Konflikte: Dicke Luft in der Familie
Hausaufgaben, Ausgang, Medienkonsum: In Familien gibt es viele Konfliktfelder. Doch warum streiten wir gerade mit unseren Liebsten so häufig? Wie lassen sich Auseinandersetzungen in etwas Konstruktives verwandeln? Und was sollten wir im Streit auf keinen Fall tun?
Geschwister geraten im Schnitt alle 20 Minuten aneinander, sagen Fachleute. Eltern mit ihren Kindern an manchen Tagen nicht weniger oft. Es geht dabei um Hausaufgaben, Schlafenszeiten, das Chaos im Kinderzimmer, wetterangepasste Kleidung oder Medienkonsum. Die Liste ist lang. Doch warum geraten wir ausgerechnet mit denjenigen, die wir lieben, am häufigsten in Konflikt? «In Familien werden wir hineingeboren, wir suchen uns diese nicht aus», sagt Barbara Pfeiffer, STEP-Trainerin (Systematisches Training für Eltern und Pädagogen) in Winterthur. Es prallten unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten aufeinander – was manchmal zu einer explosiven Mischung führe.
Zu Hause nehmen wir kein Blatt vor den Mund, lassen Filter beiseite und Emotionen freien Lauf.
Gleichzeitig ist die Familie ein geschützter Raum, in dem wir uns im Idealfall bedingungslos geliebt fühlen und so sein können, wie wir sind. Nach aussen reisst man sich eher zusammen – sei es im Büro, in der Schule oder im Kindergarten. Zu Hause aber nehmen wir kein Blatt vor den Mund, lassen Filter beiseite und Emotionen freien Lauf. Kinder haben dies bereits verinnerlicht. Eltern fällt es auf, wenn die Lehrerin den ausgeglichenen Charakter ihrer Zweitklässlerin lobt – während die Siebenjährige zu Hause eher für Wutanfälle bekannt ist. «Solches Verhalten sollten Eltern in diesen herausfordernden Situationen als Kompliment nehmen», findet Pfeiffer, die Mütter und Väter für ein kooperatives und stressfreieres Zusammenleben mit Kindern schult. Schliesslich zeige es: Das Kind fühlt sich zu Hause sicher.
Doch worauf kommt es beim Streiten an? Was lernen Erwachsene und Kinder bestenfalls aus Konfliktsituationen in der Familie?
Und was sollte man dabei unbedingt vermeiden?
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden in vielen Familien kaum offen Konflikte ausgetragen. Eltern hatten einfach Recht – keine Widerrede, Punkt! Der autoritäre Erziehungsstil dominierte, Ärger und Frust galt es hinunterzuschlucken, Anweisungen musste Folge geleistet werden, sonst setzte es Strafen. Und ging es um Paarkonflikte, wurde vor den Kindern meist gar nicht erst gestritten. Das elterliche Verhalten glich einer Blackbox: Zunächst war da die schlechte Stimmung, die sich Stunden oder Tage später in Luft aufgelöst zu haben schien. Was zwischen diesen beiden Zuständen passierte, blieb für die Kinder im Dunkeln.
Heute, in Zeiten partnerschaftlicher Erziehung, gibt es zwar auch Momente, in denen sich manche Mutter, mancher Vater wünscht, gefühlt nicht alles und jedes mit dem Nachwuchs verhandeln zu müssen. Insgesamt ist es aber sehr zu begrüssen, dass die Kommandofamilie von einst ausgedient hat und an ihre Stelle das Verhandeln gerückt ist.
Es ist sehr zu begrüssen, dass an die Stelle der Kommandofamilie von einst das Verhandeln gerückt ist.
Schliesslich ist die Familie «ein ideales Übungsfeld, um zu lernen, wie man Konflikte austrägt», sagt Sabrina Beck, ausgebildete Psychotherapeutin, die an der Uni Zürich zur Persönlichkeitsentwicklung und elterlichen Erziehung promoviert. Denn: Perspektiven von anderen einnehmen, für sich selbst einstehen, zusammen Lösungswege suchen – wer sich diese Kompetenzen bereits in der Kindheit aneignet, tut sich damit als Erwachsener leichter. «Generell sind sich Eltern heute zunehmend bewusster, dass sie durch die Erziehung einen entscheidenden Einfluss auf die Fähigkeiten ihres Kindes zur Emotionsregulation und Konfliktlösung haben», sagt Beck. Schliesslich haben sie im Vergleich zu früheren Generationen leichter Zugang zu Informationen in Internet und Literatur oder niederschwelligen Beratungsangeboten.
