«Die Adoleszenz ist eine besonders verletzliche Phase!» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Die Adoleszenz ist eine besonders verletzliche Phase!»

Lesedauer: 1 Minuten

Ob auf der körperlichen, kognitiven, sozialen oder auch auf der emotionalen Ebene: Die Entwicklungen im Jugendalter sind ebenso rasant wie tiefgreifend. Exploratives Verhalten, emotionale Schwankungen, eine forcierte Abgrenzung bis hin zu psychischen Störungen können die Folge sein. Als Adoleszentenmediziner ist Dr. Christoph Rutishauser gefordert, diese Auffälligkeiten jugendlichen Verhaltens als Teil der Gesamtentwicklung einzuordnen, um mit diesem Verständnis seine PatientInnen bestmöglich zu unterstützen.

Interview: Stefanie Wolff-Heinze
Bild: zVg

Herr Rutishauser, das Jugendalter ist eine Zeit grosser Veränderungen. Welches sind die wesentlichen Entwicklungsschritte? 

Die Adoleszenz kann grob in drei Phasen unterteilt werden: die frühe, die mittlere und die späte Adoleszenz. In der frühen Adoleszenz kommt es zu den ersten körperlichen Veränderungen der Pubertät, was die einen mit Stolz, andere mit Ängsten erfüllt. Auch die Fähigkeit zum abstrakten Denken entwickelt sich schrittweise in dieser Phase. In der mittleren Adoleszenz verändern sich unter anderem die sozialen Beziehungsnetze sowie der Umgang mit der Sexualität. Das zunehmende Hinterfragen elterlicher Werte ist zwar für Eltern manchmal schweisstreibend, im Rahmen des Ablösungsprozesses und der Autonomieentwicklung jedoch eine grundsätzlich entwicklungsfördernde Notwendigkeit. Häufig erst in der späten Adoleszenz, also viel später als den Eltern lieb ist, gewinnt die Ausbildung für die jugendliche Person an Wichtigkeit.

Sie kümmern sich um Jugendliche, bei denen diese Entwicklungsphase Verunsicherung und Ängste auslöst. Welche Bandbreite an Symptomen und Störungen beobachten Sie?

Zunächst möchte ich betonen, dass 80 Prozent aller Jugendlichen die Adoleszenz unbeschadet – also ohne grössere Störungen – durchlaufen. Dennoch ist die Adoleszenz eine besonders vulnerable Phase: Viele psychosomatische und psychiatrische Störungen treten gehäuft erst ab dem Jugendalter auf. Wir behandeln am Kinderspital Zürich viele Jugendliche mit Überlappung von psychischen und körperlichen Beschwerden: zum Beispiel Essstörungen, chronische Müdigkeit, Schmerzsyndrome und sogenannte Somatisierungsstörungen, also körperliche Beschwerden ohne körperliche Ursache. Die Behandlung dieser Jugendlichen erfordert in der Regel eine interprofessionelle Teamarbeit.

Wie können Eltern oder auch Lehrpersonen die Jugendlichen in der Adoleszenz unterstützen – und was wirkt kontraproduktiv?

Am wichtigsten ist wohl, dem Kind vom frühen Kindesalter an mit einem empathisch-führenden Erziehungsstil Halt zu geben und ihm Wertschätzung entgegenzubringen, um das Selbstwertgefühl zu fördern. Kontraproduktiv wirkt, wenn Eltern primär das Leistungsverhalten im Fokus haben und ihren Ehrgeiz auf die Kinder übertragen. Auch überbehütendes Verhalten ist wenig hilfreich für eine normale Entwicklung. Lehrpersonen sollten darauf achten, im Umgang mit Kindern und Jugendlichen die Leistungsbeurteilung strikt von der Wertschätzung für die Person zu trennen.

Vortragsreihe Kosmos Kind

Die Adoleszenz – Chancen und Herausforderungen im Jugendalter

Todesängste oder Riesenwut: Bei einigen Teenagern verläuft die Pubertät nicht harmlos. Dr. Christoph Rutishauser berichtet in seinem Vortrag im Rahmen des Vortragszyklus «Kosmos Kind» welche neurobiologischen Erkenntnisse ihm dabei helfen, einen kühlen Kopf zu bewahren.

4. Oktober 2022, 18.00 Uhr
Stiftung. Für das Kind (Aula)
Falkenstrasse 26, 8008 Zürich

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