Die fiesen Folgekrankheiten von Streptokokken
Scharlach, Halsschmerzen, Mittelohrentzündung: Streptokokken-Infektionen sind unangenehm und lassen sich schwer vermeiden. Meistens hilft ein Antibiotikum Kindern, schnell wieder auf die Beine zu kommen. In seltenen Fällen werden die Streptokokken-Infektionen nicht bemerkt und können schwere Folgeerkrankungen auslösen.
Eltern können davon ein Liedchen singen: Fast jedes Kind ist im Laufe seines Lebens von einer Streptokokken-Infektion betroffen. Manchmal gibt es nicht keine klaren Symptome und so wird die Infektion verschleppt. Dann kann es passieren, dass die Waffen, die der Körper einsetzt, um sich gegen die Infektionen zu wehren, sich so verändern, dass sie körpereigene Strukturen angreifen und schlimme Folgeerkrankungen auslösen. Hier stellen wir sie vor:
Streptokokken-Folgeerkrankungen: PANDAS
Von heute auf morgen litt Leyla Meyer an einem krankhaften Waschzwang. Hände einseifen. Abwaschen. Erneut einseifen. Nochmal abwaschen. Wieder und wieder. Sie konnte nicht aufhören, sah überall Dreck, forderte ihre Eltern auf zu putzen, das Bett frisch zu beziehen, den Fussboden zu schrubben. Diese befürchten eine Zwangsstörung. Der Gedanke, dass ihre achtjährige Tochter schon in so jungen Jahren psychische Probleme haben könnte, brachte das Ehepaar der Verzweiflung nahe.
Dann nahm die behandelnde Kinderärztin dem Mädchen Blut ab und fand einen hohen Streptokokken-Titer. Extrem hoch. Sie verschrieb ein Antibiotikum und die erstaunten Eltern konnten zusehen, wie es dem Mädchen jeden Tag ein bisschen besser ging; die Zwangshandlungen mehr und mehr verschwanden.
Die Diagnose lautete PANDAS. Diese Abkürzung steht für Pedatric Autoimmune Neuropsychatric Disorders Associated with Streptococcal Infections. Übersetzt bedeutet das: Eine Infektion mit Streptokokken kann bei Kindern neuropsychiatrische Symptome auslösen. «Dieser Zusammenhang ist weitgehend anerkannt», bestätigt Christa Relly, Oberärztin in der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Kinderspital Zürich. Dennoch gebe es Fragezeichen, was den genauen Mechanismus betreffe. Und: Es gibt nur wenige Fälle. «Viele Pädiater haben in ihrer ganzen Laufbahn nie damit zu tun», räumt Relly ein. Nimmt sie eine amerikanische Studie als Grundlage, kommt sie zum Ergebnis, «dass es in der Schweiz ganz grob etwa fünf bis zehn Fälle geben müsste».
Die Tics und Zwangsstörungen werden schlagartig besser. Als würde man einen Schalter umlegen.
«Zugegeben, diese Diagnose liebt man nicht unbedingt», sagt auch Peter Weber, leitender Arzt der Abteilung Neuro- und Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Basel. «Denn es fehlen eindeutige Befunde aus dem Labor, der Bildgebung oder eines EEGs.» Solche Befunde habe man häufig nicht in der Neurologie und das erschwere eben die Abgrenzung.
Die Symptome von PANDAS sind Tics oder Zwangsstörungen, «die entweder schon bestanden haben und sich im Rahmen einer Infektion massiv verstärken – oder aber erstmals auftauchen», erklärt Relly. Klassischerweise komme es zu sehr plötzlichen Verschlechterungen der Symptome. Die Ärztin bestätigt, was die Meyers bei ihrer Tochter beobachteten: Die neurologischen Auffälligkeiten verbessern sich schlagartig oder verschwinden sogar, wenn Antibiotika ins Spiel kommen. «Das ist, wie wenn man einen Schalter umlegt.» Dies spreche auch dafür, dass es einen Zusammenhang mit einer Infektion gebe. Tic- und Zwangsstörungen ohne Infektion nähmen einen eher wellenförmigen Verlauf.
Die Oberärztin warnt allerdings vor Panikmache und plädiert für eine sorgfältige Diagnose. «Nicht jedes auffällige Verhalten während einer Streptokokken-Infektion ist ein PANDAS.» Betroffen sind typischerweise Kinder im Schulalter, es könne aber auch Fälle Kleinkindalter geben.
Experten, die sich der PANDAS-Forschung verschrieben haben, vermuten, dass die Krankheit unbehandelt einen chronischen Verlauf nehmen kann. Einige Tics und Zwänge von Erwachsenen könnten also auf ein unbehandeltes PANDAS im Kinder- und Jugendalter zurückzuführen sein.
Christa Relly empfiehlt Eltern betroffener Kinder, sich mit dem Kinderarzt zu besprechen, und sich gleichzeitig an einen Psychiater zu wenden. Von «experimentellen und teuren Therapieansätzen» rät sie entschieden ab.
Am Kinderspital in Basel behandeln die Ärzte ein PANDAS mit Immunglobulinen in Kombination mit Antibiotika. Auch Cortison haben die Basler Ärzte schon eingesetzt, um das Immunsystem zu blockieren oder zumindest in seiner Überfunktion zu bremsen, die zu ebendiesen psychiatrischen Symptomen führt. Auch Weber plädiert für eine psychiatrische Begleitung – eventuell auch für die Eltern.
