«Ich stand immer unter dem Druck, viel zu essen»
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«Ich stand immer unter dem Druck, viel zu essen»

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Ivo Savic*, 18, lebt mit seinen Eltern und Geschwistern in Aarwangen BE. Bis vor einem Jahr kämpfte er mit Essattacken, gefolgt von tagelangen Hungerphasen.

Aufgezeichnet von Christine Amrhein
Symbolbild: Pexels

Mit etwa 14 Jahren bin ich stark gewachsen, da hatte ich grossen Hunger und habe viel gegessen. Manchmal hatte ich auch Fressattacken, weil ich traurig oder gestresst war und niemanden hatte, mit dem ich reden konnte. Seitdem habe ich mich sehr mit dem Thema Essen beschäftigt.

In meiner Familie, die aus Serbien kommt, gilt es als positiv, etwas kräftiger zu sein. Ein paar Verwandte haben auch Übergewicht. Für mich war aber klar: So will ich nicht sein. Wenn wir bei Verwandten oder in den Ferien waren, stand ich immer unter dem Druck, viel zu essen. Danach habe ich mich eine Zeitlang schlecht gefühlt. Ich wollte nicht bewusst abnehmen – aber ich hatte einfach keinen Appetit. Es kam dann immer wieder vor, dass ich einige Tage nur wenig oder fast nichts gegessen habe.

Ich möchte mich einfach so akzeptieren, wie ich bin.

Mit 16, 17 Jahren hat mich das Thema Essen mehr beschäftigt, als ich wollte. Ich habe auch öfters in den Spiegel geschaut und mich gefragt, ob meine Beine oder mein Gesicht zu dick sind. Andere fanden mich aber weiterhin schlank. Durch das tagelange Fasten habe ich mich mit der Zeit müde und energielos gefühlt – das hat mir schon Sorgen gemacht.

Vor etwa einem Jahr bin ich dann zum Arzt gegangen. Er hat einen Eisen- und Vitaminmangel festgestellt und mich zu einer Ernährungsberaterin geschickt. Dort haben wir zusammen angeschaut, warum ich mal viel und mal wenig esse. Es ging auch darum, herauszufinden, wie ich zu allen notwendigen Nährstoffen komme und was ich konkret essen kann, wenn ich keinen Appetit habe – zum Beispiel flüssige Nahrung. Ausserdem sollte ich überlegen, was mein Wohlfühlgewicht ist. Ich habe lange darüber nachgedacht. Mir wurde dann klar, dass ich mir über Gewicht und Aussehen nicht mehr so viele Gedanken machen will. Ich möchte mich einfach so akzeptieren, wie ich bin.

Die Ernährungsberaterin und die Psychologin haben mir sehr geholfen. Es ist gut, zu wissen, dass es sie gibt.

Neben der Ernährungsberatung war ich regelmässig bei einer Psychologin. Dort ging es darum, was mich traurig oder wütend gemacht hat und wie ich besser damit umgehen kann. Beides hat mir sehr geholfen, weil ich eine Begleitung hatte, über Probleme reden konnte und konkrete Tipps zu meiner Ernährung bekommen habe. Es war wie eine Reise – und jetzt weiss ich viel besser, wie ich Hungerphasen und Essattacken vorbeugen kann.

Inzwischen geht es mir viel besser und die Termine sind seltener. Aber es ist gut, zu wissen, dass es eine Anlaufstelle gibt, falls ich mal einen Rückfall habe. Oder auch, wenn ein neuer Lebensabschnitt beginnt, etwa, wenn ich nächstes Jahr mit dem Studium zum Wirtschaftsingenieur anfange.

*Name geändert

Christine Amrhein
ist Psychologin. Sie lebt und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in München.

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