«Eltern können die Einstellung ihrer Kinder gegenüber der Schule positiv beeinflussen»
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«Eltern können die Einstellung ihrer Kinder gegenüber der Schule positiv beeinflussen»

Lesedauer: 4 Minuten

Wie sehr sollen Eltern in der Schule ihres Kindes präsent sein? Die Psychologin Sharon Wolf erläutert ein Programm, das die Beziehung zwischen Schule und Elternhaus verbessern soll.

Interview: Aisha Schnellmann
Bild: Rawpixel / zVg

Frau Wolf, welche Rolle spielt die Mitwirkung der Eltern beim Schulerfolg ihres Kindes? 

Die Mitwirkung der Eltern macht einen grossen Unterschied – ganz besonders in der frühen Kindheit. Es ist erwiesen, dass die Mitwirkung der Mütter und Väter die schulische Leistung der Kinder verbessert und zu deren allgemeinem Schulerfolg beiträgt. Dabei haben sie viele Möglichkeiten. Sie können beispiels­weise bei den Hausaufgaben helfen oder ihre ­Kinder bei Problemen in der Klasse unterstützen.

Das Interesse der Eltern hat einen positiven Effekt auf das Selbstvertrauen und die Lernmotivation eines Kindes.

Sie können auch das Verhalten und die Einstellung ihrer Kinder gegenüber der Schule positiv beeinflussen. Ausserdem können sie eine Beziehung zu den Lehrper­sonen aufbauen, um das Lernen zu verbessern. Ohne Frage beeinflussen das Interesse der Eltern und ihr Zuspruch das Selbstvertrauen und die Lernmotivation ihrer Kinder sowie deren Verhalten in der Klasse. 

Sharon Wolf ist Psychologin mit Fachgebiet angewandte Entwicklungspsychologie sowie Assistenzprofessorin an der University of Pennsylvania, USA. Ihre Forschung überprüft die Effektivität von theoretischen Handlungsgrundsätzen zur Förderung der frühkindlichen Entwicklung und des Lernens mit Hilfe zufälliger Feldstudien. Sharon Wolf war Research Fellow 2018 –2020 der Jacobs Foundation.

Kann die Beteiligung der Eltern auch negative Effekte haben? 

Obwohl die Forschung mehrheitlich zeigt, dass die Mitwirkung der Eltern sich meist positiv auf die Bildung der Kinder auswirkt, sind auch Konflikte mit Lehrerinnen und Lehrern und negative Auswirkungen auf das Lernumfeld möglich. Unterschiedliche Ansichten zwischen Eltern und Lehrpersonen darüber, wie die Kinder unterrichtet werden sollen, können zum Beispiel den Lernerfolg beeinträchtigen.

Eine Beziehung zwischen Eltern und Lehrpersonen zu entwickeln, die das Lernen des Kindes unterstützt, erfordert ein gutes Verständnis davon, wie die beiden Seiten sowohl miteinander als auch mit den Kindern erfolgreich umgehen können. Damit lassen sich Interventionsstrategien verbessern, wie neue Forschungsergebnisse meines Teams gezeigt haben.

Ihr Forschungsteam und Sie haben ein Jahr lang das Programm Eduq+ eingesetzt. Worum geht es dabei?  

Wir haben den Eltern und Lehrpersonen von Kindern in 296 Klassen in 100 öffentlichen Schulen der Elfenbeinküste Nachrichten per SMS geschickt. Diese Nachrichten waren spezifisch als «Nudging» (englisch für «Anstossen», «Schubsen» oder «Stupsen») gedacht, um die Empfänger dazu zu bewegen, sich mehr für die Bildung der Kinder zu engagieren. Es wurden zwei Nachrichten pro Woche verschickt, wobei die Eltern andere Nachrichten erhielten als die Lehrpersonen.

Mit dem Programm Eduq+ fordern wir Eltern auf, sich stärker für die Bildung ihrer Kinder zu engagieren.

Lehrpersonen erhielten Mitteilungen, die auf die Verbesserung der Qualität ihres Unterrichts fokussiert waren. Die Eltern wurden daran erinnert, dass sich die Investition in die Bildung ihrer Kinder auszahlt. Sie erhielten Anregungen für Aktivitäten, an denen sie mit ihren Kindern teilnehmen konnten, um die soziale und emotionale Entwicklung zu unterstützen. Ausserdem ermutigten die Mitteilungen die Eltern, sich mehr für den Schulalltag ihrer Kinder zu interessieren, indem sie den Kontakt zu den Lehrerinnen und Lehrern verstärkten. 

