Wenn Kinder an Rheuma erkranken
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Rheuma kann auch Kinder treffen. Die chronisch-entzündliche Gelenkerkrankung ist bis heute nicht heilbar. Moderne Behandlungsformen machen es aber möglich, die Beschwerden deutlich zu reduzieren oder gar zu stoppen.
Elegant landet Elena nach einem Sprung vom Kasten sicher auf der Bodenmatte. Wer der 11-Jährigen beim Turnenzusieht, vermutet nicht, dass die Schülerin an einer chronischen Krankheit der Gelenke leidet. Im Alter von drei Jahren wurde bei Elena Kinderrheuma festgestellt. Wenn die Krankheit aktiv ist, muss die Fünftklässlerin die Gelenke schonen. In der symptomlosen Zeit aber darf sie alles machen, was gesunde Kinder auch tun.
Etwa ein bis zwei von 1000 Kindern erkranken europaweit an Kinderrheuma – ein Sammelbegriff, der mehrere unterschiedliche Rheumaerkrankungen umfasst. «Wer von Kinderrheuma spricht, meint aber in erster Linie die sogenannte juvenile idiopathische Arthritis, JIA», erklärt Seraina Palmer Sarott, Oberärztin der Abteilung für Rheumatologie am Universitäts-Kinderspital Zürich. «Sie ist die häufigste kinderrheumatologische Erkrankung, die in erster Linie die Gelenke betrifft.» In der Schweiz sind daran aktuell rund 1300 Kinder und Jugendliche erkrankt.
Die Übersetzung des Fachbegriffs beschreibt dabei genau, worum es bei dieser Erkrankung geht. Denn das «juvenil» steht für den Beginn der Krankheit vor dem 16. Lebensjahr, «idiopathisch» für «unbekannte Ursache» und «Arthritis» für eine bis mehrere Gelenkentzündungen, die mindestens sechs Wochen anhalten.
Wie äussert sich das Kinderrheuma?
Tatsächlich ist die genaue Ursache der Krankheit bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht nur, dass es sich bei der JIA, wie bei allen rheumatischen Erkrankungen, um eine Autoimmunkrankheit handelt. Das heisst, dass das eigene Immunsystem fehlgeleitet ist und nicht nur schädliche Eindringlinge wie Viren und Bakterien bekämpft, sondern fatalerweise auch körpereigene Zellen.
Im Fall von JIA richtet sich der Angriff vor allem gegen die Gelenkkapsel. «Dadurch entzündet sich die Gelenkinnenhaut, die die Gelenkflüssigkeit bildet», weiss Palmer Sarott. «In der Folge schwillt die Gelenkinnenhaut an und bildet vermehrt Flüssigkeit, was nach aussen hin als Schwellung erkennbar wird.
Eine Gelenkentzündung kann bis zur völligen Zerstörung des Gelenks führen.
Palmer Sarott, Oberärztin für Rheumatologie am Kinderspital Zürich
Zudem entstehen Schmerzen, die die Beweglichkeit einschränken, und das Gelenk fühlt sich heiss an.» Fatalerweise schädigt eine über Monate und Jahre anhaltende Gelenkentzündung aber nachhaltig den Gelenkknorpel sowie den angrenzenden Knochen.
«Das kann schlimmstenfalls bis zur völligen Zerstörung des Gelenks führen», warnt die Rheumaexpertin. «Dauerhafte Fehl- und Schonhaltungen können ausserdem Bewegungseinschränkungen durch Kontrakturen verursachen, weil sich die Sehnen verkürzen und die beteiligte Muskulatur schwindet.» Darüber hinaus drohen Wachstumsstörungen wie etwa unterschiedliche Beinlängen oder Kieferanomalien, da der Knochen bei Entzündungen verändert wächst.
«Etwa 15 Prozent aller betroffenen Kinder entwickeln zusätzlich eine Uveitis, das ist eine Entzündung des Auges, die nur vom Augenarzt entdeckt werden kann und schleichend massive bleibende Sehschäden verursachen kann», ergänzt Palmer Sarott.
Gelenkbeschwerden bei Kindern sollten deshalb grundsätzlich immer ernst genommen werden. Zwar stecken hinter den meisten Fällen eher harmlose Ursachen wie Zerrungen und Prellungen. Auch vorangegangene Virusinfektionen können zu vorübergehenden Gelenkentzündungen führen, die in der Regel folgenlos abheilen.