Rheumatisches Fieber
Das Rheumatische Fieber kann bis zu fünf Wochen nach einer – möglicherweise nicht bemerkten – Infektion mit den sogenannten A-Streptokokken ausbrechen. In Westeuropa tritt es nur noch selten auf: «Bei Sechs- bis Zehnjährigen in weniger als zwei Prozent der Fälle bei nicht behandelten Infektionen», so Andreas Wörner, der die Pädiatrische Rheumatologie am Kinderspital in Basel leitet.
Bei Kindern, die an Rheumatischem Fieber erkranken, greift das Immunsystem körpereigene Zellen an. Das führt zu Entzündungen an Gelenken und am Herzen. Letzteres kann zu einer Herzinsuffizienz führen.
Können Kinder plötzlich ihre Bewegungen nicht mehr richtig kontrollieren und ihr Schriftbild verschlechtert sich, können das Hinweise auf diese Krankheit sein. Sind die Gelenke betroffen, können sich Kinder morgens nach dem Aufwachen häufig kaum noch bewegen. «Wenn das Rheumatische Fieber rechtzeitig erkannt wird, ist die Prognose sehr gut», informiert Wörner.
Auch hier werden wieder Antibiotika eingesetzt, um den Streptokokkenstamm auszurotten. Die Folgeerkrankungen selbst «kann man mit Antibiotika nicht beeinflussen, da es sich um eine Immunreaktion und nicht mehr um die Infektion handelt», erklärt Christa Relly. Gegen das Fieber und die Schmerzen in den Gelenken bekommen betroffene Kinder in der Regel ein entzündungshemmendes Medikament. «Wenn das Herz betroffen ist, kommen eventuell auch noch Medikamente zur Verbesserung der Herzfunktion dazu», sagt Relly.
Unterschätzt werden Streptokokken nicht, sagen die Fachleute. Und sie machen auch nicht immer krank.
Nierenentzündung
Dunkler oder schäumender Urin, geschwollene Augenlider und Wassereinlagerungen an Händen und Füssen können auf eine durch Streptokokken ausgelöste Nierenentzündung hindeuten. «Betroffene Kinder haben häufig Kopfschmerzen, weil der Blutdruck durch die zu geringe Wasserausscheidung steigt, und fühlen sich richtig krank», sagt Wörner.
Der Experte beruhigt: «In mehr als 90 Prozent der Fälle heilen solche Nierenentzündungen nach Beginn einer Behandlung folgenlos aus, es gibt nur sehr wenige chronische Verläufe.» Christa Relly erklärt, dass bei der Nierenentzündung häufig keine Therapie nötig sei, «da sich das Kind meistens spontan wieder erholt». Gegebenenfalls brauche es Medikamente zur Blutdrucksenkung.
Streptokokken: Eine unterschätzte Gefahr?
Zwangsstörungen und Herzschwäche als Folge von vermeintlich harmlose Kinderkrankheiten: Werden Streptokokken unterschätzt? «Nein», sagt die Zürcher Ärztin Christa Relly. Durch Streptokokken verursachte Infektionen gehören ihr zufolge zu den «am häufigsten durch Kinderärzte diagnostizierten und behandelten bakteriellen Infektionen».
Man gehe davon aus, dass etwa bei jedem dritten Schulkind, das mit einer Halsentzündung beim Kinderarzt vorstellig wird, eine Streptokokken-Infektion verantwortlich ist. In den allermeisten Fällen verliefen diese Infektionen harmlos – «und heilen sogar ohne antibiotische Therapie folgenlos ab».
Nicht immer würden sie bemerkt. Betroffen sind Relly zufolge klassischerweise Kinder zwischen 5 und 15 Jahren. Kleinkinder erwischt es seltener «und auch Erwachsene können sich anstecken, aber eben nicht mehr so häufig», sagt Relly.
Die Ärztin beruhigt: «Eine übervorsichtige Beobachtung eines Kindes nach einer Streptokokken-Infektion – ob behandelt oder nicht – ist nicht angezeigt.» Bei unklaren Beschwerden wie länger andauerndem Fieber, Gelenkschmerzen oder -schwellungen sollten Eltern ohnehin mit ihrem Kind einen Arzt aufsuchen, ganz unabhängig von einer vorangegangenen Krankheit.
Weitere Streptokokken-Arten
So gehören zur Familie der Streptokokken auch beispielsweise die sogenannten Pneumokokken. Sie können schwere Hirnhaut- und Lungenentzündungen verursachen, aber auch in Schach gehalten werden – denn gegen Pneumokokken gibt es eine Impfung, die von der Eidgenössischen Kommission für Impffragen und dem Bundesamt für Gesundheit empfohlen wird.
Gefährlich werden können bestimmte Arten von Streptokokken für Neugeborene, wenn ihre Mutter diese Bakterien in ihrer Vaginalflora trägt. Schwangeren Frauen wird empfohlen, sich kurz vor der Entbindung testen zu lassen. Bei 10 bis 25 Prozent der Frauen ist der Test positiv und die Mutter bekommt in den Stunden vor der Geburt ein Antibiotikum. «Damit lässt sich das Risiko einer schweren Blutvergiftung deutlich senken», erklärt Andreas Wörner.
Auch im Mundraum sind Streptokokken häufig Teil der Schleimhautflora – und an der Kariesentstehung beteiligt.
Übrigens lösen Streptokokken nicht zwangsläufig Krankheiten aus. «Wir leben mit ihnen, sie kommen im Wasser vor, im Boden, in Milchprodukten und wir tragen sie in unserem Rachen und unserem Darm, ohne dass wir krank werden», so Wörner.