«Mut braucht vor allem Selbstvertrauen»
Die Erfahrungen von Familie Richter zeigen: Mut hat viele Facetten. Die Mutter erzählt, wer von ihren Jungs eher zu physischem und wer zu sozialem Mut neigt.
Mein Mann und meine Jungs sind sehr sportlich. Mut hat für sie viel mit körperlicher Leistung zu tun. Oft geht es darum, wer am schnellsten ist, wer am weitesten springt oder wer am höchsten auf den Baum klettert. Ich finde es mutig, für sich selbst einzustehen oder sich für jemand anderen einzusetzen. Wir haben also sehr unterschiedliche Definitionen von Mut. Das ist okay, finde ich. Denn wir sind uns darüber einig, dass Mut viele Facetten haben kann.
Ich habe meine Kinder gefragt, ob sie sich als mutig empfinden, und es kamen verschiedene Aussagen. Mein neunjähriger Sohn empfindet sich als nicht so mutig, weil er sich im Vergleich zu seinen Brüdern körperlich weniger zutraut und nicht immer der Schnellste ist. Dafür ist er aber sehr gut darin, seine Grenzen aufzuzeigen und Nein zu sagen. Das finde ich wiederum sehr mutig. Allerdings sieht er das nicht so. Vielleicht ändert sich seine Wahrnehmung diesbezüglich noch.
Unser sechsjähriger Sohn hat sich für seinen älteren Bruder eingesetzt. Das war richtig mutig. Hoffentlich behält er das bei.
Die beiden anderen definieren Mut grösstenteils physisch. Bei den Gesprächen mit meinen Kindern wurde mir klar, dass es nicht selbsterklärend ist, was Mutigsein bedeutet. Jeder versteht und zeigt Mut anders. Der eine auf körperlicher Ebene, der andere im sozialen Kontext.
Ich denke, Mut hat einerseits sehr viel mit der Persönlichkeit eines Menschen zu tun und andererseits damit, was uns prägt und welche Erfahrungen wir im Laufe des Lebens machen. Und diese können sehr unterschiedlich sein, auch wenn man der gleichen Familie angehört. Wenn ein Kind zum Beispiel in einer Waldspielgruppe ist und von allen Kindern angefeuert wird, über einen Fluss zu springen, dann lernt es, dass Mutigsein heisst, über einen Fluss zu springen. Die Geschwister machen diese Erfahrung vielleicht nicht und interpretieren Mut auch anders.
Um überhaupt mutig werden zu können – egal wie –, braucht es ein gutes Selbstvertrauen. Wir versuchen unseren Kindern immer wieder zu zeigen, dass wir ihnen etwas zutrauen und ihnen vertrauen. Sagen ihnen ‹du schaffst das›. Das bewirkt sehr viel, denke ich. Wir unterstützen sie dabei, ihre Meinung zu sagen. Das kann natürlich dazu führen, dass man als Mama selbst mal Kontra bekommt.
Neulich hatte ich einen Streit mit einem meiner Söhne und wurde laut. Plötzlich kam mein Jüngster auf mich zu und sagte, dass ich aufhören soll zu schimpfen, weil ich seinem Bruder sonst Angst mache. Ich fühlte mich ertappt und hielt inne. Dann sagte ich zu ihm, dass ich das total cool und mutig finde, was er gerade gemacht hat. Er hat sich als Sechsjähriger getraut, mir zu sagen, dass ich etwas nicht richtig mache, und hat sich für seinen Bruder eingesetzt. Ich hoffe, das behält er bei.
Anne Richter ist Ingenieurin und hat ein Food-Start-up gegründet. Die 43-Jährige lebt mit ihrem Mann Tobias, 48, Unternehmer, und den drei Söhnen Conrad, 10, Johann, 9, und Oscar, 6, in Küsnacht bei Zürich.