Kräftig in die Eier treten
Unsere Kolumnistin Michèle Binswanger über das Heranreifen zur Frau, grabschende Männer und das Recht, seine Grenzen zu verteidigen.
Erinnere ich mich daran zurück, wann ich mich zum ersten Mal als Frau fühlte, gibt es diesen einen Moment. Es war nicht der unvermeidliche rote Fleck in der Unterhose, nicht die schamvoll umklammerte Packung Tampons, sondern ein Auto. Mit quietschenden Reifen nahm es die Kurve, ein Mann beugte sich heraus und brüllte mir hinterher: «Geiler Arsch, du Stute!» Ich zeigte ihm den Finger – meinen heimlichen Stolz, solches Interesse zu erwecken, beschloss ich zu ignorieren.
Meine Tochter ist ebenfalls fünfzehn, bald eine Frau. Neulich erzählte sie mir vom Ausgang. Sie war auf einer Party ihres Gymnasiums, eine öffentliche Veranstaltung in einer städtischen Halle. Die Musik war schrecklich, die Jungs peinlich, aber sie hatten grossen Spass.
Oh, und ihre Gruppe von Mädchen sei übel begrabscht worden, erzählte sie beiläufig. Offensichtlich war da ein Mann, ein Erwachsener, der sich ihrer Gruppe näherte, die Kolleginnen an den Hintern fasste und meine Tochter, als sie sich schützend davor stellte, in die Brust kniff.
Ich meinte mich verhört zu haben. «So ein Schwein!», rief ich: Wer das gewesen sei, jemand, den sie kenne? Hatte ihn sonst jemand gekannt? Sie lächelte unsicher, überrascht von meiner Reaktion: «Chill, Mama, so schlimm war es nicht.» Chill? Kommentarlos in die Eier treten sollte man so einen.
Was meine Tochter mir signalisierte, ist beruhigend. Dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass das ein Idiot war und sie mit der Erfahrung klarkommt. Ob meine Tochter aber auch wusste, was ich meine, bezweifle ich. Nämlich, dass sich kein Mann solch niederträchtige Übergriffe erlauben darf.
Meine Tochter wird ihren eigenen Weg finden. Ich habe sie derweil für einen Krav-Maga-Kurs angemeldet.
Und keine Frau und schon gar kein Mädchen sich das gefallen lassen muss. Ganz egal, wie schlimm der Übergriff empfunden wird oder eben nicht. Die Pubertät ist eine Zeit der körperlichen Revolutionen. Haare spriessen, Brüste knospen, Hüften wachsen.
Und die Blicke auf der Strasse verändern sich, wenn man als sexuelles Wesen wahrgenommen wird. Die Verwandlung wird oft von psychischen Krisen begleitet, die sich in dieser Zeit in Form von Essstörungen oder Selbstverletzungen zeigen können.
Dahinter steckt das Bedürfnis, die Kontrolle zurückzugewinnen, seine physischen und psychischen Grenzen zu manifestieren. Was braucht es, um sich in einer Wohnung, einer neuen Stadt, mit einem neuen Menschen heimisch zu fühlen? Es braucht Erfahrungen.
Man holt Brot aus der Bäckerei zwei Strassen weiter, erlebt, wie der Park nebenan sich mit den Jahreszeiten verändert. Und genau so funktioniert es mit der Sexualität. Es geht darum, sich diesen neuen Körper und diese neue Persönlichkeit zu entdecken.
Und vor allem zu erkennen, wo die Grenzen liegen und wie man sie schützt. Meine Tochter wird ihren eigenen Weg finden. Ich habe sie derweil für einen Krav-Maga-Kurs angemeldet. Dort lernt man effektive und gnadenlose Selbstverteidigungstechniken. Damit sie den nächsten Täter kräftig in die Eier treten kann.