«Subtiles Dauerstreiten ist zerstörerisch»
Die Familie fungiert also als Übungsfeld für konstruktives Streiten, auf dem man sich ausprobieren kann. Doch auch in diesem Rahmen ist es wichtig, respektvoll miteinander umzugehen. Denn Streit in der Familie, und vor allem unter Eltern, wirkt sich auf das psychische Wohlbefinden aus, auf die Bindungsfähigkeit von Kindern.
Erleben Buben und Mädchen viele Konflikte zu Hause, steigt für sie die Wahrscheinlichkeit, später an Depressionen zu erkranken – zu diesem Schluss kommt eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2019. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Texas untersuchten dabei in 600 Familien, welche Folgen dauerhafte innerfamiliäre Konflikte auf die Entwicklung ihrer Kinder haben. «Das muss gar nicht immer der riesige destruktive Streit sein», sagt Valentina Rauch-Anderegg, Psychologin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Affoltern am Albis. «Subtiles Dauerstreiten ist genauso zerstörerisch.»
Entscheidend ist, wie Elternpaare Konflikte austragen
Was leben Mama und Papa vor? Ist ihr Streit immer anstrengend und ausufernd? Oder diskutieren sie und finden Kompromisse? Können sie sich und ihre Gefühle regulieren? Oder explodieren sie gleich? Schaffen sie es, trotz allem wertschätzend und wohlwollend miteinander umzugehen? Entscheidend ist, wie Elternpaare ihre Konflikte austragen.
- Jedes Familienmitglied zählt
- Respektvoll miteinander umgehen, aktiv zuhören, ausreden lassen
- Ich-Botschaften senden
- Beleidigungen komplett vermeiden
- Perspektive wechseln und Verhalten reflektiere
- Entschuldigungen annehmen
«Wenn Eltern ständig destruktiv streiten, belastet das die Kinder sehr», sagte der Konflikt- und Familienberater Mathias Voelchert kürzlich in einem Interview mit diesem Magazin. Den anderen abwerten, schlechtmachen, sich nur im Kreis drehen mit immer denselben Vorwürfen – dies bezeichnet Voelchert als destruktiv. «Kinder fühlen sich dann schnell verantwortlich für den Streit und entwickeln Schuldgefühle.» Mädchen und Buben, die wiederholte negative Konflikte zwischen den Eltern erleben, sind oft verunsichert und belastet. Sie sorgen sich um das Wohl der Eltern und die Stabilität der Familie.
Wurde ein Konflikt beigelegt, sollten Mutter und Vater das Thema ruhen lassen, einen Punkt machen.
Auch in Konflikten mit den Kindern gilt es für die Erwachsenen einiges zu vermeiden: Unvermittelt einen Streit abbrechen etwa («Mit dir diskutiere ich nicht!») oder den Nachwuchs als Person kritisieren und übergeneralisieren («Du bist mega unordentlich», «Du bist einfach ein Trotzkopf»). Solche Reaktionen vermitteln dem Kind nur: «Etwas an dir ist grundsätzlich nicht in Ordnung», und machen sein Grundvertrauen zunichte – was wiederum zu Unsicherheiten in ganz vielen Bereichen des Lebens führen kann. Hinzu kommt: «Fehlt das Lernen am Modell der Eltern, müssen sich Kinder dies später mühsam erarbeiten – was viel Energie braucht», so Valentina Rauch-Anderegg. «Denn um ein neues Muster zu erlernen, gilt es zunächst das vertraute, destruktive abzulegen.» Wurde ein Konflikt beigelegt, sollten Mutter und Vater das Thema ruhen lassen, einen Punkt machen. Bedeutet: Will das Kind später kuscheln, nicht wieder von vorne anfangen: «Weisst du, vorhin fand ich das echt nicht lässig von dir.»
Kindern auf Augenhöhe begegnen
Es geht also darum, sich in der Familie gegenseitig zu respektieren, nicht absichtlich zu verletzen. Dies gilt für Konflikte innerhalb der Partnerschaft – und mit den Kindern.
Dem Nachwuchs sollten Eltern auf Augenhöhe begegnen – ihn ernst nehmen mit seinen Anliegen und Gefühlen. Sodass die Mädchen und Buben erleben: «Meine Meinung ist wichtig, ich kann etwas bewirken.»
