Ob in den Medien, in Kunst oder Kultur: Sex ist allgegenwärtig. Doch wie gesund und authentisch ist unser Umgang mit der eigenen Körperlichkeit? Die sexologische Körpertherapeutin Beate Wanka über die Vorbildfunktion von Müttern und Vätern, sexuelle Freiräume und schlechte Aufklärungsbücher.
Lassen Sie mich auf das Wort «aufgeklärt» eingehen und damit Ihre Frage beantworten. Aus meiner Sicht hat sexuelle Bildung in unserer Gesellschaft noch viel Entwicklungspotenzial. Ist der G-Punkt Mythos oder Realität? Zudem sind auch die weiblichen Genitalien weit mehr als nur «Vagina», wie sie zumeist definiert werden. Dazu kommt, dass wir in vielen Bereichen, die unseren Körper und unsere Sexualität betreffen, sehr schambehaftet sind. Und all dies geben wir als Vorbilder weiter. Kinder spüren viel. Beispielsweise auch, ob sich ihre Eltern aus Verbundenheit küssen und umarmen oder ob es bloss Geste und Gewohnheit ist. Deshalb ist es wichtig, Nähe und Zärtlichkeit zum Partner bewusst und ehrlich zu leben.
Wenn ich mich als Mutter beziehungsweise als Vater dabei wohlfühle und es für die anderen Familienmitglieder stimmt, gerne. Aber viel wichtiger als mein Verhalten ist meine innere Haltung zum Thema. Mit anderen Worten: Ich muss erst einmal meine eigene Scham überwinden, um sie meinen Kindern nicht mitzugeben. Vortäuschen funktioniert vor Kindern nicht. Wichtig ist, sich als Paar den Raum zu nehmen, auch mal die Schlafzimmertüre für Zweisamkeit zu schliessen. Die Kinder können lernen zu respektieren, dass die Eltern ein Paar mit Bedürfnissen sind – auch sexuellen.
Zu Beginn wird das vielleicht nicht funktionieren. Kinder wollen spüren, wie ernst es den Eltern damit ist. Sie testen die Grenzen aus. Irgendwann wird die geschlossene Schlafzimmertür als «Paarzeit» akzeptiert.
Auf jeden Fall. Einem Fünfjährigen würde ich erklären, dass Mama und Papa sich so ihre Liebe zeigen, als Mann und Frau: «Das macht uns Freude und ist wichtig für uns.» Vielleicht kann das Kind die geschlossene Türe dann immer positiver wahrnehmen, weil es weiss, dass die Eltern jetzt miteinander Freude teilen und später wieder mit ihm Zeit zum Spielen haben werden.
Dann würde ich auf das Kind zugehen. «Du hast doch vorhin gesehen, dass wir Liebe gemacht haben.» Oder: «Vielleicht hast du vorhin Geräusche gehört. Möchtest du uns dazu etwas fragen?» Bei älteren Kindern kann man direkter formulieren: «Wir hatten gerade Sex miteinander. Das tut uns als Paar gut.» Und gerne nachfragen: «Wie geht es dir damit?»
Es gibt klare gesetzliche Regeln und Vorgaben. Und das ist gut so. Darüber hinaus gilt es diese Frage aber individuell zu beantworten. In welcher Situation fühlt man sich als Mutter oder Vater nicht mehr wohl? Wenn beispielsweise der Vater mit der Tochter badet, sie den Penis des Vaters lustig findet und damit U-Boot spielen will? Darf sie den Penis anfassen oder ist das für ihn ein No-Go? Auch wenn Kinder sich öffentlich berühren, sich gerne nackt zeigen – stets müssen wir mit uns selbst ausmachen: Was stimmt für uns? Ist das Kindeswohl noch gewährleistet und was wird gesellschaftlich toleriert?