Die Erwachsenen müssen sich trauen, «loszulassen», um ihrem Kind die Ausübung von Eigenverantwortung zu ermöglichen. Verantwortung wird entweder vom Kind oder von den Erwachsenen übernommen. «Persönliche» Verantwortung heisst im buchstäblichen Sinn, dass sie nicht geteilt werden kann. Kommt es in dieser Frage zu einem Gezerre zwischen Eltern und Kind, profitiert niemand davon.
Es ist an den Eltern, mit ihrem Kind einen guten Kontakt zu etablieren und sich allmählich an die Rolle von aktiven Sparringpartnern zu gewöhnen. Zunächst mögen sie sich ein wenig nachlässig oder «verantwortungslos» fühlen, doch dieses Gefühl weicht in der Regel der Freude darüber, dass sich die Kompetenzen ihres Kindes entfalten und entwickeln.
Dass Kinder Eigenverantwortung übernehmen, heisst nämlich nicht, dass sie allein klarkommen. Sie brauchen ein konstruktives Zusammenspiel, müssen aber auch die Möglichkeit haben, zu experimentieren und (mit den Eltern als loyale Zeugen) zu scheitern.
Die Schule hat sich schon immer schwergetan, die persönliche Verantwortung der Kinder zu akzeptieren. Darum wird die Verantwortung für die Hausaufgaben so oft den Eltern zugeschoben. Ein Vorwurf, gegen den sich die Schulen selbstverständlich verwahren – natürlich sollen die Kinder ihre Hausaufgaben selbständig erledigen, doch wenn das nicht klappt, müssen eben die Eltern ran. Oder wie ist das eigentlich gemeint?
Langjährige Erfahrung hat mich gelehrt, dass das Vernünftigste auch das Einleuchtendste ist: Die Hausaufgaben liegen in der Verantwortung der Kinder. Mit dem Gang zur Schule gehen die Kinder quasi ihrer Arbeit nach, also übernehmen sie auch die Verantwortung für das, was mit dieser Arbeit einhergeht. Doch noch einmal: Sie tun dies nicht allein! Sie sind auf das Interesse, die Unterstützung und das Engagement ihrer Eltern angewiesen. Ein Übermass an Kontrolle führt hingegen zu destruktiven Konflikten, die nicht nur das Miteinander in der Familie, sondern auch das Verhältnis der Kinder zur Schule belasten.
Kinder und Jugendliche leben in einer Welt, in der alles zur freien Verfügung steht. Unmittelbar vor der Schule werden Drogen angeboten und das Internet bietet einen grenzenlosen Raum, der ebenfalls von Erwachsenen geschaffen wurde. Dann kommen die Partys, Hormone und Imponiergehabe, Mobbing und Gewalt und all die Dinge, die Eltern ihren Kindern am liebsten ersparen möchten.
Ein gut entwickeltes Bewusstsein für persönliche Verantwortung im Verbund mit elterlicher Loyalität und dem konstruktiven Zusammenspiel in der Familie ist der beste Schutz gegen diese Dinge und bietet die grösste Gewähr, dass unsere Kinder nicht zu viele destruktive Entscheidungen treffen. Deshalb besteht die wichtigste Aufgabe der Eltern darin, langfristig zu denken, anstatt ihre Kräfte durch Kontrolle, Ermahnungen, Verbote und Strafen zu vergeuden und sich in einer Reihe von Machtkämpfen aufzureiben. Das Vertrauen darauf, dass schon alles einen guten Gang nehmen wird, müssen die Eltern in sich selbst finden. Dafür sind nicht ihre Kinder zuständig. Wenn das Vertrauen erschüttert wird und Panik um sich greift, müssen die Erwachsenen sich die Hand reichen und warten, bis alles vorüber ist.
Und sollte doch etwas schiefgehen, ist Vertrauen weiterhin das Wichtigste, was Sie Ihrem Kind geben können. Weil nur Sie es können.