«Wir sollten den Muttertag abschaffen»
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«Wir sollten den Muttertag abschaffen»

Lesedauer: 3 Minuten

Mama ist die Beste! «Die Botschaft hinter dem Muttertag ist haarsträubend», schreibt Fritz+Fränzi-Redaktorin Maria Ryser. Sie möchte den Muttertag lieber durch den «Tag der Familie» ersetzen.

Text: Maria Ryser
Bild: Rawpixel

Mögen Sie den Muttertag? Ich habe ein gespaltenes Verhältnis dazu. Es ist nicht so, dass ich mich nicht gerne feiern lasse. Dafür bin ich eitel genug. Von mir aus könnten wir viel mehr Feste feiern. Auch grundlos. Aus reiner Lebensfreude.

Doch die Botschaft hinter dem Muttertag und wie sich das Ganze abspielt hat etwas Beklemmendes. Es ähnelt einem «Zältli». Zu Beginn schmeckt es süss, bereitet Freude und bleibt dann doch lästig in den Zähnen kleben.

Übrig bleibt ein schaler Geschmack aus Verlegenheit und Verdruss. Kurz: Es gibt viele gute Gründe, den Muttertag abzuschaffen.

Ein religiöser Brauch aus den USA

So wie Halloween ist auch der Muttertag aus den USA zu uns herübergeschwappt. Seit 1917 ehren wir in der Schweiz jeweils am zweiten Sonntag im Mai alle Mütter dieser Welt. Zu verdanken haben wir dies der Heilsarmee sowie den schweizerischen Verbänden der Floristinnen. 

Da fängt der Knorz bereits an: ein religiös verankertes, patriarchalisches Mutterbild wird für kommerzielle Zwecke verwendet. Igitt.

Die patriarchalische Botschaft des Muttertags lautet: ‹Wir ehren dich an diesem einen Tag. Mach bitte ohne Murren weiter so.›

Staatlich verordnete Dankbarkeit

Der Muttertag verläuft dann in etwa so: Mama darf ausschlafen, was sie längst verlernt hat. Sie versucht also das emsige Geschepper in der Küche zu ignorieren und stellt sich selig schlafend, bis die Kinder freudig an ihr Bett trippeln und zum grossen Frühstück bitten. 

Der Tisch ist wunderschön gedeckt, mit allerlei Leckerbissen versehen und mit Blumen verziert. Am Platz der Mutter befinden sich selbstgebastelte Geschenke, welche die süssen Kleinen aus der Schule mitgebracht haben. «Du bist die beste Mama auf der ganzen Welt» steht in krakeliger Schrift auf dem Kärtchen oder Geschenk geschrieben, gestickt, genäht oder gefilzt. 

Gerührt wischt Mama sich ein Tränchen aus den Augenwinkeln, die Kinder räumen den Tisch brav wieder ab. Die staatlich verordnete Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft hält bis am Mittag und nimmt dann spürbar ab. Am Abend herrscht meistens wieder der Status Quo. Es sei denn, der Partner springt ein oder die Kinder sind schon Teenager und kochen etwas Feines zum Znacht.

Ich mag beide Mama-Medaillen nicht. Mag weder Engel noch eine eierlegende Wollmilchsau sein.

Ein Lob auf die fürsorgliche Mutter

Was wir unter der besten Mutter verstehen hat sich in den letzten hundert Jahren gewandelt. Nicht zum Besseren. 

Das patriarchalische Mutterbild zelebriert die endlos geduldige, tröstende und fürsorgliche Mutter, die sich aufopfernd um Haus, Mann und Kinder kümmert. Sie hat für alle ein offenes Ohr und stellt ihre (nichtexistenten) Bedürfnisse selbstlos hintenan. Die Botschaft des Muttertags lautet da: «Danke, liebe Mutter, für deine Mühen. Wir ehren dich an diesem einen Tag. Mach bitte ohne Murren weiter so und ändere ja nichts.» 

Sonst kracht nämlich das ganze System zusammen. Mutti bekommt zwar eine AHV, doch bei der Pensionskasse und der dritten Säule ist sie komplett von ihrem Ehemann abhängig. Am krassesten bis heute sichtbar bei den Null-Absicherungen von Bäuerinnen.

Zum Nachdenken
Checkliste für Familien:
  • Was läuft in unserer Familie besonders gut?
  • Wofür sind wir dankbar?
  • Was möchten wir ändern?
  • Welche Träume wollen wir umsetzen?
  • Was möchten wir in unser Leben einladen?
  • Was brauchen wir nicht mehr und möchten wir loslassen?

Mama, die Superpowerwoman

Das jüngere Bild der besten Mutter ist nicht weniger haarsträubend. Mama arbeitet mindestens 60, besser noch 80 Prozent (aber nicht 100, sonst wäre sie eine Rabenmutter) idealerweise in einer Kaderposition. Dabei verdient sie häufig 20 Prozent weniger als der Arbeitskollege in derselben Position. 

Die beste Mutter schmeisst zum grösseren Teil den Haushalt, unterstützt und fördert das Kind schulisch und bei der Freizeitgestaltung, denkt an alle Termine, sieht blendend aus mit einem Top-Figürli, ist eine Granate im Bett, hat die perfekte Work-Life-Balance mit ausreichend Sport- und Ruhephasen für sich, kurz, wir reden von der eierlegenden Wollmilchsau.

Die Botschaft hier lautet: «Wow, grossartig! Heidi Klum mal weiter so! Vielleicht könntest du noch einen Zacken zulegen.» Es findet sich schliesslich stets eine Mutter, die es noch besser, noch perfekter macht. Würg! Das ist reine Selbstsabotage. 

Ich mag beide Mama-Medaillen nicht. Mag weder Engel noch Wollmilchsau sein. Die überhöhte Idealisierung wie auch die unrealistisch hohen Leistungserwartungen haben im Muttersein nichts verloren. Sie sorgen entweder für Langzeitgefängnis oder Erschöpfungsdepressionen. 

«Tag der Familie» anstatt Muttertag

Ich möchte lieber Mensch sein mit allen Unzulänglichkeiten. Teil einer Familie sein und nicht ihr (heimliches) Oberhaupt. Ich möchte das grosse Miteinander zelebrieren und wünsche mir, dass alle Familienmitglieder den Alltag aktiv mitgestalten.

Lasst uns also anstelle des Muttertags den «Tag der Familie» feiern! Das integriert auch die neue Generation der Väter, die sich mehr und mehr engagieren und gleichermassen am Elternsein und Haushalt beteiligen möchte.

Den brösmeligen Vatertag, der weder wahrgenommen noch gefeiert wird, schaffen wir zeitgleich mit dem Muttertag wieder ab. Feiern wir den Tag der Familie in all seinen Regenbogenfarben: Also in allen geschlechtlichen Kombinationen, gemeinsam, allein oder getrennt erziehend und über alle Generationen hinweg.

Feiern wir, was uns stark macht: gegenseitige Achtung, Wertschätzung, Freude, Wohlwollen und am Ende des Tages, oder noch schöner: jeden Tag Dankbarkeit, die von Herzen kommt.

Maria Ryser

Maria Ryser
liebt grosse und kleine Kinder, zyklisch leben, Rilke, reinen Kakao, Klangreisen und Kreta. Die gebürtige Bündnerin arbeitet als stv. Leiterin auf der Onlineredaktion und ist Mutter zweier erwachsener Kinder und eines Primarschülers.

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