Cybermobbing: «Hoffentlich wirst du vergewaltigt»
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«Hoffentlich wirst du vergewaltigt»

Lesedauer: 2 Minuten

Die 14-jährige Lisa* wurde geohrfeigt und gefilmt und mit gefakten Sexfotos und Hassnachrichten gedemütigt. Mutter Sonja* über die seelische Not ihrer Tochter und die eigene Hilflosigkeit in einer schweren Zeit.

Text: Mirjam Oertli
Bild: Adobe Stock

Es begann in der Oberstufe. Die ersten Wochen lief es gut. Dann muss sich ein Mädchen aus einer anderen Klasse meine Tochter als ‹Opfer› ausgesucht haben. Aus heiterem Himmel verpasste sie Lisa Ohrfeigen, während andere die Szene filmten. Darauf folgten weitere Attacken. Lisa war jeweils so fertig, dass sie daheim sofort ins Bett ging. Bald waren die Filmchen auf Snapchat und in den Gruppenchats. Ich dürfe nichts unternehmen, flehte sie mich an. ‹Sonst passiert noch Schlimmeres.›

Als es kurz darauf zum Streit mit ihren Freundinnen kam, wandten sich auch diese gegen sie und das Gemobbe schwappte in Lisas eigene Klasse über. Man habe alles unter Kontrolle, hiess es, als ich Kontakt mit der Schule aufnahm. Die Schulsozialarbeiterin habe mit dem schlagenden Mädchen gesprochen und mit Lisas Klasse gearbeitet.

Früher war Lisa ein fröhliches Kind. Heute sieht man sie kaum mehr lachen.

Lisa wurde weiter bedroht: ‹Wegen dir hat die andere jetzt Ärger. Pass auf, sonst verprügeln wir dich wieder.› Weil sie Angst vor Attacken auf dem Schulweg hatte, musste ich sie fahren. Dann kam ein Anruf der Schulsozialarbeiterin. Ein etwas aufreizendes Foto von Lisa, das sie mal einer Freundin geschickt hatte, war in Umlauf geraten. Doch nicht nur dies. Es kursierten auch Sexfotos und ein pornografisches Video, in das ihr Gesicht ‹montiert› worden war. In der Schule wurde gelacht, gejohlt, gerufen: ‹Geil machst du das! Darf ich auch mal?› Dies war der Moment, in dem meine Tochter sagte, sie gehe nicht mehr zur Schule. Daraufhin zog sie sich komplett zurück.

Schnellere Hilfe für Lisa

Wir sprachen mit der Lehrperson, der Schulsozialarbeiterin, dem Schulleiter. Irgendwann war Lisa bereit, den Unterricht wieder zu besuchen. Bis ihr jemand aus der Klasse schrieb, alle hassten sie, sie solle verrecken und werde hoffentlich wieder verprügelt. Ein anderes Mal hiess es: ‹Geh dich ritzen.› Und: ‹Hoffentlich wirst du vergewaltigt.› Davon haben wir Screenshots an die Schule geschickt. Gehört haben wir nichts.

Lisa fiel immer mehr in ein Loch, wollte nicht mehr essen, war aggressiv. Der Schulpsychologe rollte derweil Lisas vorhergehende Schulzeit auf. Sie habe doch früher schon wenig Kolleginnen gehabt. Als ob die Schuld für die Situation bei ihr läge.

Ich fühlte mich oft machtlos und nicht ernst genommen. Als alleinerziehende Mutter bin ich selbst an Grenzen gestossen, bekam Kopfschmerzen und fand keine Ruhe mehr.

Zum Glück hat sich die Situation inzwischen etwas beruhigt. Seit einiger Zeit wird Lisa einzelbeschult, bis eine neue Lösung gefunden ist. Sicher ist, dass sie nicht in eines der Schulhäuser des Bezirks zurückkehrt.

Dass alle diese Fotos und Filme, diese Demütigungen gesehen haben, ist verstörend. Früher war Lisa ein fröhliches Kind. Heute sieht man sie kaum mehr lachen. Und sie ist misstrauisch geworden. Was ich gelernt habe? Ich würde heute viel schneller Hilfe und Unterstützung suchen.»

* Namen von der Redaktion geändert

Infos, Rat & Hilfe

Schulungen, Beratungen und Interventionen zu Mobbing und Cybermobbing bieten der gemeinnützige Verein Zischtig.ch, die Fachstelle Hilfe bei Mobbing und Edufamily an.

Umfassende Informationen zu Cybermobbing sowie zur Rechtslage bietet die Website der Schweizerischen Kriminalprävention.
Hier informieren zwei kostenlose Broschüren über Cybermobbing, sexuelle Übergriffe und Abo-Fallen im Internet und zeigen auf, wie man sich schützen kann.
› PDF-Download für Eltern
› PDF-Download für Jugendliche

Cybermobbing ist ein aktueller Schwerpunkt von Jugend und Medien, der nationalen Plattform des Bundes zur Förderung der Medienkompetenz: www.jugendundmedien.ch/themen/cybermobbing

Mirjam Oertli
ist freie Journalistin und Buchautorin («Wer auf dem Handy kein gratis Internet hat, ist tot!», «Jetzt stellen Sie doch das Kind mal ruhig!»). Sie ist Mutter von zwei Teenagern und einem Primarschulkind und lebt mit ihrer Familie in Luzern.

Alle Artikel von Mirjam Oertli

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