Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl: Das starke Kind

Fotos: Alain Laboile
Wir wünschen uns Kinder, die dem Leben mit Mut begegnen. Die mit Misserfolgen, Schwierigkeiten und Rückschlägen umzugehen wissen – resilient sind. Kinder, die ihre Stärken kennen und nutzen und ihre Schwächen akzeptieren. Hier erfahren Sie, wie Sie Ihr Kind im Alltag stärken können.
Das Wichtigste zum Thema
Starke Kinder haben ein hohes Selbstwertgefühl. Und ein gesundes Selbstvertrauen. Wie entwickeln Kinder also Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl? Verschiedene Faktoren spielen dabei eine entscheidende Rolle. Autor und Psychologe Fabian Grolimund beschreibt in seinem Beitrag eine Auswahl:
- Die Resilienz eines Kindes ist ein mehrstufiger Prozess, jede einzelne Phase bedingt die andere. Erfahren Sie hier mehr darüber.
- Wollen Eltern ihren Kindern zu echtem Selbstvertrauen verhelfen, müssen Mütter und Väter sie darin unterstützen, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln.
Ein gesundes Selbstwertgefühl gibt dem Kind ein machtvolles, mentales Werkzeug mit, das Auf und Ab des Lebens und alle seine Herausforderungen gut zu meistern – und auf diese Weise kleine und grosse Erfolge zu erleben. Wissenschaftliche Studien zeigen: Unser Selbstvertrauen ist nicht die Ursache, sondern die Folge von Erfolgen. Das heisst: Zuerst kommen die Erfolge, dann das Selbstvertrauen.
- So fördern Eltern das Selbstwertgefühl ihres Kindes nachhaltig: Hier geht’s zum Leitfaden.
Der Autor und Psychologe Fabian Grolimund schöpft aus einem langjährigen, professionellen Wissensschatz und aus seiner eigenen, ganz persönlichen Erfahrung. So beschreibt er sich selbst als einen Spätzünder in seiner Kindheit und schildert mit anschaulichen und praxisorientierten Beispielen, wie seine Eltern geduldig und mit viel Liebe sein Selbstwertgefühl gefördert haben.
Lesen Sie jetzt im Artikel, wie Eltern das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen ihres Kindes fördern können.
Ich war ein Spätzünder, lernte spät sprechen, besuchte ein zusätzliches Jahr den Kindergarten, weil ich nicht schulreif war, und benötigte Psychomotorikherapie, um meinen steifen Gang zu überwinden. Mein Bruder hingegen lernte schnell und holte kräftig auf. Obwohl er zweieinhalb Jahre jünger war, konnte er bald vieles gleich gut wie ich.
Viele Eltern kennen diese Situation, die oft zu Eifersucht und Geschwisterrivalitäten führt. Manche Eltern reagieren darauf, indem sie versuchen, das Selbstvertrauen des «schwächeren» Kindes zu stärken. Sie nehmen es in den Arm, wenn es sich selbst abwertet, und sagen ihm: «Aber du kannst dafür besser …». Verzweifelt zählen sie ihm seine Stärken auf in der Hoffnung, dass es sich dadurch besser fühlt. Meiner Erfahrung nach funktioniert das höchst selten. Und zwar deshalb, weil es den Konkurrenzgedanken stärkt. Die Kinder erhalten das Gefühl, es gehe darum, besser und talentierter zu sein als andere.
Das weniger talentierte Kind beginnt dabei zu rechnen und sieht bald: Ich mag zwar in ein, zwei Bereichen stärker sein – aber wenn ich ehrlich bin, schlägt mich mein Geschwister in fast allem anderen. Bald flammt jedes Mal Eifersucht auf, wenn das Geschwister einen Erfolg erlebt oder von den Eltern gelobt wird. Nicht selten greift ein Kind in dieser Situation zum letzten Mittel, um sich zu schützen: Es beginnt sein Geschwister abzuwerten, um sich selbst aufzuwerten. Das wiederum wird von den Eltern nicht gerne gesehen und führt zu heftiger Kritik und noch grösseren Selbstzweifeln auf Seiten des Kindes.
Nicht die Leistung des Kindes in den Vordergrund stellen
Im Vordergrund standen nicht wir als Personen, sondern unsere Beziehung zueinander und unser Beitrag für ein schönes Miteinander. Wenn dann Johannes wieder etwas Erstaunliches gelungen war, rannte ich zu meinen Eltern und rief voller Stolz: «Kommt schnell, schaut, was unser kleiner Johannes kann!»

