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«Strafen bewirken keine Verhaltensänderung»

Lesedauer: 1 Minuten

Lisa Briner und Noé Roy sind beide 28 Jahre alt. Die Buchhalterin und der Produktmanager leben mit ­ihren Töchtern Amélie, 4, und  Inès, 2, in Bern. Sie sind jung Eltern geworden und wussten, dass sie den autoritären Erziehungsstil ­ihrer eigenen Elternhäuser nicht übernehmen wollten.

Noé und ich sind ziemlich jung und unge­plant Eltern geworden. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, Amélie zu bekommen, und haben das auch als Chance für uns als Paar verstanden. Allerdings haben wir beide schnell gemerkt, dass wir eigentlich gar keine Ahnung haben, wie wir ein Kind grossziehen wollen. Ich komme aus einem Elternhaus, das eher autoritär war. Ich erinnere mich an Strafen für das, was meine Eltern als zu frech, zu wild oder zu wenig folgsam empfanden.

Mein Bruder wurde ab und zu in sein Zimmer gesperrt, wenn er zu laut gewesen war. Später gab es dann Fernseh- oder Handyentzug. Was heute viele Fachbücher und Studien erklären, weiss ich aus praktischer Erfahrung: Strafen bewirken überhaupt keine Einsicht oder Verhaltensänderung. Ich habe bestimmte Strafen einfach in Kauf genommen, wenn ich dafür etwas machen konnte, was ich wollte.

Noé und ich müssen immer wieder darauf achten, dass wir mit unseren Energieressourcen nicht am Limit sind.

Noé und ich haben beide gedacht, dass Erziehung doch auch anders möglich sein muss. Was bringt es denn, ein kleines Kind anzubrüllen – ausser dass es sich wahn­sinnig erschreckt und verunsichert ist? Wir wollten ein anderes Familienmodell. Allerdings haben wir auch schnell festgestellt, dass es mit dem blossen Ideal nicht getan ist. Der Erziehungsstil wird oft durch das geprägt, was man selbst in seiner Kindheit erlebt hat, weil man im herausfordernden Familien­­alltag in erlernte Muster zurückfällt.

Noé und ich haben uns überfordert gefühlt und sind zur Familienberatung von Nina Trepp gegangen. Das hat uns sehr gutgetan. Wir haben uns dabei als Paar intensiver kennen­gelernt, und ich finde es wirklich wunderbar, dass wir uns so gut über solche Fragen austauschen können. Wir haben dabei auch viel über uns und unsere Reaktionen auf bestimmte Stresssituationen gelernt.

Vor Kurzem hat die Kleine unser Badezimmer so unter Wasser gesetzt, dass es bis ins Wohnzimmer gelaufen ist. Da hätte ich früher geschrien vor Wut. Jetzt habe ich bestimmte Strategien zur Hand, die mir helfen: zum Beispiel kurz durchatmen, mich irgendwo festhalten, kurz den Raum verlassen. Ich weiss jetzt auch, dass Noé und ich darauf achten müssen, dass wir mit unseren Energieressourcen nicht am Limit sind. ­Es kommen immer wieder herausfordernde Zeiten. Unsere Grosse ist jetzt gerade im Kindergarten gestartet. Sie fügt sich da gut ein, aber zu Hause ist sie oft müde und bockig. Das müssen wir abfedern. Das können wir auch, weil jeder von uns beiden dem anderen sagt, was er braucht, um seine Ressourcen aufzufüllen.»

Julia Meyer-Hermann
lebt mit ihrer Tochter und ihrem Sohn in Hannover. Ihre Schwerpunkte sind Wissenschafts- und Psychologiethemen.

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