Anlaufstationen, die Unterstützung bieten
Für Eltern
• Systematisches Training für Eltern und Pädagogen, (STEP-)Erziehungskurse: www.instep-online.ch
• Elternnotruf: www.elternnotruf.ch
• Mütter- und Väterberatung: www.sf-mvb.ch
• Pro Juventute Elternberatung: www.projuventute.ch/de/elternberatung
Für Kinder
• NCBI-Workshops zu Geschwisterstreit («Bis jemand weint» und «Peacemaker»): www.ncbi.ch/de/projekte
• «Keine Daheimnisse», Präventionsprojekt von NCBI Schweiz zum Thema Körperstrafen für Schulen, Kinder- und Jugendgruppen: www.ncbi.ch/de/projekte
• Telefonhilfe 147 von Pro Juventute für Kinder und Jugendliche: www.147.ch
Gleichzeitig tragen Eltern als Erziehungsberechtigte die Verantwortung und müssen deshalb klare Linien vorgeben («Ich sehe, dass du enttäuscht bist; aber nachdem wir das diskutiert haben, machen wir das jetzt so»). «Hier die Balance zu finden, ist nicht immer leicht», sagt Rauch-Anderegg. Generell jedoch gelte: «Je aktiver ein Kind in die Lösungsfindung integriert ist und merkt, dass seine Gefühle ernst genommen werden, desto besser kann es mit Entscheidungen umgehen und desto seltener gibt es Streit.» Aktiv gestalten und mittragen lauten die Schlüsselworte.
Mütter und Väter müssen immer wieder ausloten: Welche Entscheidungen kann das Kind bereits selbst treffen, welche nicht?
Übertragen auf die Familie heisst dies zum Beispiel: Ansagen, die individuellen Spielraum lassen, sind am erfolgversprechendsten, wie etwa: «Bis 19 Uhr sind die Hausaufgaben erledigt. Wann genau du diese jedoch machst, entscheidest du selbst.» Eine Situation, die Erwachsene auch aus der Berufswelt kennen: Je mehr Freiheiten und Möglichkeiten der Mitbestimmung wir haben, umso lieber engagieren wir uns. Bei sehr detaillierten Vorgaben mit wenig Spielraum hingegen gilt das Gegenteil.
Im Kleinkind- und Kindergartenalter orientiert sich der Nachwuchs noch stark an den Eltern, entdeckt aber nach und nach seinen eigenen Willen, testet Grenzen aus. Mutter und Vater müssen hier viel Orientierung geben und immer wieder ausloten: Welche Entscheidungen kann das Kind bereits selbst treffen, welche nicht? Wenn nötig heisst es einschreiten und klare Ansagen machen: «Stopp! Das Klettergerüst ist zu hoch! Hier kannst du nicht runterspringen, sonst verletzt du dich!»
In der Pubertät nehmen die Konflikte zu
Mit den Jahren verändern sich die Konflikte zwischen Eltern und Kindern, werden zunehmend komplexer – in Worten und Handlungen –, aber auch persönlicher und gezielter. Gründe, innerhalb der Familie aneinanderzugeraten, gibt es nun zur Genüge: Hausaufgaben, Aufräumen, Tischmanieren, Medienkonsum, Schlafenszeiten, irgendwann auch Ausgang, Alkohol, Rauchen. Oder schlicht: «Die anderen dürfen viel mehr als ich!»
Das Gehirn durchläuft in der Pubertät einen enormen Reifeprozess, der dafür verantwortlich ist, dass das Kind eben noch himmelhoch jauchzend war und nun zu Tode betrübt ist. Eine rasante Berg-und-Tal-Fahrt setzt ein. Je älter der Nachwuchs wird, umso mehr orientiert er sich an Gleichaltrigen, entfernt sich Stück für Stück von den Eltern, will sich vehement abgrenzen – und ist im nächsten Moment doch wieder sehr anlehnungsbedürftig. Für Eltern ist es in dieser Phase oft nicht leicht, mit Konflikten umzugehen.
Für Eltern Pubertierender gilt die Überlebensstrategie: Konflikte nicht persönlich nehmen!
«Eltern sollten in dieser Entwicklungsphase weniger Druck machen, dafür mehr Angebote – etwa was gemeinsame Aktivitäten angeht», findet Sabrina Beck. Mit anderen Worten: Eltern sollten sich in Kompromissbereitschaft üben. Vor allem aber gelte es sich von der scheinbaren Autonomie seiner Sprösslinge nicht abschrecken zu lassen. Denn: «Gerade in der Pubertät brauchen Jugendliche ihre Eltern noch sehr.» In der Zeit der grossen Umbrüche, wenn all die hormonellen Veränderungen anstehen, zentrale Fragen verhandelt werden («Was mache ich nach Schule und Ausbildung? Wer bin ich überhaupt?») und sich auch Freundschaften schnell ändern, sind Eltern äusserst wichtig – als Konstanten in unwägbaren Gewässern, die beim Durchnavigieren helfen und als Gesprächspartner ein offenes Ohr haben.