Was also unterscheidet Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl?
Gesundes Selbstvertrauen ist nicht die Ursache, sondern die Folge von Erfolgen.
Selbstvertrauen: Was kann ich?
Selbstvertrauen = Erfolge / Ansprüche
Nach dieser Formel wächst unser Selbstvertrauen, wenn wir Erfolge erzielen. Allerdings wird anhand der Formel auch deutlich, dass dies nur dann der Fall ist, wenn unsere Ansprüche nicht zu hoch sind.
Einen Menschen mit hohem Selbstvertrauen erkennt man an der Einstellung: «Wenn ich mir etwas vornehme, werde ich es auch erreichen. Auf dem Weg dorthin mag es Hindernisse, Rückschläge und Misserfolge geben – aber damit komme ich klar!»
Starke Kinder haben ein hohes Selbstwertgefühl. Und ein gesundes Selbstvertrauen.
Wie fördere ich das Selbstvertrauen meines Kindes?
• Ich kann etwas! Ich habe Stärken und Talente.
• Ich mache Fortschritte, wenn ich mich anstrenge und übe.
• Ich kann mit Misserfolgen und Rückschlägen umgehen.
• Ich kann mich meinen Ängsten stellen und sie überwinden.
• Ich habe Einfluss: Andere greifen meine Ideen auf und lassen sich von mir begeistern.
Entgegen den Erwartungen der meisten Eltern zeigt die Forschung, dass unser Selbstvertrauen nicht die Ursache, sondern die Folge von Erfolgen ist. So liess sich etwa das schulische Selbstvertrauen in der 12. Klasse gut durch die Noten in der 10. Klasse vorhersagen. Das schulische Selbstvertrauen in der 10. Klasse stand aber in keinem Verhältnis zu den Noten in der 12. Klasse.
Das heisst: Zuerst kommen die Erfolge, dann das Selbstvertrauen. Nicht umgekehrt. Wollen wir unseren Kindern zu echtem Selbstvertrauen verhelfen, müssen wir ihnen helfen, Kompetenzen zu entwickeln.

Es gibt keine Abkürzung zu echtem Selbstvertrauen
Der Psychologe Donald Forsyth von der Virginia Commonwealth University wollte es genau wissen und schickte einer Gruppe von Studierenden jede Woche Nachrichten, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Das Resultat? Jene, die die positiven Nachrichten erhielten, fühlten sich kurzfristig besser – lernten aber weniger und schnitten in den Prüfungen schlechter ab.

Selbstwertgefühl: Das bin ich wert
Beim Selbstwertgefühl steht somit nicht die Kompetenz im Vordergrund, sondern das Ausmass, in dem sich jemand selbst akzeptieren kann.
Wie stärke ich das Selbtwertgefühl meines Kindes?
• Ich habe Eltern, die mir zuhören, sich Zeit für mich nehmen und mich verstehen.
• Ich habe Freunde, die mich gernhaben und mich so nehmen, wie ich bin.
• Wir haben eine Lehrerin, die sich für uns interessiert und uns ernst nimmt.
• Ich fühle mich in meiner Familie eingebunden und willkommen.
• Meine Eltern fangen mich auf, wenn ich strauchle. Sie mögen mich mit meinen Stärken und Schwächen.
Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl nehmen sich auch mit ihren Schwächen an.
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Wir sprachen eine Stunde lang mit den Resilienz-Experten Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler und brachten auch die Fragen der Leserinnen mit ein – die Live-Aufzeichnung unserer Veranstaltung in Zürich