Fern von Pornos: Reden wir über Sex

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Mit seinen Kindern über Sexualität zu reden, ist so wichtig wie eh und je. Das Internet ist hier kaum eine Hilfe, im Gegenteil. Aber: Versuchen Sie es doch einmal mit der Netflix-Serie «Sex Education»!
Durch Zufall entdecken beide, dass Otis seinen Klassenkameraden erstaunlich gute Sextipps geben kann. Die chronisch klamme Maeve macht daraus ein cleveres Business: Sie besorgt aus der Schülerschaft die zahlungskräftigen «Klienten», und Otis erteilt ihnen in seiner empathischen Art Ratschläge – obwohl er selbst extrem gehemmt ist und gar keine eigenen sexuellen Erfahrungen hat. Noch nicht einmal in Sachen Masturbation.
Weil die ersten beiden Folgen sehr klamaukig und übertrieben fröhlich daherkommen, schalten Erwachsene vermutlich schon nach wenigen Minuten ab. Frei nach dem Motto: Bitte nicht noch eine alberne Teenager-Serie! Doch dranbleiben lohnt sich unbedingt. Bereits in der dritten Folge ändert sich die Tonalität – es wird ernst, traurig und sehr berührend.
Wann haben Sie das letzte Mal mit ihren Kindern über Sex gesprochen?
Internetpornos wirken verstörend
Jetzt könnten wir Erwachsene auf die verwegene Idee kommen, dass die Entdeckung der eigenen Sexualität in Zeiten des Internets viel einfacher sein müsste als bei uns seinerzeit. Durch das Web kommen Kinder spielend leicht an pornografische Inhalte heran. Das Netz ist heute der einfachste und anonymste Weg, um die eigene Neugier zu befriedigen. Falls Sie das nicht glauben, können Sie ja mal den Begriff Porno in der Bildersuche von Google eingeben und staunen, was da erscheint.
Hinzu kommen eindeutige Websites wie YouPorn, denen kaum ein Jugendlicher in einem unbeobachteten Moment zu widerstehen vermag. Dieser digitale Zugang mag zwar vieles vereinfachen, allerdings können deren Inhalte das Bild der Jugendlichen von Sexualität auch in negativer Weise beeinflussen. Sie beschädigen es sogar, wenn bestimmte Videoaufnahmen bei Mädchen und Jungen den Eindruck vermitteln, dass Sex ein Leistungssport mit mechanischen Bewegungen sei. Von allerhand abnormen Varianten mal ganz abgesehen.
Kein Wunder also, wenn Jugendliche aus solchen Angeboten eher verstörter als aufgeklärter hervorgehen. Einige von ihnen machen durch diese falschen Vorbilder körperlich schmerzhafte Erfahrungen und finden vielleicht darum keinen Gefallen mehr am Sex.
In solchen Zeiten übernimmt die Serie «Sex Education» eine ganz besondere Funktion, die über gute Unterhaltung weit hinausgeht.
Die Medien setzen Teenager massiv unter Druck
Schliesslich ist in der Pubertät die Sexualität wesentlicher Bestandteil der Ich-Findung. Nur schaffen die Medien eine Öffentlichkeit, die Kinder und Jugendliche massiv unter Druck setzt. Im Netz und beim Zappen werden sie mit unterschiedlichsten Sexpraktiken konfrontiert. Da findet ein starker Bruch statt: auf der einen Seite die plakativen sexuellen Darstellungen – fast ohne Tabus; auf der anderen Seite der noch voll mit sich und der eigenen Entwicklung beschäftigte Teenager, was ein hohes Mass an eigener Intimität und Zurückgezogenheit benötigen würde.
Zudem wollen Jugendliche meist nicht sofort mit aktiven Sexhandlungen und einem Partner beginnen, sondern zuerst sich, den eigenen Körper und die eigenen Bedürfnisse entdecken.
Wenn in der Serie ein Junge keinen Spass mehr an Sex hat und ein anderer Panikattacken davor erleidet, kann das für Jugendliche tröstlich sein.
Auch wir Eltern sollten dennoch als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, ohne uns aufzudrängen. Eltern können – fern von Sexbomben und Pornostars – eine gesunde und stabile Normalität vermitteln. Denn auch nach dem ersten Sex der Mädchen und Jungen gibt es immer noch sehr viele Fragen, die auch die beste Serie der Welt nicht beantworten kann. Wir Eltern aber schon.
Tipps zum Umgang mit dem Thema Sex:
- Sex ist zunächst mal etwas Schönes
- Verhütung ist wichtig, darüber muss gesprochen werden
- Bitte keine anzüglichen Reden und Zoten
- Keine Witze über den Körper des Kindes
- Rückzugsmöglichkeiten anbieten
- Aufklärungsliteratur nicht aufdrängen, sondern herumliegen lassen
- Ansprechpartner bei Fragen bleiben
- Keine Verhöre zum Thema Sexualität und Freunde
- Privatsphäre des Kindes akzeptieren; auch wenn kleine Kinder kein Problem mit der eigenen Nacktheit haben, wächst bei Kindern und Jugendlichen die Scham
- Schauen Sie sich «Sex Education» an und machen Sie sich ein eigenes Bild
Zum Autor:
Deutschland. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare.
Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
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