Kann ich ein guter Vater sein? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Kann ich ein guter Vater sein?

Lesedauer: 4 Minuten

Wer sein Verhalten und seine Rolle reflektiert, hat die Chance, sich und die ganze Familie zu prägen und positiv zu verändern – bis in die nächsten Generationen hinein.

Text: Jesper Juul
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Frage eines Vaters:

Meine Frau und ich sind seit 14 Jahren verheiratet und wir haben zusam­men drei wunderbare Söhne im Alter von zwölf, neun und drei Jahren. Mich beschäftigt seit Längerem, dass ich mit unserem mittleren Sohn Manuel immer wie­ der heftige Auseinandersetzungen habe. Ich weiss nicht genau, warum das nur mit ihm so ist. Wir geraten eigentlich jeden Tag aneinander. Dies führt zu einer schlechten Stim­mung zu Hause.

Die Auseinandersetzungen geschehen vor allem dann, wenn Manuel die Hausaufgaben machen sollte: Er muss sich regelrecht durch die Hausaufgaben kämpfen, weil er sich nach einem langen Schultag fast nicht mehr konzentrieren kann und keine Lust darauf hat.

Ich habe das Gefühl, ich sei ein Egoist.

Ich weiss genau, wie er sich fühlt, da ich mich noch sehr gut an meine Schulzeit erinnern kann. Mein Vater hatte damals überhaupt keine Geduld mit mir. Und ich wäre auch lieber mit meinen Freunden zusammen gewe­sen, als mich mit Hausaufgaben zu beschäftigen.

Ich habe damals viel alleine geweint, weil ich mich so schlecht fühlte. Ich möchte Manuel sehr gerne bei den Hausaufgaben helfen, aber irgendwie bin ich dabei viel zu streng oder meine Erwar­tungen sind zu hoch.

Auf jeden Fall ist es für mich schlimm, wenn Manuel zu weinen beginnt. So habe ich das Gefühl, dass ich genauso ungeduldig und wütend mit ihm bin, wie es mein Vater damals mit mir war.

Auch habe ich selber oft schlechte Laune und bin dadurch nicht gerade wertvoll für meine Söhne. Ich frage mich, ob ich überhaupt ein guter Vater sein kann. Es beschäftigt mich sehr, wie ich zu meinen Kin­dern bin. Ich habe das Gefühl, ich sei ein Egoist.

Meine Frau meint, ich könne schwer mit Kritik umgehen. Ich verteidige mich dann sofort, werde schnell wütend und sage Sät­ze, die ich später bereue. Ich wünsche mir, dass ich das Familienleben mehr geniessen könnte. Ich wünsche mir auch, dass sich jeder in der Familie wertgeschätzt fühlt.

Unsere Söhne sollen anders aufwachsen als ich und nicht mein Bild von mir und meine Erin­nerung als schlechten Schüler mit schwachem Selbstwert übernehmen. Vielleicht ist auch das der Grund, warum ich bei den Hausaufgaben so streng bin. Es kommt mir vor, als schaffe ich es nicht, meinen Wunsch nach Familienidylle zu leben. Was soll ich tun?

Antwort von Jesper Juul

Vielen Dank für Ihre feinfühlige und so offene Beschreibung Ihrer Situa­tion. Sie schildern einige Mechanis­men und Stimmungen, die in Fami­lien nicht ungewöhnlich sind. Die detaillierte Betrachtung der Bezie­hung zu Ihrem Vater ist der beste Weg, dass Sie selbst als Vater wach­sen können.

Als Erwachsene verfü­gen wir über zwei Speicher: einen emotionalen und einen existenziel­len. Der erste speichert viele gute Erinnerungen, im anderen ist viel Schmerz gesammelt. All das sprudelt bei Ihnen an die Oberfläche. Der Auslöser ist Ihr mittlerer Sohn: Er zeigt Ihnen auf, wie es endet, wenn Sie nicht der Vater sind, der Sie sein wollen.

Abschied von selbstzerstörerischem Verhalten

Wir alle haben das Grundbedürfnis, für die Menschen, die uns wichtig sind, wertvoll zu sein. Wenn sie uns die Rückmeldung geben, dass uns das nicht gelingt, werden wir wütend und geben ihnen dafür die Schuld. Es gibt dabei aber einen wesentli­chen Unterschied zwischen Kindern und Eltern: Die Kinder können nichts dafür, wenn wir uns als Eltern nicht so wertvoll fühlen, wie wir ger­ne wären.

