Pornografie im Kinderzimmer
Früher oder später stossen Kinder und Jugendliche beim Surfen im Netz auf pornografische Inhalte, ob gewollt oder ungewollt. Eltern können das kaum verhindern, sollten aber nicht einfach wegschauen. Ein paar Tipps, die weiterhelfen.
Mein Augenöffner ereignete sich vor drei Jahren: Meine jüngere Tochter war 10 Jahre alt und interessierte sich für verschiedene Hunderassen. Ohne viel dabei zu überlegen, gab ich den Begriff «Möpse» in die Suchmaschine auf meinem Laptop ein. Die vom Algorithmus generierten Bilder erwischten uns unvorbereitet. Mir entwischte ein «Ups!» und meine Tochter schlug kurzerhand die Hände vor die Augen. Was uns ansprang, hatte nichts mit Hunden zu tun und beschränkte sich nicht auf grosse nackte Brüste.
Ungewollt auf pornografische Inhalte im Netz zu stossen, ist heute Normalität. Bereits Primarschülerinnen und -schüler kommen über ihre ersten digitalen Geräte mit Pornografie in Kontakt. Manche von ihnen suchen aus Neugierde danach, etwa die Hälfte trifft ungewollt darauf. Mit erwachsenen Bezugspersonen sprechen sie darüber fast nie. Dies ergaben repräsentative Umfragen in Europa mit über tausend Jugendlichen.
- … hat fast die Hälfte der befragten 14- bis 20-Jährigen Hardcore-Pornografie mit entblössten Geschlechtsteilen gesehen.
- … waren 14- und 15-Jährige, die Kontakt mit harter Onlinepornografie hatten, beim Erstkontakt im Durchschnitt 12,7 Jahre alt.
- … trafen 60% der Mädchen und 37% der Jungs beim ersten Mal ungewollt auf pornografische Seiten.
- … diskutierten bloss 4% den Vorfall mit einer erwachsenen Bezugsperson.
- … fand der erste Kontakt mehrheitlich zu Hause statt.
Quelle: Klicksafe-Umfrage 2017
Pornografische Darstellungen sind Teil der Menschheitsgeschichte. Bereits in der Vorantike wurden Bildnisse des menschlichen Sexualakts angefertigt. Mit der Entwicklung der Sozialen Medien über die letzten 30 Jahre hat sich insbesondere der Konsum von Onlinepornografie stark verbreitet – auch unter Minderjährigen. Dieser steigt auch in der Schweiz, das zeigt eine neue Forschungsstudie der Universität Zürich.
- Einer von fünf befragten 13-Jährigen konsumiert regelmässig Pornografie.
- Der Pornokonsum von Jungen hat sich zwischen 2007 und 2021 von 28% auf 50% fast verdoppelt.
- Regelmässiger Pornokonsum war bei Mädchen bis 2014 noch ein Randphänomen. Bis 2021 hat er deutlich auf rund 8% zugenommen.
Quelle: www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/footer/news/2022/09/jugendgewalt/Studie.pdf
Bei den analogen Medien wurde der Zugang für Kinder zu Pornografie in vielen Ländern mit strengen Gesetzen wirksam eingeschränkt. In der digitalen Welt bleiben die Bemühungen weiterhin erfolglos. Ein Klick, der bestätigt, dass man volljährig ist, reicht meist aus, um an explizite Inhalte zu gelangen.
Warum ist das ein Problem? Es gibt zwei Faktoren, die besonders kritisch zu betrachten sind.
Erstens, das Alter, in dem Kinder mit pornografischen Inhalten konfrontiert sind: Ob ein Elfjähriger mit dem ersten Smartphone Pornos schaut oder ein Sechzehnjähriger, macht einen grossen Unterschied. Es ist etwa so, als würde man einem Primarschüler Schnaps hinstellen.
Zweitens sind es oft gewalthaltige Darstellungen: Grundsätzlich ist Pornografie immer dann problematisch, wenn sie physisch oder psychisch verletzend, diskriminierend oder ausgrenzend wirkt.
Negative Auswirkungen von Pornografie auf Kinder
Die Unicef zeigt sich beunruhigt über die grosse Zunahme an Pornografie mit extremen Inhalten, die für Kinder mühelos zugänglich ist. Der Kontakt mit Pornografie in jungen Jahren könne sich negativ auf die psychosexuelle Gesundheit auswirken. Wenn Kinder regelmässig Pornografie sähen, in der missbräuchliche und frauenfeindliche Handlungen dargestellt werden, könne das bewirken, dass dieses Verhalten als normal und akzeptabel eingeordnet wird.
