Alternativen zur Note – ein Überblick
Immer mehr Schulen arbeiten mit erweiterten Beurteilungsverfahren und Feedbackinstrumenten, die Noten ergänzen oder ersetzen. Welche sind gängig und wie steht es um ihre pädagogische Qualität? Stimmen aus der Bildungsforschung ordnen ein.
Smileys, Ampel oder Schnecken
Ins Zeugnis haben sie es zwar noch nicht geschafft, aber auf der korrigierten Prüfung sind sie allgegenwärtig: Statt einer Note gibt es als Rückmeldung ein Smiley. Es strahlt – oder verzieht den Mund nach unten, wenn die Sache nicht gut lief. Wahlweise sind es auch die drei Farben der Ampel, die eine gute, mittelmässige oder schwache Leistung repräsentieren, Tiere von Gepard bis Schnecke oder die Anzahl Raketen.
Was Schulen mitunter als neue Wege anpreisen, sei in dem Fall «pädagogische Kosmetik», sagt Bildungsforscher Winfried Kronig von der Universität Freiburg. «Man könnte es ebenso gut bei den Noten belassen. Kinder wissen genau, welches Symbol für welche Leistung steht, und deuten es in Noten um.» Philipp Bucher, Experte für Schul- und Unterrichtsentwicklung an der Pädagogischen Hochschule FHNW, rät insbesondere vom Smiley-System ab: «Jüngere Kinder neigen dann dazu, ihre Leistung mit der emotionalen Botschaft in Verbindung zu bringen – und denken, sie hätten die Lehrperson traurig gemacht.»
Verbale Beurteilung in Kategorien
Von «nicht erfüllt» bis «übertroffen»: Wörtliche Beurteilungen in entsprechenden Kategorien haben sich als Alternative zu Noten etabliert, sei es als Rückmeldung auf Tests und Schularbeiten oder – wo es die gesetzlichen Bestimmungen erlauben – als Zifferersatz im Zeugnis. «Förderlich fürs Lernen sind Rückmeldungen, die dem Kind aufzeigen, was es schon kann, wo es noch üben muss und welche Schritte als Nächstes anstehen», weiss Katharina Maag Merki, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich. «Kategorien und Ziffernoten haben diesbezüglich einen ähnlich geringen Informationsgehalt. Nur eine inhaltsbezogene Rückmeldung, die weder eine Ziffer noch eine Kategorie leisten kann, hilft dem Kind, tatsächlich zu verstehen, was es schon kann und woran es als Nächstes arbeiten sollte.»
Erweiterte Lern- und Beurteilungsberichte
Den Anspruch, Kindern eine ganzheitliche Beurteilung auszustellen, die über Zahlen und Kategorien hinausgeht, haben erweiterte Lern- oder Beurteilungsberichte. Da, wo gesetzliche Bestimmungen es möglich machen, ersetzen diese bisweilen das Notenzeugnis. In die Berichte fliessen eine Vielzahl von Beobachtungen, Leistungsnachweise und Eindrücke aus gemeinsamen Erfahrungen mit ein. So beschreiben Lehrpersonen vergleichsweise ausführlich schulische und überfachliche Kompetenzen des Kindes, oft anhand konkreter Beispiele, was dieses besonders gut oder wo es sich noch entwickeln kann.
Als Standortbestimmung fürs Kind hätten solche Berichte «möglicherweise etwas Gutes», sagt Bildungsforscher Kronig. Als Grundlage für Selektionsentscheide, also als Zeugnisersatz, seien sie ungeeignet. «Auch wenn dahinter viel Engagement und gute Absichten stehen, sind Lernberichte für Verzerrungen vermutlich noch anfälliger als Noten», so Kronig. «Sie sind ähnlich wenig aussagekräftig, was die Vergleichbarkeit von Leistungen ausserhalb des Klassenzimmers betrifft. Und faktisch machen sie die Bildungskarriere des Kindes abhängig von der Beobachtungsgabe und der Sprachfähigkeit der Lehrperson.» Ausserdem schätzt Kronig die Gefahr, dass Berichte von persönlichen Überzeugungen gefärbt sind, noch höher ein als bei Noten. «Im Zweifelsfall», sagt Kronig, «verletzen Worte mehr als Zahlen. Analysen von Lernberichten zeigen, dass Lehrpersonen oft unbedarft mit Adjektiven operieren, was manchmal zu höchst verfänglichen Aussagen führt oder zumindest fragwürdige Interpretationen zulässt.»