Nehmen Sie verdächtige Anzeichen für Rheuma ernst!
Hellhörig sollten Eltern jedoch werden, wenn Gelenkbeschwerden ohne vorangegangene Verletzung über mehrere Wochen andauern und Kinder insbesondere nach Ruhephasen ein verändertes Bewegungsmuster zeigen.
«Typisch sind etwa eine Morgensteifigkeit sowie Anlaufschmerzen nach längerem Sitzen oder Liegen», betont die Kinderrheumatologin. «Anders als Erwachsene beklagen sich vor allem kleinere Kinder bei Gelenkschmerzen nicht, sondern versuchen die Benutzung des betroffenen Gelenks zu vermeiden.» Stutzig werden sollten Eltern deshalb, wenn ihr Kind auf einmal hinkt oder anfängt, statt der rechten die linke Hand zu benutzen. Auch häufiges Abstützen beim Hinsetzen kann auf einen Beginn der Krankheit hinweisen.
Die Diagnose einer JIA ist aufwendig, da bei Kindern nur selten Rheumafaktoren im Blut nachweisbar sind.
Palmer Sarott, Oberärztin
«Weitere Hinweise sind, wenn die Treppe auf einmal wieder im Nachstellschritt hinuntergegangen wird, die Weigerung kräftig zu kauen oder ein Vermeiden das Bein zu beugen, wenn das Kind am Boden sitzt», ergänzt Palmer Sarott. «Hier sollte zur genaueren Abklärung frühzeitig der Kinderarzt aufgesucht werden, der bei Verdacht auf Rheuma an einen Spezialisten überweist.»
Die Diagnose einer JIA ist ziemlich aufwendig. «Da bei kindlichem Rheuma, anders als bei Rheuma von Erwachsenen, nur selten Rheumafaktoren im Blut nachweisbar sind, müssen wir hier nach dem Ausschlussprinzip arbeiten», erklärt Palmer Sarott.
«Mithilfe von Anamnesegesprächen, körperlichen Untersuchungen, aber auch Blutuntersuchungen und bildgebenden Verfahren wie Röntgen oder Magnetresonanztomografie (MRI) müssen erst mal alle anderen möglichen Ursachen wie Infektionen, Knochendysplasien oder auch Krebs sicher ausgeschlossen werden.» Steht die Diagnose JIA fest, muss noch geklärt werden, um welche Unterform der JIA es sich handelt. Denn je nachdem, wie viele Gelenke betroffen sind und welche Symptome zusätzlich auftreten, werden insgesamt sieben Subtypen unterschieden.
Kinderrheuma hat viele Gesichter
«Die Hauptunterscheidung erfolgt nach der Anzahl der betroffenen Gelenke», erklärt Palmer Sarott. «Etwa die Hälfte aller kleinen Patienten leidet an der sogenannten oligoartikulären juvenilen idiopathischen Arthritis, bei der weniger als fünf Gelenke betroffen sind.»
Sämtliche Formen der JIA können bis heute nicht vollständig geheilt werden. Mithilfe moderner Medikamente lässt sich die Krankheit aber häufig gut kontrollieren. Insbesondere die oligoartikuläre juvenile idiopathische Arthritis kann bei etwa der Hälfte der Betroffenen auch komplett zum Stillstand gebracht werden.
Wir wollen eine absolute Beschwerdefreiheit zu erreichen, damit die Kinder einen ganz normalen Alltag leben können.
Palmer Sarott, Oberärztin
Bleibende Schäden, wie das vor Jahrzehnten noch gang und gäbe war, sind damit heute nur noch selten. «Unser oberstes Ziel ist es, eine absolute Beschwerdefreiheit zu erreichen, damit die Kinder einen ganz normalen Alltag leben können», betont Palmer Sarott. «Dazu ist eine lang andauernde Therapie erforderlich, die entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen des Kindes stufenweise angepasst wird.
Neben Physio- und Ergotherapie kommen dabei vor allem Medikamente zum Einsatz.