Mit welchem Ergebnis?

Erhielten Eltern und Lehrpersonen unabhängig voneinander ein «Nudging», reduzierte sich der Anteil der Schulabbrüche signifikant. Erhielten die Eltern und die Lehrkräfte die Mitteilungen aber gleichzeitig, machte das die positiven Effekte zunichte. Anstatt sich unterstützt zu fühlen, waren Lehrpersonen demotiviert, weil sie das Gefühl hatten, zusätzlich noch von den Eltern überwacht zu werden. Das führte zu mehr Abwesenheiten unter den Lehrerinnen und Lehrern, was wiederum den Anteil der Schulabbrüche erhöhte.

Das Beispiel zeigt, dass sich Lehrpersonen bei einer übermässigen Überwachung durch engagierte Eltern in ihrer Handlungsfähigkeit im Klassenzimmer eingeschränkt fühlen können. Das senkt ihre Eigenmotivation. Darüber hinaus beweist es, wie anfällig die Beziehung zwischen Eltern und Lehrkräften ist. Offensichtlich müssen Schulen vorsichtiger sein, wenn sie Eltern und Lehrpersonen einbeziehen und beide Seiten zur Zusammenarbeit auffordern. 

Wie können Schulen ihre bestehenden Interventionsprogramme für Eltern anpassen, damit diese Programme Lehrpersonen optimal unterstützen und deren Eigenmotivation fördern? 

Unsere Forschung hat von Anfang an darauf hingedeutet, dass eine übermässige Intervention von Elternseite sich am stärksten auf hochmotivierte Lehrpersonen auswirkt, die sich bereits sehr für die Bildung ihrer Schülerinnen einsetzen. Mit anderen Worten: Die zusätzliche Überwachung durch die Eltern hat gerade bei denjenigen Lehrerinnen und Lehrern einen negativen Effekt, die sich bereits stark um ihre Schüler bemühten.

BOLD

Der BOLD Blog, eine Initiative der Jacobs ­Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. ­Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und ­entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.

Mehr lesen: bold.expert

Die Schulen spielen eine wichtige Rolle dabei, wie die Interaktionen zwischen Eltern und Lehrpersonen ablaufen. Sie können zum Beispiel die Aufforderungen an die Eltern, sich an die Lehrpersonen zu wenden, mässigen. Damit können Schulen für positivere Interaktionen sorgen, die eine optimale Unterstützung ermöglichen.

Die Pandemie und der Fernunterricht haben den Einbezug der Eltern in den Unterricht ihrer Kinder dramatisch erhöht. Eltern haben so auch aus erster Hand erlebt, welchen Herausforderungen Lehrpersonen in der Klasse täglich ausgesetzt sind. Glauben Sie, dass die Eltern durch diese Erfahrung ein Bewusstseinentwickelt haben, wie sie künftig die Arbeit der Lehrpersonen besser ergänzen können? 

Wie bei so vielem in dieser Pandemie ist es sehr schwierig, vorauszusagen, wie sich der Status quo verändern wird. Einige Dinge werden anders sein, wie genau, ist schwer abzuschätzen. Doch ich hoffe, dass Eltern den Lehrpersonen mehr Wertschätzung entgegenbringen werden. Dass sie die wichtige Arbeit besser zu schätzen wissen, mit der die Lehrpersonen das Lernen und die Entwicklung der Kinder unterstützen und fördern. Ich hoffe ausserdem, dass dies zu produktiveren Beziehungen zwischen Eltern und Lehrpersonen führen wird, in denen sich Lehrerinnen und Lehrer von ihrer Schulgemeinde respektiert und unterstützt fühlen.

Aisha Schnellmann
arbeitet als freie Kommunikationsfachfrau. Sie verfügt über einen Abschluss in Sozialwissenschaften der National University of Singapore. Vor ihrem Umzug in die Schweiz war sie für das Erziehungsministerium Singapurs und eine internationale philanthropische Stiftung tätig.

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