«Meine Wutausbrüche hatten viel mit meiner Kindheit zu tun» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Meine Wutausbrüche hatten viel mit meiner Kindheit zu tun»

Lesedauer: 2 Minuten

Dominique Eichenberger lebt mit ihrem Mann Jan und den beiden Kindern ­Yannick, 5, und Sophie, 3, in der Nähe von Bern. Vor zwei Jahren hat die 30-jährige Pflegefachfrau eine Familien­beratung begonnen, weil sie das Gefühl hatte, bei der Erziehung von Yannick zu oft laut und grob zu werden. Auch ihr Mann hat sich beraten lassen.

«Ich war lange Zeit sehr unsicher im Umgang mit meinem Sohn Yannick. Unsere Beziehung war anstrengend, daran hat auch meine grosse Liebe für ihn nichts geändert. Sicherlich hat unser schwieriger Start dabei eine Rolle gespielt: Ich hatte Komplikationen in der Schwangerschaft, die Geburt war nicht einfach. Im Wochenbett hatte ich eine postnatale Depression und mit dem Stillen hat es auch nicht gut geklappt.

Mir war bewusst, dass die Situation für unsere kleine Familie herausfordernd war. Ich habe mir Fachliteratur besorgt. Mein Mann hat die ent­sprechenden Hörbucher dazu im Auto gehört. Wir wollten beide verstehen, was in Yannicks Kopf passiert, und angemessen darauf reagieren.

Während ich ausgerastet bin, wusste ich, dass mein Ausbruch uns mehr schadet als hilft.

Als unsere Tochter Sophie geboren wurde, verschärfte sich unser Umgang trotzdem. Yannick war eifersüchtig und ist häufig auf seine Schwester losgegangen. Er hat sie geschlagen, getreten, ihr an den Haaren gezogen und Spielsachen nach ihr geschmissen. Ich habe zunächst versucht, ihm ruhig zu ­vermitteln, warum das nicht geht. Aber das hat einfach nicht funktioniert.

Ich bin dann laut geworden, sehr laut! Ich habe Yannick angeschrien, ihn beschimpft, ihn in sein Zimmer geschickt. Wenn er nicht gegangen ist, habe ich ihn gepackt, einfach dort abgestellt und die Tür zugemacht. Ein bisschen war das auch zu seinem Schutz, weil ich Angst hatte, dass ich komplett ausflippe. 

Schon während ich ausgerastet bin, wusste ich, dass mein Ausbruch uns mehr schadet als hilft. Das war ein schlimmes Gefühl, denn trotz dieser Erkenntnis konnte ich mein Verhalten nicht ändern.

In einer Elterngruppe auf Facebook habe ich von meiner Verzweiflung erzählt und das «art­gerecht»-Coaching von Nina Trepp empfohlen bekommen. Ich bin mit meinem Mann in die Familien­beratung gegangen, habe für mich zusätzlich eine Einzelberatung begonnen. Dabei habe ich einiges über mich gelernt.

Seit ich weniger konkrete Erwartungen an Abläufe und Verhalten meiner Kinder habe, bin ich viel entspannter.

Meine Wutausbrüche haben viel mit meiner Kindheit zu tun: Ich bin das jüngere Kind von zwei Mädchen, meine nur wenig ältere Schwester war in allem besser als ich. Ich fühlte mich oft minderwertig, einfach nicht gut genug. Dieses Gefühl hat sich wieder­­holt, als ich das Muttersein in meinen Augen nicht gut hinbekommen habe – und es hat mich wahnsinnig wütend gemacht.

Ich habe in der Beratung daran gearbeitet, mich weniger hart zu beurteilen. Ich mache meinen Mama-Job gut genug, allein schon deshalb, weil ich mich reflektiere. Seit ich weniger konkrete Erwartungen an Abläufe und Verhalten meiner Kinder habe, bin ich viel entspannter und Yannick ist viel ruhiger geworden. Ich schimpfe manchmal immer noch, aber ich fühle mich dieser Wut nicht mehr hilflos ausgeliefert.»

Julia Meyer-Hermann
lebt mit ihrer Tochter und ihrem Sohn in Hannover. Ihre Schwerpunkte sind Wissenschafts- und Psychologiethemen.

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