«Ich wollte meine Frau entlasten und überforderte mich total»
Merken
Drucken

«Ich wollte meine Frau entlasten und überforderte mich total»

Lesedauer: 2 Minuten

Zwei schwere Ereignisse haben den Alltag von Salome und Urs von Känel und ihrer Tochter über den Haufen geworfen. Wie es ihnen gelang, wieder auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten.

Aufgezeichnet von Julia Meyer-Hermann
Bild: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo

Urs von Känel, 37, und seine Frau Salome, 35, leben mit ihrer dreijährigen Tochter Ela in Steffisburg BE. Urs arbeitet als Physiotherapeut, Salome ist schulische Heilpädagogin. Allerdings ist sie seit einer Krebserkrankung und einem Hirnschlag arbeitsunfähig. Diese Schicksalsschläge brachten die Eltern an ihre Belastungsgrenze.

Salome: «Als Ela 15 Monate alt war, bekam ich die Diagnose Brustkrebs. Zum Glück war meine Behandlung erfolgreich und die Ärzte konnten ein Jahr später keine Krebszellen mehr finden. Wenig später erlitt ich allerdings einen Hirnschlag; die Spitalbesuche, Untersuchungen und Therapien gingen also weiter.

Es ging mir entsetzlich schlecht, aber ich habe mich damit beschäftigt, wie ich Urs entlasten könnte.

Salome von Känel

Dazu muss man sagen, dass diese Belastungsphase eigentlich schon in meiner Schwangerschaft begann. Ich litt unter extremer Übelkeit und Erbrechen und musste deshalb stationär ins Krankenhaus. Nach der Geburt hat Urs versucht, mich zu entlasten, damit ich wieder auf die Beine komme. Als ich dann die Krebsdiagnose bekam, war er eigentlich schon am Limit. Ich habe daher meine Bedürfnisse in den Hintergrund gestellt, brachte zum Teil nicht den Mut auf, noch mehr Hilfe anzufordern. Das Gefühl, anderen zur Last zu fallen, war mir sehr unangenehm. Es ging mir körperlich schlecht, entsetzlich, aber gedanklich habe ich mich damit beschäftigt, wie ich Urs entlasten könnte.

Irgendwann haben wir mit meiner Psycho-Onkologin über unsere Situation geredet. Sie hat uns dann geraten, dass Urs sich ebenfalls therapeutische Hilfe suchen solle. Das hat uns beiden viel gebracht und die Art und Weise verändert, wie wir miteinander als Paar und mit uns selbst umgehen. Wir sind inzwischen viel besser darin, unsere Grenzen und Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren. Durch diese Offenheit wissen wir auch, was der andere braucht, und können uns unterstützen. Ich habe inzwischen entdeckt, wie gut es mir tut, zu singen, und nehme seit einiger Zeit Gesangsunterricht. Urs spielt häufig abends Gitarre. Oft singen wir auch zusammen mit unserer Tochter Ela. Das bringt eine unglaubliche Ruhe und Freude in unseren Alltag.»

Urs: «Ein paar Tage bevor wir Salomes Krebsdiagnose bekamen, hatte ich mich selbständig gemacht. Das verlangte mir zusätzlich einiges ab. Dass unsere Situation wirklich herausfordernd war, konnten wir nicht ändern. Aber unser Umgang damit erwies sich als zusätzliche Belastung. Bei mir kamen viele Denkweisen und Muster dazu, die aus der männlichen Sozialisation in unserer Gesellschaft stammen. So dachte ich, dass es meiner Rolle als Mann entspricht, für meine Frau der Fels in der Brandung zu sein. Ich wollte ihr den Rücken freihalten. Aufgrund dessen bekam ich Einschlaf- und Durchschlafstörungen, war konstant abgeschlagen.

Ich habe gelernt, Schwächegefühle zu akzeptieren, statt passiv-aggressiv zu reagieren.

Urs von Känel, Physiotherapeut

Dass ich mich überforderte, habe ich mir aber selbst nicht zugestanden. Ich hatte erst Schuld- und Schamgefühle und dann kam so eine versteckte Wut hoch. Was soll ich denn noch alles machen?, habe ich gedacht. Es reicht einfach nicht! In meiner Therapie habe ich mich dann damit beschäftigt, meine Gefühle wahrzunehmen und zuzulassen. Ich habe gelernt, Schwächegefühle zu akzeptieren, statt passiv-aggressiv zu reagieren. Wir haben zusammen gelernt, Sorge für uns zu tragen. Dazu gehört auch, dass wir uns Freiräume verschaffen, wo jeder von uns mal ganz allein das tun kann, was er möchte.»

Julia Meyer-Hermann
lebt mit ihrer Tochter und ihrem Sohn in Hannover. Ihre Schwerpunkte sind Wissenschafts- und Psychologiethemen.

