Was macht eine gute Lehrperson aus?
Pädagogische Fähigkeiten beeinflussen die Lernleistungen von Schülern und Schülerinnen stark. Vieles bei guten Lehrpersonen ist Handwerkszeug, manches eine Frage der Persönlichkeit.
Jeder zweite Schüler fällt durch den Abschlusstest der 9. Klasse. Jahrelang. Dann schickt ein Fernsehsender preisgekrönte Pädagogen und Pädagoginnen in die Klassen und siehe da: nur sechs Monate später schaffen 95 Prozent der Jugendlichen die Zulassung für eine weiterführende Schule.
Dieses Experiment an einer Schule im schwedischen Malmö bestätigte vor einigen Jahren eindrucksvoll, was Forschende schon lange sagen: Gute Lehrpersonen sind entscheidend dafür, dass Kinder gerne in die Schule gehen und dort viel lernen. Nur: Was zeichnet eine gute Lehrperson aus? Und gibt es dafür überhaupt objektive Kriterien?
Führt eine Lehrperson eine Klasse gut, wissen Kinder immer, was ihre Aufgaben sind
«Es gibt eine sehr intensive Forschung dazu, was guten Unterricht ausmacht und damit letztlich auch eine gute Lehrperson», sagt Regula Franz, Bereichsleiterin Berufspraxis Primarschule an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Als wichtigste Dinge nennt sie drei Punkte: eine effiziente Klassenführung, die kognitive Aktivierung sowie Feedback. «Wird eine Klasse gut geführt, wissen die Kinder jederzeit, was ihre Aufgaben sind und welche Regeln gelten», so Regula Franz.
Bei einer effizienten Klassenführung werde möglichst wenig Zeit für administrative Dinge verwendet, zügig mit dem Unterricht begonnen und Situationen, in denen es zu Unruhe kommen könnte, von vornherein mitbedacht. «Wenn ich einen Stuhlkreis mache und danach an Gruppentischen weiterarbeite, liegen dort schon alle Arbeitsmaterialien parat, damit es gleich weitergehen kann und die Kinder nie im Unklaren sind, was sie zu tun haben», nennt Regula Franz ein Beispiel.
Mit positivem Feedback Lernfortschritte sichtbar machen
Zentral für eine gute Lehrperson ist der Forschung zufolge auch die kognitive Aktivierung der Kinder. «Eine Lehrperson braucht viel fachliches und fachdidaktisches Wissen, um Lernerfolge zu erzielen, Bezüge zur Lebenswelt herzustellen und neues Wissen an das Vorwissen anzuknüpfen », sagt Regula Franz. Hinzu kommt ein konstruktives, wertschätzendes Feedback, um den Schülern regelmässig ihre Lernfortschritte sichtbar zu machen.
Eine Lehrerin muss organisiert und belastbar sein. Im Schnitt trifft sie eine Entscheidung pro Minute.
Regula Franz, Pädagogische Hochschule Zürich
«Wir gehen davon aus, dass man solche Dinge durch eine gute Ausbildung lernen kann», sagt die Pädagogin. Bedeutet das also: Grundsätzlich kann jede und jeder eine gute Lehrperson werden? Dem stimmt Regula Franz nur mit Einschränkung zu. «Lehrpersonen müssen gut kommunizieren und kooperieren können, sie brauchen eine gute Organisation und müssen belastbar sein. Im Schnitt trifft eine Lehrperson mindestens eine Entscheidung pro Minute.»
Eine gute Ausbildung heisst nicht, dass Studierende zu guten Lehrpersonen werden
Diese wichtigen Fähigkeiten liessen sich nur schwer erlernen – weshalb Studierende am Anfang ihrer Ausbildung auch genau dabei beobachtet werden, ob sie solche grundsätzlichen Eignungen für den Beruf mitbringen. Hinzu kommt, dass Lehrpersonen mit Menschen zusammenarbeiten und sich die Gesellschaft stetig weiterentwickelt. «Selbst wenn ich eine gute Ausbildung gemacht habe, bedeutet das noch lange nicht, dass ich damit Zeit meines Lebens eine gute Lehrperson sein kann», sagt Lena Hollenstein vom Institut Frühe Bildung 0 bis 8 der Pädagogischen Hochschule St. Gallen.
Zentral für eine gute Lehrperson findet sie deshalb, dass diese sich regelmässig weiterbildet und die Motivation für ihren Beruf behält. «Gute Lehrpersonen können ganz verschiedene Persönlichkeiten sein, wichtig ist die Qualität des Unterrichts und die Beziehung zu Kindern und Eltern», so Lena Hollenstein.
Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) wies erst kürzlich darauf hin, dass die Schülerzahlen bis zum Jahr 2030 um acht bis elf Prozent wachsen dürften. Allein auf der Primarstufe würden dann 13 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen – weshalb versucht wird, diesem Mangel auch über Quereinsteiger zu begegnen. Die Schweizer Eltern sind offen für solche Lehrpersonen. Drei von fünf Befragten der Studie «Welche Schule will die Schweiz?» sind der Ansicht, dass Quereinsteigerinnen für die Schule eine Chance darstellen. Durchgeführt wurde diese Studie von der Stiftung Mercator Schweiz unter 7700 Teilnehmern.
Quereinsteigen ja, aber richtig
Auch Lena Hollenstein und Regula Franz sehen das Potenzial von Quereinsteigerinnen. «Sie bringen oft viele Fähigkeiten aus anderen Berufen mit, viel Lebenserfahrung, haben oft schon eigene Kinder grossgezogen, das alles tut den Schulen gut», sagt Regula Franz.
Beide warnen aber auch davor, Quereinsteiger ohne entsprechende Ausbildung an den Schulen unterrichten zu lassen. «Lehrperson sein ist einfach eine sehr komplexe und herausfordernde Arbeit. Auch zum Schutz der eigenen Person braucht es dafür unbedingt das richtige Handwerkszeug», fasst es Lena Hollenstein zusammen. Und was ist mit den Schülerinnen und Schülern? Was braucht ein Lehrer, damit sie ihn schätzen und gern in den Unterricht gehen?
Lästert ein Kind über seinen Lehrer, zeigt das ja nur, dass er ihm wichtig ist.
Lena Hollenstein, Pädagogische Hochschule St. Gallen
In Deutschland hat der Deutsche Philologenverband vor einigen Jahren den «Deutschen Lehrkräftepreis» ins Leben gerufen. Hier können Schülerinnen und Schüler Lehrkräfte vorschlagen, welche ihrer Meinung nach eine Auszeichnung verdienen. Die Kriterien für die Wahl wurden gemeinsam mit Lernenden entwickelt. Michael Anders, Projektbetreuer, nennt unter anderem einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe, die Fähigkeit, Neugier und Begeisterung für ein Fach wecken zu können sowie die Stärken der Lernenden sehen und fördern zu wollen, als Punkte, die aus Schülersicht eine wichtige Rolle spielen bei der Beurteilung einer guten Lehrperson.
Eine Lehrperson soll nicht die beste Freundin des Kindes sein
Am Esstisch zu Hause hören Eltern ihre Kinder dagegen nicht selten über ihre Lehrerinnen und Lehrer schimpfen, die wahlweise «ungerecht », «langweilig» oder «streng» seien und meist «zu viele Hausaufgaben» gäben. Lena Hollenstein würde solchen Kommentaren als Eltern erst mal nicht zu viel Beachtung schenken – und deswegen auch nicht gleich daran zweifeln, ob die betreffende Lehrperson tatsächlich einen guten Job macht. «Eine Lehrperson soll ja nicht die beste Freundin des Kindes sein. Sie soll auch Regeln durchsetzen, die vielleicht nicht nur auf Begeisterung stossen, und das erzeugt natürlich auch mal Unzufriedenheit.»
Ähnlich wie im Umgang mit den Eltern sei es eher ein gutes Zeichen, wenn die Kinder sich auch mal über Dinge aus der Schule beklagen. «Es zeigt, dass es dem Kind nicht egal ist, was die Lehrperson macht, und dass diese ihm wichtig ist», findet Lena Hollenstein. Tiefere Bedeutung sollten Eltern dem Gemeckere über Lehrpersonen ihrer Meinung nach erst dann schenken, wenn darunter die grundsätzliche Lust an der Schule leide. «Dann ist es auf jeden Fall nötig, das Gespräch mit der Lehrperson zu suchen.» Diese hat im Idealfall immer ein offenes Ohr für die Eltern und pflegt ein gutes Verhältnis zu diesen – auch das ist den Expertinnen und Experten zufolge ein wichtiges Kriterium für eine Lehrkraft, die ihren Job gut macht.
Die Stiftung Mercator Schweiz hat gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Sotomo Ende 2022 landesweit rund 7700 Erwachsene – ein Drittel davon Eltern von schulpflichtigen Kindern – gefragt, wie deren ideale Schule aussieht. Am wichtigsten ist den Befragten demnach, dass die Kinder gern zur Schule gehen, Freude am Lernen haben und in ihrem eigenen Tempo sowie individuell gefördert lernen können. Diesen Wunschvorstellungen stehen Dinge wie Prüfungen und Hausaufgaben als wichtigste Belastungsfaktoren gegenüber.
Mercator ist eine private, unabhängige Stiftung, die Handlungsalternativen in der Gesellschaft aufzeigen möchte, unter anderem im Bereich Bildung und Chancengleichheit.