Die wohl schwierigste Aufgabe ist jetzt, Ihr Selbstbild zu überprüfen.

Denn sie können inner­halb der Familie nicht bestimmen, wie die Interaktion untereinander gestaltet wird. Diese Verantwortung liegt alleine bei den Eltern. In Ihrer Familie herrscht Frustration darü­ber, dass jeder zwar sein Bestes tut, das aber nicht reicht. Ihr Sohn wen­det diese Frustration gegen andere. Sie selbst haben sie früher nach innen gerichtet.

Durch Ihre eigene Erziehung haben Sie ein bestimmtes Verhalten entwickelt und sind jetzt in der Situation, dass Sie in einer eigenen Familie leben, in der Sie als Mensch wachsen können. Das bedeutet aber auch, dass Sie als Vater und Partner sich von der Überlebensstrategie, die Sie als Kind entwickelt haben, und von den selbstzerstörerischen Aspekten Ihres Verhaltens verab­schieden sollten.

Wenn Sie das tun, werden Sie sich den hohen Zielen nähern, die Sie für sich und Ihre Lie­ben definiert haben, und erleben, wie sehr genau diese Ziele Ihr Leben bereichern. Die Bedingung dabei ist, dass Sie all das aufrichtig tun. Und dass Sie es mit allen teilen.

Sie und Ihr Sohn sind beide ein wenig schüchtern, und dennoch sind Sie ein dynamischer Mann, es wird also nicht einfach werden. Sie müssen sich dem Risiko Ihrer Inkompetenz stellen und Ihrem mittleren Sohn für seine Hilfe dan­ken.

Ich bin mir sicher, dass Sie das können. Beginnen Sie, mit Ihrer Frau zu üben, indem Sie Ihre Verwund­barkeit und momentane Hilflosig­keit mit ihr teilen.

Direkt auf die Kinder zugehen

Die Tatsache, dass Sie drei Söhne haben, eröffnet Ihnen die ausser­gewöhnliche Chance, ein «Vatermodell» zu gestalten, das bis tief in die nächste Generation übertragen werden wird. Sie sind ein gross­artiger Vater, allein schon deshalb, weil Sie Ihre eigenen Grenzen wahr­nehmen und den Drang verspüren, etwas zu ändern.

Stellen Sie sich dem Risiko Ihrer Inkompetenz und danken Sie Ihrem mittleren Sohn für seine Hilfe.

Ihre Frau kann für Ihre Söhne nicht dieses Vorbild sein, aber ihre Liebe und Fürsorge kann Sie sicher in den nächsten Jahren unterstützen. Sie können Ihre Frau um Rat und Hilfe bitten – aber jedes Mal, wenn Sie sich als Vater in Ihrer Rolle un­sicher fühlen, ist es besser, direkt auf die Kinder zuzugehen und sie direkt zu fragen.

Die wohl schwierigste Aufgabe ist jetzt, Ihr Selbstbild zu überprüfen. Verabschieden Sie sich von dem Mann, der Sie waren, und akzeptie­ren Sie die Trauer und die Angst.

Stellen Sie sich auf eine dynamische Entwicklung ein, die nun beginnen wird. Ihr aktuelles Selbstbild, Ihr konstruktives und destruktives Ver­halten kommen miteinander in Kontakt, was sich nur in Richtung liebevolle Beziehungen entwickeln kann. Nicht von einem Tag auf den anderen, aber bestimmt über die nächsten Jahre.

In Zusammenarbeit mit familylab.ch

Exklusivinterview im Dezember 2017

Jesper Juul
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul hat wie kein anderer in den vergangenen Jahrzehnten Menschen mit seinen Erziehungs- und Beziehungsprinzipien geprägt. Der Gründer von familylab, einem Beratungsnetzwerk für Familien, und Autor von über 40 Büchern («Dein kompetentes Kind», «Aus Erziehung wird Beziehung») starb am 25. Juli 2019 im Alter von 71 Jahren nach langer Krankheit in Odder, Dänemark. Er war zweimal verheiratet und hinterlässt einen Sohn aus erster Ehe und zwei Enkelkinder.

Alle Artikel von Jesper Juul

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