Der deutsche Lehrer und Journalist Armin Himmelrath hat sich jahrelang mit dem Thema Hausaufgaben beschäftigt und wissenschaftliche Grundlagen aus über 500 Jahren untersucht. Seine Bilanz ist vernichtend.
Es gibt über 500 Jahre alte Schulverordnungen, die sich mit dem Thema Privatarbeit befassen, denn so hiessen Hausaufgaben damals. In diesen wird davon ausgegangen, dass zusätzliches Lernen etwas bringt. Also habe ich mir die Wissenschaft angeschaut, die sich in den vergangenen 130 Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Dabei habe ich etwas Erstaunliches festgestellt: Es gibt keine einzige Studie, welche die Wirksamkeit von Hausaufgaben belegt.
Dachte ich auch. Also hab ich weitergeforscht, auch international. Und herausgefunden: Es gibt wirklich nur ganz, ganz dünne Zusammenhänge zwischen Hausaufgaben und Lernerfolg, die manchmal hergestellt werden. Aber diese sind keinesfalls so zu bewerten, dass Hausaufgaben per se einen Bildungswert oder einen Zuwachs an Kenntnissen bei Schülern bewirkten. Bereits in den 1960er-Jahren belegte der Erziehungswissenschaftler Bernhard Wittmann, dass nach einem viermonatigen Versuch bei Drittklässlern, Hausaufgaben weg zulassen, diese nicht schlechter waren im Rechtschreiben als solche, die Aufgaben erhalten hatten. Das selbe galt für das Fach Mathematik.
Nun ja, Eltern wird seit Jahrhunderten eingetrichtert – und die meisten von ihnen haben es selbst auch so erlebt –, dass das häusliche Lernen am Nachmittag und Abend irgendwie der Reifung und Bildung der Kinder dient. Wir alle sind mit Hausaufgaben sozialisiert worden. Auch wird geglaubt, dass Hausaufgaben irgendwie eine erzieherische Wirkung haben. Nur der Nachweis dazu fehlt.
Ja, bloss fehlen die Beweise dazu. Beim genaueren Hinsehen merkt man, wie schwammig diese Formulierungen letztlich sind. Sie beschwören nichts anderes als die Festigung des Erlernten, ohne dass es Belege dafür gibt. Dennoch gehören für sehr viele Menschen unter uns Hausaufgaben einfach irgendwie dazu. Sie sind im kollektiven Gedächtnis der Menschen so verankert, dass jeder denkt, das müsse so sein. Und auch Eltern gingen mal zur Schule, und die sagen dann, die eigene Hausaufgabenzeit habe ja wohl niemandem geschadet. Das ist dann so etwas wie ein Totschlagargument. Um es noch drastischer auszudrücken: Ein Mediziner oder ein Physiker, der stolz sagt, er benutze noch die Methoden von vor 50 oder 100 Jahren, hätte sich sofort selbst disqualifiziert. In der Pädagogik aber, beim Thema Hausaufgaben, ist das ein ganz normales Argument.
«Es gibt keine Lernunterschiede.»
Irgendwann in meiner Zeit als Bildungsjournalist habe ich festgestellt, dass es eben nicht so ist, dass zusätzliche Lernzeit in Form von Hausaufgaben auch zusätzlichen Lernerfolg bringt. Und wenn man dann wirklich genauer hinguckt und Studien anschaut, wo Kinder, die mehrere Jahre keine Hausaufgaben hatten, mit Kindern verglichen wurden, die mehrere Jahre Hausaufgaben machen mussten, so stellt man fest: Es gibt keine Lernunterschiede. Der einzige Unterschied ist: Die Kinder ohne Hausaufgaben waren motivierter.
Absolut. Hausaufgaben verursachen mehr Probleme als Lösungen, das sagen sogar Lehrer und Studenten im Lehramt in Internetforen. Schon 1982 urteilte ein deutscher Lehrer aus Flensburg, Hausaufgaben seien bloss mit einem «Riesenaufwand betriebene, sinnlose Handgelenksübungen der Kinder». Sehr, sehr viele Eltern beklagen die Belastung durch die Hausaufgaben und beschreiben den Streit, der ins Familienleben hineingetragen wird. Eltern ärgern sich auch über die Disziplinierungsmassnahmen, zu denen sie sich gezwungen fühlen, damit die Kinder die Aufgaben erledigen. Das einzig Positive, das sie den Hausaufgaben abgewinnen können, ist, dass sie den Eindruck haben, damit noch ein wenig im Bilde zu sein, was ihr Kind in der Schule gerade so lernt.
Anfangs war ich total unkritisch. Ich dachte, Hausaufgaben seien einfach ein Teil der Schulperformance. Und anfänglich machen die Kinder die Hausaufgaben ja auch sehr gern, freuen sich darauf. Hausaufgaben zu haben, macht sie auch ein bisschen stolz. Aber Kinder sind sehr unterschiedlich. Mein ältester Sohn ist sehr zielorientiert, bei ihm gab es wegen Hausaufgaben nie viel Stress. Ganz anders mein zweiter Sohn, bei dem funktionierte die logische Argumentationskette ganz und gar nicht. Er ist der Typ, der gern das lernt, was ihn interessiert, ist also intrinsisch motiviert. Alles andere ist schwierig, und Druck erzeugt bei ihm nur das Gegenteil. Ich verbrachte insgesamt Jahre, in denen meine Kinder widerwillig am Küchentisch sassen und mich mit ihrer Lustlosigkeit zur Verzweiflung brachten. Irgendwann begann ich zu zweifeln: Muss das denn sein? So begann ich zu recherchieren.
«Wir leben in einer individualistischen Welt.»