«Sich selbst zu reflektieren, ist der Schlüssel, um Konflikte zu lösen»

Michelle Burgener-Oehri, 39, lebt mit ihrer Patchworkfamilie in Winterthur. Dazu gehören Pascal, 34, Gian, 13, Lena, 7, und Finan, 1. Um Streit zwischen Gross und Klein zu vermeiden, achtet die Lehrerin und Kinesiologin auf ihre eigenen Grenzen.
«Bei uns in der Familie gibt es aufgrund der Altersdifferenz zwischen den Kindern eine grosse Spannweite an Themen und somit auch an möglichen Konflikten. Wenn es knallt, dann meist, weil verschiedene Bedürfnisse aufeinandertreffen: der 13-Jährige, der sich langsam abnabeln will, der Einjährige, der an einem ganz anderen Punkt steht. Diesen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, finde ich manchmal schwierig.
Die zwei Grossen stammen aus meiner früheren Ehe, sie verbringen jedes zweite Wochenende und einen Teil der Ferien bei ihrem Vater. Mit Pascal zusammen habe ich den Kleinen. Gian und Lena gegenüber ist Pascal von Anfang an bewusst nicht als Konkurrenz zum Vater aufgetreten, sondern eher als Kollege, als weitere Begleitperson. Regeln besprechen wir gemeinsam, schlussendlich aber kommuniziere ich sie. Das hat schon immer gut geklappt.
Bin ich mal laut geworden, finde ich es wichtig, mich beim Kind zu entschuldigen. Und nicht zu hart mit mir selbst ins Gericht zu gehen.
Kommt es zum Streit mit einem Kind, versuche ich im Idealfall zuerst zu verstehen, was dahintersteckt. Gleichzeitig hinterfrage ich mich selbst: Was ist bei mir im Moment los?, Wo stehe ich? Was ich gelernt habe: Bei Konflikten, gerade in der Familie, geht es vor allem darum, seine eigenen Grenzen zu spüren und klar zu kommunizieren, aber auch die der anderen zu erkennen.
Eine Zeit lang bin ich zum Beispiel mit meiner Tochter abends oft aneinandergeraten. Bis mir klar wurde: Lena ist ein Abendmensch, sie dreht dann erst so richtig auf, während ich spätestens ab 20 Uhr mein Limit erreicht habe und dann viel schneller gereizt bin. Mittlerweile kommuniziere ich offen: ‹Das hat nichts mit dir zu tun, ich bin einfach müde und mag nicht mehr.› Ich lasse ihr vielleicht noch ein Hörspiel laufen; aber Lena weiss, dass von mir dann nicht mehr zu erwarten ist. Seit ich besser auf meine eigenen Grenzen achte und diese auch klar anspreche, haben wir viel friedlichere Abende.
Sich selbst reflektieren zu können, ist für mich der Schlüssel, um Konflikte zu lösen. Nur zu sagen, das Kind sei schwierig, greift zu kurz. Doch obwohl ich mir vieler Dinge bewusst bin, reagiere ich im stressigen Alltag natürlich ab und zu trotzdem nicht so, wie ich es gerne würde. Hier finde ich zwei Dinge wichtig: sich beim Kind zu entschuldigen – zum Beispiel, wenn man in einer Situation unbeabsichtigt laut geworden ist – und gleichzeitig mit sich selbst nicht so hart ins Gericht zu gehen. Fehler gehören dazu. Es kommt nur darauf an, wie man mit ihnen umgeht.»
Gehört in Ihrer Familie Streit zum Alltag? Fühlen Sie sich als Eltern manchmal hilflos und ohnmächtig? Wünschen Sie sich konkrete Tipps, wie man richtig streitet und Konflikte löst? Dann wenden Sie sich an den Elternnotruf. Am Dienstag, 14. Juni 2022, stehen Ihnen drei Fachleute exklusiv zur Verfügung. Sie können Ihre Fragen auch schriftlich einreichen: 24h@elternnotruf.ch. Sie erhalten innerhalb von 24 Stunden eine Antwort. Martina Schmid, Matthias Gysel und Rita Girzone freuen sich auf Sie!
Tel. 044 365 34 00
Dienstag, 14. Juni, 16-19 Uhr