Ein Kinderhilfswerk aus Grossbritannien befragte Minderjährige, die Pornografie gesehen hatten, zu ihren Eindrücken. Die Kinder sahen zu 70 % Männer als dominant dargestellt und viel häufiger einvernehmliche (sadomasochistische) Gewalt gegen Frauen als gegen Männer.
Eine offene Gesprächskultur ist die beste Herangehensweise, Kinder und Jugendliche vor Pornografie zu schützen.
Gemäss Schweizerische Kriminalprävention (SKP) meldeten in den letzten Jahren mehrere Kantone einen Anstieg an Problemen mit Internetpornografie bei Kindern und Jugendlichen. Ein Animationsclip soll 10- bis 16-Jährige deshalb über mögliche strafrechtliche Folgen des Konsums und der Verbreitung von Pornografie aufklären.
Der fragwürdige Clip der SKP zeigt Eltern, die empört und beschämt reagieren, als ihr Kind mit illegaler Pornografie in Kontakt kommt. Die kauzige Mutter, die zum Schluss ihr Kind Tag und Nacht beobachtet, dient auch nicht als Vorbild.
Wie könnten also Eltern ihre Kinder und Jugendlichen bei einem aufgeklärten Umgang mit expliziten Inhalten im Netz unterstützen und ihre sexuelle Integrität schützen, ohne den Moralfinger zu heben?
Bei jüngeren Kindern ist es zweifellos ein sehr wichtiger Schritt, Sicherheitsfilter auf den mobilen Geräten einzustellen.
Ein einziges Kind mit weniger aufmerksamen Eltern reicht jedoch, um diese Vorkehrungen zu untergraben. Jugendliche sind ausserdem ihren Eltern im Umgang mit digitalen Geräten oft voraus und können Altersbegrenzungen leicht umgehen, wenn sie das wollen.
Eine offene Gesprächskultur ist deshalb die beste Herangehensweise, Kinder und Jugendliche zu schützen.
Aus Scham sprachen 96% der befragten Kinder nicht mit einer erwachsenen Person über ihren Kontakt mit Pornografie.
Wenn sich die Familie darüber unterhält, worum es bei Pornografie geht und warum dies wenig mit Sexualität in einer Beziehung zu tun hat, kann direkt aber auch indirekt geholfen werden, explizite Inhalte einzuordnen. Kinder sollten ermuntert werden, zu ihren Eltern zu kommen, wenn sie Dinge sehen, die sie nicht verstehen oder sogar verstörend finden.
Scham ist einer der Hauptfaktoren, warum 96% aller befragten Kinder und Jugendlichen mit keiner erwachsenen Bezugsperson über ihren Kontakt mit Pornografie sprachen.
Eltern sind insbesondere dann in der Lage, ihre Kinder kompetent zu begleiten, wenn sie sich Gedanken über ihre eigene Haltung zu Sexualität und Pornografie machen. Schauen sie selber Pornos? Wie stehen sie dazu, wenn ein Partner Pornos schaut? Ist das Thema für die Erwachsenen im Haushalt schambelastet?
Für Eltern, die sich wenig mit dem Thema befasst haben oder selbst unsicher sind, was sie über Pornografie denken, bietet das Internet viele informative Websites, um sich aufklären zu lassen.
Es gibt verschiedene Bestrebungen, Pornografie feministischer und gleichberechtigter zu gestalten. Ein Beispiel ist makelovenotporn.tv (Macht Liebe, nicht Porno), wo echte Paare beim Sex gezeigt werden, um positive Vorbilder zu vermitteln, oder es gibt die «Porny Days», ein Film- und Kunst-Festival zum Thema Körperlichkeit und Sexualität, das jährlich in Zürich stattfindet, um der Mainstream-Pornografie entgegenzuwirken.
Pornografie muss nicht per se verteufelt werden. Klar ist aber, dass Pornos nicht für Kinder und Jugendliche gemacht sind. Im Internet gibt es keine Instanz, die pornografische Inhalte überprüft, bevor sie auf dem Gerät eines Kindes oder Jugendlichen landen. Beschäftigen sich Erwachsene im Umfeld nicht damit, tut es niemand anderes.
Gut aufgeklärte Kinder und Jugendliche können besser einschätzen, ob das, was sie sehen, harmlos ist, ob es sich um eine Grenzüberschreitung handelt oder vielleicht sogar um eine Straftat, die gemeldet werden muss.
Wäre es nicht erstrebenswert, dass sie dabei öfter auf die Unterstützung von erwachsenen Bezugspersonen zählen könnten?