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Was tun, wenn die Tochter den Lebensmut verliert?

Text: Jesper Juul
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Das Wichtigste zum Thema
Anna ist das älteste von drei Kindern. Die 16-Jährige war immer selbstbewusst und stark. Seit einiger Zeit ist das Mädchen depressiv, was die gesamte Familie sehr belastet. Anna nimmt bereits Antidepressiva und geht regelmässig in die Therapie. Trotzdem hat ihre Familie Angst, dass sich der Teenager etwas antun könnte. Schliesslich hat sie ihrer Mutter gegenüber schon einmal Suizidgedanken geäussert.
Die Einschätzung von Jesper Juul: Anna durchlebt eine Lebenskrise, aus der sie wieder herausfinden muss. Doch woher kommt eine solche Krise so plötzlich, wenn kein traumatisches Erlebnis vorgefallen ist? Der dänische Familienexperte erklärt im kompletten Text, wie Krisen entstehen und gibt den Eltern Tipps, wie sie Anna unterstützen können.

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Die Mutter der 16-jährigen Anna schreibt, ihre Tochter sei plötzlich depressiv geworden. Dabei sei Anna bisher eher wie Pippi Langstrumpf gewesen: stark und unabhängig. Anna und ihre zwei Geschwister (12 und 14 Jahre) hatten immer den Raum und die Möglichkeit, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Anna ist schön, intelligent und gut in der Schule, sagt die Mutter. Sie wusste bereits sehr früh, was sie will. Es war ein grosser Schock für die Familie, als Anna von einem Tag auf den anderen so deprimiert wurde und der Mutter erzählte, dass sie sogar ab und zu an Selbstmord denke. Sie wisse plötzlich nicht mehr, was sie tun solle, und fühle sich falsch. Die Eltern von Anna und auch ihre Geschwister finden nicht, dass Anna alles falsch mache. Sie fühlen sich deswegen verwirrt und hilflos. Die Mutter arbeitet im Gesundheitswesen und der Vater hat einen Bauernhof. Natürlich gab es auch in der Familie von Anna immer wieder Streitigkeiten, Höhen und Tiefen, aber schlimm seien diese nicht gewesen, sie hätten alle daraus gelernt.
Jesper Juul antwortet:
Tatsächlich hat sie sich aber nicht selbst verloren. Sie hat «nur» den Kontakt zu sich verloren und fühlt sich vorübergehend wie gelähmt. All ihre Talente, Erfahrungen, Ziele und Träume existieren noch, aber sie kann sie nicht fühlen und hat deshalb auch keinen Zugriff darauf. Das ist ein sehr ernster und dramatischer Verlust für eine junge Frau, die immer wusste, was sie wollte, konnte und fühlte.
Die Depression ist Annas Identität
Da Anna ihre Identität verloren hat, ist nun die Depression ihre ganze Identität. Es ist wichtig, dass das Gleiche nicht auch den Eltern und den Geschwistern passiert. Sie müssen immer daran denken, dass Anna viel mehr ist als ihre Depression. Obwohl das sehr schwierig ist, müssen die Eltern alles versuchen, um zu verhindern, dass die Depression ihrer Tochter zu ihrem «Projekt» wird.
Natürlich braucht Anna die Zuwendung und Fürsorge ihrer Familie, aber es sollte nicht so sein, dass die Eltern ihr eigenes Leben auf Stand-by schalten, bis ihre Tochter sagt, dass es ihr besser geht. Ich verstehe die Angst davor, dass Anna sich das Leben nehmen könnte. Mein Vorschlag ist deshalb, dass sie Anna einen «Deal» anbieten: Ihre Tochter soll ihre Gedanken über einen Selbstmord mit den Eltern oder dem Psychologen teilen, sobald sie auftauchen und bevor sie weitere Schritte plant. Ich weiss, dass das ein wenig grob erscheint, aber es schafft in der Regel viel Sicherheit auf beiden Seiten.
Ansonsten sind die Schlüsselwörter jetzt Geduld und Integration. Vielleicht ist es nächste Woche vorbei oder es dauert noch viele Monate. In dieser Zeit müssen die Eltern lernen, ihre eigene Hilflosigkeit und Verzweiflung zurückzuhalten und ihr eigenes Leben zu leben, damit diese Gefühle nicht auch ihr Leben zum Stillstand bringen. Sie dürfen an ihre Tochter glauben, so wie sie es immer getan haben. Sie dürfen darauf vertrauen, dass Anna ihren eigenen Weg finden wird, um aus der Depression heraus- und wieder zu sich zu finden.

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