nach dem Sturz von der Schaukel. Und dass sich einiges wirklich falsch machen lässt, hatte ich schon als Schwangere nach dem Googeln von «Rohmilchkäse» geahnt.

Was Elternschaft vor allem bedeutet

Eins ums andere Mal hangelt man sich also durch, autodidaktisch quasi. Denkt, erwägt, tut, begleitet. So häufen sie sich an, die gemachten Gedanken und Sachen. Kumulieren sich, wie gesagt, oder wars potenzieren? Bis man tief drin mehr spürt als weiss, dass Elternschaft vor allem eines bedeutet: zuständig zu sein. Jetzt. Immer. Heute. Und auch morgen.

Denn ob der Vape-Konsum steigt oder die Noten sinken: Das Hangeln setzt sich fort. Wird nun auch öfters zum Balanceakt zwischen Zetern und Predigen, Verstehen und Trösten und wieder Youtube, je nachdem. Zumal das Zuständigsein sich längst verselbständigt hat, zum elterlichen Selbstverständnis. Damals, schwanger, biss ich gedankenlos in diesen Käse. Heute schiebe ich selbst die 17-Jährige noch automatisch an den Innenrand des Trottoirs, wenn ein Bus vorbeidonnert.

So sehr ist das verinnerlicht, dass ich es meistens gar nicht merke. Nur manchmal, eben, da scheint mir, als spürte ich ein Gewicht. Vielleicht ist es ein wenig wie mit diesen kühlen Nachmittagen auf dem Spielplatz. Gar nicht so kalt, denkt man lange. Und fühlt sich auf einmal durchgefroren bis auf die Knochen. Das sind dann jene Tage, die sich morgens schwer anfühlen. Zum Glück hilft, hier wie dort, meist eine warme ­Dusche.

Mirjam Oertli
ist freie Journalistin und Buchautorin («Wer auf dem Handy kein gratis Internet hat, ist tot!», «Jetzt stellen Sie doch das Kind mal ruhig!»). Sie ist Mutter von zwei Teenagern und einem Primarschulkind und lebt mit ihrer Familie in Luzern.

Alle Artikel von Mirjam Oertli

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