Muttertag: Lebenslängliche Liebe
Unsere Autorin Claudia Landolt nimmt sich jedes Jahr fest vor, am Muttertag nicht emotional zu werden – und läuft dann doch den ganzen Tag mit Taschentüchern rum.
Mit dem Muttertag-Sonntag ist es ja so eine Sache. Es ist der Tag des Kaffees, des Kuchens, der Schnittblumen und des Selbstgebastelten. Ein Entrinnen gibt es nicht, gilt er doch als institutionalisierter Danktag.
Welches Kind, egal, wie erwachsen es heute auch sein mag, erinnert sich nicht mit Bauchgrimmen daran. Denn die Mutter, das ist eine Institution. So viel gäbe es an diesem Tag ihretwegen zu tun: Besonders lieb und brav und zuvorkommend sein und seine Liebe mit Taten beweisen. Doch was, wenn das Kind plötzlich etwas Gescheiteres zu tun hat und sich aus dem Staub macht? Ach, es ist der reinste Horror, was es alles zu tun geben würden, verdrückte man sich nicht rechtzeitig.
Zurück in der Kinderrolle
Später, als junge(r) Erwachsene(r) und programmatischer Feiertagsphobiker(in) – denn endlich sind sie vorbei, die Stunden, an denen Narzissen, Rosen und Tulpen um Gedichte gemalt werden mussten! – behagt einem dieser Tag noch weniger, unerbittlich mahnen Blumenläden und Grossverteiler wochenlang zuvor, wie dankbar man doch seiner Mama sein sollte. Man wird in die Kinderrolle zurückgedrängt, mag sich selbst nicht dafür, schimpft auf den gesellschaftlichen Druck und die Erwartungshaltung der Mutter. Und doch greift man spätestens am Nachmittag zum Telefonhörer, ergattert irgendwo ein paar Schnittblumen und lädt zu Kaffee und Kuchen ein.
Doch es sind wie immer die eigenen Kinder, welche die eigene Programmatik höchst erfolgreich torpedieren. Den Muttertag zum Prohibitionstag deklarieren? Unmöglich! Zu gross und imperativ ist der Charme des Selbstgebastelten. Denn schon in der Spielgruppe ist das Muttertagsgeschenk fester Bestandteil der Kreativplanung, in der Schule gestalterisches Element des Sommersemesters. Pünktlich zu Beginn des Monats Mai werden die Kinderlein in den hellsten Geschenkestress versetzt: Jetzt basteln wir ein Geschenk für die Mama und beschwören ihr in einem Gedicht dazu, wie liiiieb wir sie haben.
Mama, ich hab dich lieb, weil du mir Geschenke kaufst, feines Essen kochst und machst, was ich will.
Handbeschriebenes Tischset von Claudia Landolts zweitältestem Sohn
Diese Liebesbeteuerungen vermögen mitunter die eigene Erziehungskompetenz vorzüglich auszuhebeln. Vor vier Jahren überraschte mich mein zweitältester Sohn mit einem selbstgebastelten Tischset, auf dem er fein säuberlich in seiner allerschönsten Schrift schrieb: «Mama, ich hab dich lieb, weil du mir Geschenke kaufst, feines Essen kochst und machst, was ich will».
Ha! Welch Erleichterung, als sein älterer Bruder mir einen gewebten Papierkorb und ein Krokodil, das auch ein Magnet sein kann, sowie einen mit Herzchen bemalten Seifenspender unter die Nase hielt. Nein, gehäkelte Eierwärmer oder Topflappen waren (noch) nicht dabei. Dafür dieses Jahr die Beteuerung, er wolle seine Kochkünste unter Beweis stellen. Nummer Eins hat meinen Pragmatismus geerbt und kauft mir womöglich von seinem Taschengeld meine Lieblingsschokolade.
Bestimmt werde ich wieder rührselig
Diesen Sonntag ist es ein Kind mehr, welches nun Schreiben kann und damit das Kreativbastelalter erreicht hat und mir ganz dringlich sein Präsent überreichen will. Und weil es noch nicht ganz so gross ist, klappt das mit dem Datum noch nicht so ganz – überreichen wollte es mir sein Geschenk bereits an Auffahrt. Nun, jetzt kreuzt es ernsthaft die Tage ab und verrät mir jeden Tag ein bisschen mehr, was es denn sein könnte.
Am Sonntag wird es also sein wie immer an diesem Tag der lebenslänglichen Liebe. Spätestens um sieben Uhr klettern sie zu mir ins Bett und drücken mir mit bezauberndem Augenaufschlag leicht verklebte Geschenke mit innig verfassten Deklarationen in die Hand. Und ich werde, trotz festem Vorwand, nicht rührselig zu werden, nein, keinesfalls, doch ein paar Tränen verdrücken, so innig ist sie trotz allem, meine Liebe zu diesen Kindern.
Und den ganzen Tag, ich schwöre es, komme ich wieder von meinen Papiertaschentüchern nicht los. Denn ich weiss, der Tag wird kommen, an dem ich die leicht zerknautschten Basteleien und Liebesbeteuerungen vermissen werde, weil es auf die Bitte, an besagtem zweiten Sonntag im Mai doch wenigstens den Tisch zu decken, heissen wird: «Mama, die Sklaverei ist abgeschafft.»