«Eltern müssen ihre Macht in den Dienst des Kindes stellen»

Wie gelingt Eltern die Balance zwischen Grenzen setzen und Mitbestimmung? Ein Gespräch mit Psychologin Katharina Hardegger über Spannungsfelder und den Umgang mit Hilflosigkeit im Erziehungsalltag.
Das «Recht auf gewaltfreie Erziehung» soll im Schweizer Zivilgesetzbuch verankert werden. Was verstehen Sie als Psychologin unter einer Erziehung ohne Gewalt?
Familien ziehen ihre Kinder nicht isoliert in einem luftleeren Raum auf, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Konsenses. Darum ist die Verankerung des «Rechts auf gewaltfreie Erziehung» im Schweizerischen Zivilgesetzbuch wichtig und überfällig. Aus der entwicklungspsychologischen Forschung wissen wir schon lange, dass ein gewalttätiger Umgang mit Kindern hochproblematische Folgen hat.
Eltern müssen bei Konflikten nicht sofort reagieren. Wenn wir uns beruhigt haben, haben wir kreativere Ideen.
Erziehung ohne Gewalt bedeutet für mich, dass man Kindern im Alltag den gleichen Respekt entgegenbringt, den auch Erwachsene voneinander einfordern. Das setzt voraus, dass Eltern sich ihrer Machtposition stets bewusst sind und ihre Macht nicht für ihre eigene Legitimation einsetzen, sondern gezielt in den Dienst ihrer Kinder stellen. Das lässt sich einfach sagen, bedeutet aber ein ständiges Abwägen und Entscheiden mit Blick auf die Bedürfnisse der Kinder und natürlich auch einen reflektierten Umgang mit eigenen negativen Impulsen.

Auch reflektierte Eltern stehen oft vor einem Dilemma: Einerseits soll man Kinder mitbestimmen lassen, um ihre Selbstständigkeit zu fördern. Andererseits müssen sich Eltern durchsetzen können, wenn es beispielsweise dem Schutz des Kindes dient. Wie schafft man da die richtige Balance?
Das Ringen um Balance ist das, was Elternschaft in ihrem Kern ausmacht: das ständige Abwägen zwischen Einfordern von Anpassung und Zulassen von Mitbestimmung, zwischen Respektieren des kindlichen Eigenwillens und Durchsetzung notwendiger Dinge. Die Balance gelingt Eltern besser, wenn sie nicht allein auf sich gestellt sind und immer wieder die Möglichkeit haben, über Erziehungssituationen nachzudenken. Das setzt natürlich die nötigen sozialen und zeitlichen Ressourcen voraus.
Was raten Sie Eltern, die sich in Streitsituationen mit ihrem Kind überfordert und hilflos fühlen?
Die Hilflosigkeit anerkennen und Zeit gewinnen. Es gibt im Erziehungsalltag keine Notwendigkeit, in Konflikten immer sofort zu reagieren. Im Gegenteil: Wir haben, wenn wir uns beruhigt haben, bessere und kreativere Ideen. Am einfachsten beruhigt man sich mit einem Gegenüber. Wir brauchen andere, wenn wir uns als Eltern verrannt haben. Das muss nicht immer eine Fachperson sein. Ich rate Eltern, sich zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen. Allein drehen wir uns im Kreis!
Empfehlungen über hilfreiche elterliche Haltungen im hektischen Erziehungsalltag bietet der «Kosmos Kind»-Vortrag «Wie gelingt gewaltfreie Erziehung?» von Katharina Hardegger am 1. Juli 2025, 18.30 Uhr, in der Stiftung. Für das Kind. Giedion Risch, Falkenstrasse 26, Zürich.
Tickets gibts hier.
Abonnentinnen und Abonnenten von Fritz+Fränzi profitieren von einem Ticket-Rabatt von je 10 Franken. Promocode: kosmoskind-25