Wann beginnt die Pubertät?

Eine Frage, die die Wissenschaft beschäftigt, ist: Beginnt die Pubertät tatsächlich immer früher?
Vor gut sechs Jahren haben Wissenschaftler um den Entwicklungspsychologen Konrad Weller am Institut für Angewandte Sexualwissenschaft an der deutschen Hochschule Merseburg den vierten Teil einer Studie dazu vorgelegt, die einzigartig ist und – wie der inzwischen emeritierte Weller betont – nach wie vor Gültigkeit hat, da in so kurzer Zeit keine gravierenden Veränderungen zu erwarten sind. Das Besondere daran: Das Studiendesign ermöglicht den Sexualwissenschaftlern historische Vergleiche.
«Am auffälligsten ist der Schub, den die Jungs gemacht haben», sagt Weller. Während 1990 lediglich 11 Prozent ihren ersten Samenerguss vor dem 13. Geburtstag hatten, sind es jetzt 32 Prozent. Etwa 46 Prozent der Mädchen bekommen ihre erste Regel mit 12 Jahren, 1990 waren es 39 Prozent. «Der sogenannte Gender-Gap, also der Unterschied im Entwicklungsstand zwischen Mädchen und Jungen, ist in unserer Untersuchung von einem Jahr im 1990 auf jetzt ein halbes Jahr geschrumpft», erklärt Weller. Demnach haben Mädchen im Durchschnitt mit 13 Jahren ihre erste Blutung, Jungs ein halbes Jahr später ihren ersten Samenerguss.
Betrachtet man die Pubertät im historischen Kontext, dann hat sich ihr Beginn in der Tat stark nach vorne verschoben. Die «Mannbarkeit» – so die Bedeutung des lateinischen Wortes Pubertät – begann noch im 19. Jahrhundert für viele Mädchen mit 15, 16 Jahren, dann erst bekamen sie ihre Regelblutung. Wissenschaftler sind sich einig, dass bessere Ernährung und medizinische Versorgung vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich dafür verantwortlich sind, dass die sexuelle Reife heute insgesamt zwei bis drei Jahre früher einsetzt. So pubertieren beispielsweise dicke Kinder oft früher als normalgewichtige. Schuld daran ist das Hormon Leptin, das von Fettzellen produziert wird. Es meldet dem Gehirn: Es gibt genug Fettreserven, die Fortpflanzung kann losgehen.