Alle Artikel von Julia Meyer-Hermann

Mehr zum Thema Schicksalsschläge

Tipps für Familienferien im Berner Oberland, günstig und mit viel Spass
Advertorial
Familienferien im Berner Oberland – günstig und abwechslungsreich
Mit diesen Tipps für unvergessliche Sommerferien im Berner Oberland kommt die ganze Familie auf ihre Kosten.
Haftstrafe: Kinder mit Elternteil im Gefängnis
Familienleben
Mama muss ins Gefängnis
Anita Tamino erhält eine mehrjährige Haftstrafe. Die zweifache Mutter kämpft für eine kindergerechte Lösung – und wird jedes Mal enttäuscht.
Wenn Kinder sterben – Wie Trauerfamilien halt finden können.
Familienleben
Wenn ein Kind stirbt: Wie Trauerfamilien Halt finden können
Ein Kind zu verlieren, verlangt Familien alles ab. Eine Ärztin und eine Bestatterin setzen sich für eine gute Begleitung beim Sterben ein.
Kinder mit inhaftiertem Elternteil in der Schweiz
Familienleben
«Der Strafvollzug beachtet die Bedürfnisse der Kinder noch viel zu wenig»
Studienleiter Patrik Manzoni über die Situation von Kindern mit inhaftiertem Elternteil in der Schweiz und wo es am meisten hapert.
«Wir hören einander zu»
Erziehung
«Wir hören einander zu»
Thomas Lottermoser, 52, und seine Frau Gunda Lottermoser-Niedermeyer, 48, erzählen, dass sich die Familie ihr Glück erarbeiten musste.
Dem Glück auf der Spur
Familienleben
Was braucht es für ein glückliches Familienleben?
Können wir Glücklichsein beeinflussen? Und was lernen wir von Menschen, die nach einem Schicksalsschlag zurück ins Leben gefunden haben?
Gesundheit
Asperger-Syndrom: die andere Art, die Welt zu sehen
Nonverbale Signale wie Mimik, Gestik oder Tonfall, mit denen wir uns intuitiv verständigen, können Kinder mit Asperger-Syndrom nicht sofort lesen. Dadurch fällt es ihnen schwer, sich im Alltag zurechtzufinden und Freundschaften zu schliessen.
Sefora Cuoco und Civan Oezdogan: «Eine einzige Achterbahnfahrt»
Familienleben
«Eine einzige Achterbahnfahrt»
Sefora Cuoco, 28 und Civan Oezdogan, 27, aus Zürich haben in drei Jahren als Elternpaar das höchste Glück und die schmerzhaftesten Abgründe des Lebens erfahren.
Exklusiv-Interview-Jesper-Juul-Teil1
Elternbildung
In Erinnerung an Jesper Juul: Das grosse Interview (Teil 1)
Jesper Juul spricht über seine Kindheit, seine Rolle als Vater und warum er Eltern bessere Experten findet für ihre Kinder als Pädgagogen.
Blog
Wie man weiterlebt, wenn Plan A scheitert
Was tun, wenn der Lebensentwurf scheitert? Facebook-Chefin Sheryl Sandberg erzählt in ihrem Buch «Option B» ihre persönliche Geschichte.
Plötzlich war der Papa tot
Gesundheit
Plötzlich war Papi nicht mehr krank, sondern tot
Ingo Conradin stirbt an Krebs. Mutter Conradin und die zwei Kinder schildern wie sie mit der Trauer umgehen.
Die Trauer hat sich verändert
Gesundheit
«Die Trauer um Daddy verändert sich. Sie ist jetzt weniger gross» 
Wie ist das, wenn der Vater stirbt? Eine Familie erzählt, wie sie mit der Trauer umgeht und wie sie sie verändert.
Lebenslange Betreuung des Kindes?
Familienleben
Ein Leben mit dem Dravet-Syndrom
Die 8-jährige Milla leidet unter dem Dravet-Syndrom, einer seltenen und schweren Epilepsieart. Die Krankheit hat den Alltag der Familie auf den Kopf gestellt.
Diagnose MS – Wie weiter?
Gesundheit
«Mein Kind hat MS»
Multiple Sklerose kann zu schweren Behinderungen führen. Welche Folgen hat die Diagnose? Zwei betroffene Familien erzählen.
Leben mit Kind mit Downsyndrom Trisomie 21
Gesellschaft
«Mittelgradig hilflos»: Unser Alltag mit Maél und Trisomie 21
Der achtjährige Maél kann sich nicht alleine waschen oder anziehen, trägt Windeln und muss ständig überwacht werden – er kam mit Downsyndrom auf die Welt.
Autismus – Eltern wichtigste Ressourcen des Kindes
Gesundheit
Frühintervention bei Autismus: Die Eltern sind die Experten
Mifne, eine spezielle Frühintervention, unterstützt bei autistischen Kindern eine normale Entwicklung.
Mami ist im Himmel
Familienleben
Mami ist im Himmel
Kein Ereignis ist für ein Kind so traumatisch wie der Tod der Eltern. Zwei Familien erzählen wie sie den Weg zurück ins Leben gefunden haben.