Kompetenzraster
Der Lehrplan 21 setzt auf Kompetenzorientierung. Gemäss Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren bedeutet dies: Der Lehrplan «stellt transparent, verständlich und nachvollziehbar dar, was Schülerinnen und Schüler können» sollen. Die gleiche Funktion haben Kompe-tenz- oder Kriterienraster. Vorlagen liefern Lehrmittelverlage, Pädagogische Hochschulen oder Bildungsdirektionen, oft entwickeln Lehrpersonen auch eigene. Geläufig ist ihre Darstellung als Matrixstruktur: Die vertikale Achse beschreibt aufeinander aufbauende Lernziele, die es im Rahmen eines Themenblocks zu erreichen gilt, während die Horizontalachse die unterschiedlichen Niveaustufen zeigt. Lehrpersonen dienen Kompetenzraster als Evaluationsinstrument, um Lernstand und -niveau von Schülerinnen und Schülern zu ermitteln.
Das Portfolio bietet eine aufschlussreichere Sicht auf Lernende und ihre Stärken als das Zeugnis.
Katharina Maag Merki, Erziehungswissenschaftlerin
Für diese wiederum sind sie ein hilfreiches Werkzeug zur Selbsteinschätzung und Orientierung: Das Kind sieht, was es bis wann wie gut können muss, es kann seinen aktuellen Stand mit einem Kreuzchen im Raster verorten und seine Einschätzung mit derjenigen der Lehrperson vergleichen. So werden persönliche Fortschritte sichtbar, es wird aber auch deutlich, wo es noch Lernbedarf gibt.
«Ein gutes Kompetenzraster erfüllt gleich mehrere Voraussetzungen für eine förderorientierte Rückmeldung, wie sie eine Ziffernote nicht leisten kann», sagt Philippe Wampfler, Gymnasiallehrer und Dozent für Deutschdidaktik. Mehr Aussagekraft als Zeugnisnoten böten Bildungsforscher Kronig zufolge umfassende Kriterienraster, die definieren, was die vom Lehrplan geforderten Kompetenzen konkret bedeuten, und sichtbar machen, wo ein Kind in Bezug auf diese Lernziele steht. «Im jetzigen System», ist er überzeugt, «ist so eine Beurteilungsform aber nicht leistbar. Sie würde am Aufwand scheitern.»
Lernportfolios
In Lernportfolios sammeln Schülerinnen und Schüler über einen längeren Zeitraum Arbeiten, die ihre Leistungen und Fortschritte dokumentieren und zeigen, wo ihre persönlichen Stärken und Interessen liegen. Ins Portfolio kommen individuelle Projektarbeiten, Produkte oder andere Leistungsnachweise. Dazu gehört üblicherweise auch die Reflexion der Inhalte und der gemachten Lernerfahrungen. Selbst-, aber auch Fremdeinschätzungen, zum Beispiel durch die Lehrperson, runden das Portfolio ab. Es hilft Schülerinnen und Schülern so unter anderem, ihre Lern- und Arbeitstechnik zu verbessern. «Ausserdem bietet das Portfolio eine umfassendere Sicht auf Lernende und ihre Stärken, die aufschlussreicher ist als der Blick ins Zeugnis», sagt Bildungsforscherin Maag Merki. «Gerade für die Lehrstellensuche haben solche Formate grosses Potenzial, weil sie die Chance auf eine gute Passung zwischen Betrieb und Bewerber erhöhen.»
Lerngespräche
Wie geht es mir? Was kann ich gut? Wo habe ich noch Mühe? Solche Fragen stehen im Lerngespräch zwischen Lehrperson und Kind im Zentrum. Das Kind beantwortet sie aus seiner Sicht, die Lehrperson bringt ihre ein. Dieser Austausch ist eine wertvolle Ergänzung zu den Rückmeldungen, die das Kind schriftlich oder im Unterricht erhält. Er soll ihm helfen, seine Lernentwicklung differenzierter wahrzunehmen, als es ihm durch den Vergleich mit anderen möglich wäre.
«Persönliche Worte der Lehrperson haben in dem Zusammenhang einen hohen Stellenwert», weiss Maag Merki. «Es ist wichtig, regelmässig Gelegenheit dafür zu schaffen.» Dies sei durchaus mit vertretbarem Aufwand möglich, sagt die Luzerner Primarlehrerin Daniela Muff: «Es reichen zwei, drei Leitfragen. Besser, die Lerngespräche sind kürzer und finden dafür häufiger statt – bei uns sind es im besten Fall drei pro Semester.»