Wer sich um eine gute Beziehung zu seinen Kindern bemüht, verringert die Intensität von Konflikten nachhaltig. Diesen Schluss lassen verschiedene Studien zu. So werteten kanadische und amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 2018 für eine Meta-Analyse 72 Studien zur Eltern-Kind-Beziehung und deren Einfluss auf die Emotionsregulationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen verschiedenen Alters aus. Dabei zeigte sich: Kinder mit einer sicheren Bindung zu den Eltern können ihre Emotionen besser regulieren – was ihnen in Konfliktsituationen mit der Familie zugutekommt, aber auch mit Peers sowie später im Arbeitsleben. Gibt es eine vertrauensvolle Eltern-Kind-Beziehung, trägt dies durch die Pubertät. Konflikte fallen dann nicht so stark aus.
Für Mutter und Vater wiederum lautet die wichtigste Überlebensstrategie in dieser Zeit: Konflikte mit dem Nachwuchs nicht persönlich nehmen! Gleichzeitig gilt es aber auch klare Grenzen zu setzen («Ich will nicht, dass du mich beleidigst!»), Jugendliche an Problemlösungen zu beteiligen («Beim Tischabräumen helfen alle. Wenn du mittags zu müde bist: Wann übernimmst du deinen Teil?») und dem Nachwuchs so zu signalisieren: Du kannst mitgestalten!
«Nicht jeder Tag verläuft geschmeidig»
Allerdings – und das gilt auch für Konflikte mit kleineren Kindern – sollten Eltern sich bewusst werden: Niemand besitzt ein unendliches Mass an Geduld. Oder, wie Valentina Rauch-Anderegg es formuliert: «Es ist okay, wenn Tochter oder Sohn spüren, ‹Mami ist gereizt›. Kinder dürfen ein realistisches Bild von der Welt bekommen und merken: Nicht jeder Tag verläuft geschmeidig.»
Konflikte sind normal und gehören zum Leben dazu. «Es geht darum, dass man den Kindern klarmacht: ‹Unser Leben ist kein Werbefernsehen›», so Familienberater Mathias Voelchert. Denn was uns in den Medien vermittelt werde, sei ein falsches Bild von Harmonie. Dabei gelte es zu lernen, wie man konstruktiv mit Konfliktsituationen umgehen kann, und nicht darum, diese gänzlich zu vermeiden.
Wichtig ist, dass Eltern in der Lage sind, sich zu entschuldigen, wenn eine Situation aus dem Ruder läuft, sie die Ruhe verlieren, sich im Ton vergreifen oder dem Kind die Schuld für die Eskalation zuschieben. Dann gilt es später nochmals das Gespräch mit dem Nachwuchs zu suchen («Tut mir leid, dass ich vorhin laut geworden bin»), so dass dieser lernt: «Es ist okay, Fehler zu machen – aber ich muss mich entschuldigen.» Bei alldem sollte Kindern klar sein: «Auch wenn wir jetzt streiten – Mama und Papa haben mich lieb.»
Zum Ausgleich ein andermal Zeit und Aufmerksamkeit investieren
Valentina Rauch-Anderegg vergleicht dies mit einem Bankkonto: «Man kann schon mal mehr davon abheben – zum Beispiel wenn man wegen Schlafmangel nicht so geduldig ist oder wenn das Kind beim gemeinsamen Kochen sehr langsam die Zucchetti schält.» Allerdings müsse man dann ausserhalb des Konflikts auch wieder etwas einzahlen, damit die Balance stimmt: Indem man Respekt und Interesse zeigt, zum Beispiel, sich Zeit für das Kind nimmt, gemeinsam etwas liest, bastelt oder bewusst draussen zusammen etwas unternimmt. Nachfragen, wie der Tag des Kindes war, und geduldig zuhören gehören ebenfalls dazu. Wichtig dabei: Um negative Erfahrungen auszugleichen, gilt es immer mehr einzuzahlen – denn negative Erlebnisse wiegen schwerer.