Gestartet wird in der Regel mit der sechswöchigen Gabe von sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika. Das sind entzündungshemmende Schmerzmittel, vielen besser bekannt als Ibuprofen oder Diclofenac.
- Rheumaliga Schweiz (Infobroschüren, Kursangebote)
- Selbsthilfegruppe junge Menschen mit Rheuma: www.jungemitrheuma.ch
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«Bei manchen Kindern reicht diese Therapie allein schon aus, um die Entzündungen zu stoppen», weiss die Zürcher Oberärztin. Ist das nicht der Fall, wird im nächsten Schritt Kortison direkt in das betroffene Gelenkt gespritzt. «Die lokale Behandlung mit Kortison ist sehr effektiv und verursacht, anders als die systematische Gabe als Tablette, kaum Nebenwirkungen», betont Palmer Sarott. «Allerdings wird sie hauptsächlich angewendet, wenn nur wenige Gelenke betroffen sind.»
Sind mehr Gelenke oder speziell das Kiefergelenk entzündet oder bestehen die Entzündungen trotzdem weiter fort, erfolgt eine langfristige Therapie mit sogenannten Basismedikamenten, die auf den ganzen Körper wirken. Basismedikamente beeinflussen das Immunsystem und führen dadurch zu einer Entzündungshemmung. Auch bei längerer Anwendung werden sie relativ gut vertragen.
Die neuen Medikamente im Kampf gegen Kinderrheuma
«Bei Kindern wird in der Regel Methotrexat einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt», weiss die Kinderrheumatologin. «Die volle Wirkung setzt jedoch erst nach drei bis sechs Monaten ein.» Schneller wirksam und teilweise besser verträglich sind Biologika. Sie sind die neueste Medikamentengruppe im Kampf gegen JIA und werden gentechnisch hergestellt.
Ich rate Rheumapatienten dazu, möglichst wenig Lektine zu essen.
Sybille Binder, dipl. Ernährungsberaterin
«Biologika haben die Therapiemöglichkeiten bei JIA revolutioniert und werden in Zukunft wahrscheinlich noch früher in der Behandlung eingesetzt werden», verrät die Rheumatologin.«Bislang liegen für Biologika im Vergleich zu den klassischen Basismedikamenten aber weniger Daten über die Langzeitwirkungen vor, so dass Biologika heute in der Regel nur zum Einsatz kommen, wenn klassische Basismedikamente nicht mehr ausreichen.»
Komplementärmedizinische Unterstützung
Ergänzend zur Schulmedizin können gerade bei systemischen Erkrankungen wie der JIA auch komplementärmedizinische Therapien den Behandlungserfolg positiv unterstützen.
«Phytotherapeutisch können beispielsweise entzündungshemmende Pflanzenwirkstoffe, wie Weihrauch, Curcuma oder auch Bockshornklee in Form von Kapseln oder Pulver eingenommen werden, um die Symptome zu lindern», weiss Sybille Binder, diplomierte Ernährungsberaterin, Dozentin und Therapeutin für Ernährung, Stoffwechsel, Phyto- und Atemtherapie am Zürcher Institut für integrative Naturheilkunde, NHK.
«Förderlich sind auch blutreinigende Arzneitees aus Birke, Brennnessel oder Schafgarbe sowie ausleitende manuelle Therapieformen, die helfen, den Körper von Giftstoffen zu befreien», betont Binder. «Denn aus ganzheitlicher Sicht entstehen die rheumatischen Entzündungen durch eine Störung der Ausscheidungen.»
Ein besonderes Augenmerk gilt deshalb auch der Ernährung. «Ich rate Rheumapatienten dazu, möglichst wenig Lektine zu essen», erklärt die Ernährungsexpertin. Lektine sind natürliche Abwehrstoffe der Pflanzen gegen Frassfeinde. Sie wirken wie natürliche Pestizide.
«Im menschlichen Körper können diese Eiweissstoffe aber nachweislich Probleme wie Entzündungen verursachen», betont Binder. «Lektinreiche Lebensmittel wie Kartoffeln, Auberginen, Paprika, Nüsse oder auch Weizen sollten deshalb gemieden werden.» Die Ernährungsumstellung auf eine gesunde und lektinarme Kost hilft neue Entzündungsschübe zu verhindern und die symptomlosen Phasen entsprechend zu verlängern.