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Verträumte Kinder unter Druck

Text: Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
Bild: Kelly Knox/Stocksy
Das Wichtigste zum Thema
- Die Mutter von Can beschreibt die Hausaufgabensituation mit ihrem Jungen so: Verlässt sie den Tisch, hört Can auf zu arbeiten und träumt lieber vor sich hin. Er kommt mit den Aufgaben aus der Schule nicht hinterher und kann ohne Hilfe nicht zuverlässig arbeiten. Müssen sich Kinder wie Can einfach ein wenig mehr zusammenreissen?
- Erfahren Sie im Dossier, welche komplexen Prozesse im Gehirn dafür verantwortlich sind, dass es manchen Kindern schwerer fällt, sich zu konzentrieren und wann es ratsam ist, Abklärungen machen zu lassen.
- Beim freien Spielen und dann, wenn verträumte Kinder keinem Programm folgen müssen, können diese sich am besten erholen. Sie müssen sich zurückziehen können, damit Reize von aussen sie nicht überfordern.
- Eltern müssen einfühlsam, aber auch klar auftreten, sodass sie ihr Kind eng begleiten und es unterstützen können. Auch Lehrpersonen sollten sich dies zu Herzen nehmen.
- Die Erfahrungsberichte im Dossier zeigen, dass dies leider häufig nicht der Fall ist.

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Sara und Patrick sitzen im schulischen Standortgespräch ihrer Tochter Noelia. «Ihre Tochter muss lernen, sich zu konzentrieren und ihre Sachen pünktlich abzugeben! Ende der zweiten Klasse muss ein Kind eine Agenda führen können, Punkt.» Weiter fordert die Lehrperson, dass sich die Eltern zu Hause mit Hilfe zurückhalten sollen, damit Noelia selbständiger werden kann.
Wie viele andere Eltern, die Ähnliches erleben, verlassen Sara, 43, und Patrick, 43, das Gespräch mit einem Kloss im Hals. Plötzlich ist da der Druck, etwas zu unternehmen, gleichzeitig aber die Hilflosigkeit, weil es von Seiten der Schule lediglich heisst: Das Kind muss dieses lernen, jenes können, wir setzen das voraus.Wenn Kinder zum Tagträumen neigen, ein langsames Arbeitstempo haben, sich leicht ablenken lassen und vergesslich sind, hören sie von Erwachsenen immer wieder:
- «Trödle nicht so rum und komm mal in die Gänge.»
- «Denk bitte ein einziges Mal an dein Zeug.»
- «Lass dich nicht immer ablenken.»
Wenn der Druck steigt

Das Kind könnte es eigentlich …
So funktioniert Konzentration
Stattdessen waren bestimmte Gehirnareale deutlich stärker aktiviert, als wenn sich die Probanden auf eine Aufgabe konzentrierten. In weiteren Studien fand man heraus, dass dieses Ruhenetzwerk auch dann aktiviert wird, wenn wir beispielsweise tagträumen, Zukunftspläne schmieden, über uns und unser Leben nachdenken oder Kunst betrachten – also immer dann, wenn wir unsere Gedanken schweifen lassen, anstatt unseren Geist auf eine bestimmte Tätigkeit zu fokussieren.

Wann spricht man von einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung?
Wo verträumte Kinder auftanken

Immer schön nach Programm
Die Gedanken schweifen lassen, dem eigenen Rhythmus folgen, kreativ werden und eigene Ideen verwirklichen, frei spielen – für all das haben Kinder heute deutlich weniger Zeit als früher. Mehr und mehr werden diese Momente durch strukturierte Aktivitäten in Vereinen, ausserschulischen Kursen und Tagesstrukturen abgelöst.
Vorwärts, vorwärts, Tempo, Tempo

- das morgendliche Anziehen,
- die Hausaufgaben,
- der Unterricht.
Verträumte Kinder eng begleiten
- Was wird von unserem Kind verlangt? Welche (unausgesprochenen) Forderungen stehen im Raum?
- Was kann das Kind momentan tatsächlich leisten? Wo wird es ihm zu viel?
- Welche Form der Unterstützung ist hilfreich, welche nicht?
- Und wo müssen wir unser Kind vor Überforderung schützen und mit der Aussenwelt verhandeln?
Tagträumen als besondere Qualität wahrzunehmen.
Dabei gilt es, den Blick auch auf die Stärken des Kindes zu richten und seinen Hang zum Tagträumen sowie seine Langsamkeit auch als besondere Qualitäten wahrzunehmen. Viele verträumte Kinder sind kreativ, haben eine reiche Innenwelt und viel Fantasie, sind feinfühlig und in der Lage, Lösungen auf Fragen zu finden, bei denen man mit geradlinigem Denken nicht weiterkommt. Noelias Eltern haben aus der anfänglichen Hilflosigkeit herausgefunden – dank gegenseitiger Unterstützung in der Partnerschaft, einem intensiven und offenen Austausch innerhalb der ganzen Familie, Beratung, ermutigenden Worten der Kinderärztin und dem Engagement der aktuellen Lehrpersonen.


- Joachim Bauer: «Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens». Heyne 2018, 240 Seiten, ca. 17 Fr.
- Daniel Goleman: «Konzentriert Euch! Eine Anleitung zum modernen Leben». Piper 2015, 384 Seiten, ca. 17 Fr.Helga Simchen: «ADS. Unkonzentriert, verträumt, zu langsam und viele Fehler im Diktat. Diagnostik, Therapie und Hilfen für das hypoaktive Kind». Kohlhammer 2019, 180 Seiten, ca. 29 Fr.
- Myla und Jon Kabat-Zinn: «Mit Kindern wachsen. Die Praxis der Achtsamkeit in der Familie». Arbor 2015, 416 Seiten, ca. 37 Fr.
- Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund: «Lotte, träumst du schon wieder?». Hogrefe 2020, 184 Seiten, ca. 34 Fr., erscheint am 14. September 2020
- Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund: «Erfolgreich lernen mit ADHS. Der praktische Ratgeber für Eltern». Hogrefe 2016, 256 Seiten, ca. 38 Fr.
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