Negative Erfahrungen gilt es immer durch mehr positive auszugleichen – denn negative Erlebnisse wiegen schwerer
Doch nicht alles lässt sich in einem Gespräch klären. Im Gegenteil: «Eltern sollten sich von der Vorstellung verabschieden: Wenn wir zusammensitzen, finden wir mmer eine Lösung», sagt die Psychotherapeutin. Dies schüre nur falsche Erwartungen. An manchen Tagen gelingt dies eben einfach nicht. Was dann hilft? «Vertagen und ins Bett gehen!», rät Rauch-Anderegg. Allerdings nicht in Form von «Mit dir diskutiere ich nicht weiter, ich geh jetzt schlafen» – was beim Kind den Eindruck hinterlässt: «Mama und Papa hören mir nicht zu.» Stattdessen lieber eine klare Ansage machen mit konkreter Zeitangabe: «Wir sind beide müde, lass es uns vertagen und morgen nach dem Mittagessen weitersprechen.»
Es braucht die Bereitschaft, etwas ändern zu wollen
Gut sei auch immer, einen Rahmen festzulegen, in dem alle Familienmitglieder sagen dürfen, wie sie die letzten Tage erlebt haben, etwa am Sonntagabend die vergangene Woche besprechen. Dies gibt dem Nachwuchs Gelegenheit zu sagen: «Ich fand es blöd, dass wir gestern doch nicht in den Zoo gegangen sind.» Die Eltern wiederum können darauf eingehen («Stimmt, die kurzfristige Planänderung ist nicht gut gelaufen») und gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden («Lass uns das nächste Woche nachholen»). «Auch hier geht es ums Vorleben», sagt Rauch-Anderegg, «ums Signalisieren: Wir finden einen Weg!»
Wie reagieren Eltern jedoch am besten, wenn sie merken, dass ihnen ein Konflikt entgleitet und sie an ihre Grenzen stossen? «Die Situation verlassen und sich eine physische Auszeit nehmen, bevor es eskaliert.» Kommen dieselben Konflikte immer und immer wieder vor, brauchen Eltern oder Kinder lange, bis sie sich nach einem Streit erholt haben, oder können sie ihre Emotionen nur schwer regulieren, lohnt es sich gemäss Rauch-Anderegg, das Ganze auf einer anderen Ebene anzuschauen: Mit dem Partner darüber reden, mit Freunden austauschen, eine Beratungsstelle oder Elternkurse aufsuchen. «Oft hilft es schon, auf Eltern zu treffen, die im gleichen Boot sitzen», findet STEP-Trainerin Barbara Pfeiffer. «Zu erfahren: Andere haben die gleichen Schwierigkeiten wie ich. Aber auch zu fragen: Wie macht ihr das denn?» Dies alles setze jedoch die Bereitschaft voraus, etwas ändern zu wollen.
Spüren und berücksichtigen Eltern ihre eigenen Grenzen, gelingt es ihnen besser, in Konfliktsituationen ruhig zu bleiben.
Idealerweise sind Mutter und Vater natürlich ausgeglichen und reflektiert. Dann gelingt es ihnen besser, beim Streit mit dem Nachwuchs einen kühlen Kopf zu bewahren, einen Schritt zurückzutreten und zu überlegen: Wo steht mein Kind entwicklungsmässig? Was steckt hinter seinem Verhalten? Aber auch: Inwiefern hat dieser Konflikt mit dem Kind zu tun? Inwiefern mit mir, meinen eigenen Erfahrungen als Kind, mit meinen Erwartungen? Klar ist: Spüren und berücksichtigen Eltern ihre eigenen Grenzen, gelingt es ihnen besser, in Konfliktsituationen ruhig zu bleiben. Sind sie hingegen gestresst und haben nicht genug Ressourcen, um auf das Kind einzugehen, ist die Gefahr gross, dass ihnen die Situation entgleitet.
Nicht umsonst lautet einer der häufigsten Ratschläge an Eltern: Nehmt euch bewusst kurze Auszeiten und schraubt eure Ansprüche an euch selbst herunter! Der Elternjob ist nun mal stressig. Für alle. Ein gekaufter Kuchen für den Kindergeburtstag ist deshalb genauso gut wie ein selbst gebackener.
Was aber tun, wenn im turbulenten Alltag mal wieder alles über uns hereinbricht, die guten Ratschläge und Vorsätze wie ausgelöscht sind und der Elternteil dem brüllenden und türenknallenden Nachwuchs in ähnlicher Lautstärke hinterherruft? «Dann sollten wir zumindest die gegenseitige Wertschätzung aufrechterhalten», rät Barbara Pfeiffer. «Das ist sozusagen die Minimalanforderung – und gleichzeitig auch beste Prävention gegen Konflikte. Fühlt sich der Nachwuchs als gleichwertiger Teil einer Familie, gibt es weniger Streit.»
Bücher zum Weiterlesen
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Tel. 044 365 34 00
Dienstag, 14. Juni, 16-19 Uhr