Was fasziniert Jugendliche an Social Media?
Merken
Drucken

Was fasziniert Jugendliche an Social Media?

Lesedauer: 12 Minuten

Scrollen, posten, liken  … Soziale Medien sind für viele Teenager Teil ihres Alltags geworden – und für Eltern Gegenstand häufiger Diskussionen. Wie wirkt sich die ständige Berieselung auf sie aus? Welche Bedenken sind richtig und wichtig? Und was können Eltern tun?

Text: Mirjam Oertli
Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo

Sie schauen sich Fotos von Freundinnen und Freunden an oder Videos von Promis, denen sie folgen. Sie informieren sich über Kleider­styles, Workouts, Kochrezepte. Oder konsumieren aktivistische Inhalte. Teilen witzige Bilder oder Videos, sogenannte Memes, oder tauschen sich über Pranks aus, Beiträge, in denen jemand hereingelegt wird.

Teenager liken hier einen Post, kommentieren da einen Beitrag von Peers mit Herzaugen-Emoji. Über Chat-Funktionen innerhalb sozialer Netzwerke senden sie Nachrichten oder Fotos und Videonachrichten mit lustigen Filtern. Und manchmal posten sie auch eigene Fotos oder Storys, die 24 Stunden sichtbar sind, sei es von Haustieren, aus den Ferien, von lustigen Begebenheiten mit ihren Peers oder von sich selbst.

Soziale Medien sind wie Probebühnen

So omnipräsent wie das Smartphone in ihren Händen, so flächendeckend haben Jugendliche ein Profil auf sozialen Netzwerken: Neun von zehn bewegen sich täglich oder mehrmals pro Woche auf Platt­formen wie Instagram oder Tiktok. Dies zeigt die neueste James-Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), die das Mediennutzungsverhalten von 12- bis 19-Jährigen in der Schweiz untersucht.

«Soziale Medien sind wie eine Probebühne», erklärt Medienpsychologe und Co-Projektleiter der James-Studien Daniel Süss den Reiz, den die Plattformen auf Heranwachsende ausüben. «Beim Posten können Jugendliche sich ausprobieren, auf verschiedene Arten inszenieren und sofort sehen, was wie ankommt.» So gesehen ­hätten soziale Medien für Teenager viel mit der zentralen Entwicklungsaufgabe der Identitätsfindung und einem spielerischen Umgang mit Identität zu tun.

Das Handy als Spiegel

Zur Entwicklung der Identität gehören auch Fragen wie «Wer bin ich?» und «Wie sehen mich die anderen?». Fragen, an denen sich Jugendliche früher beispielsweise auf dem Pausenplatz abgearbeitet haben. Oder im Tagebuch. Diese Auseinandersetzung mit sich selbst findet heute laut Süss auch über Selfies statt, die die Jugendlichen posten und im Zeitverlauf sehen können. «So wie Heranwachsende ihre Erscheinung gern im Spiegel kontrollieren, übernimmt auch das Handy quasi eine Spiegelfunktion.» 

Hinzu komme bei sozialen Medien der Blick von aussen, der besonders fasziniere. Erhalte man dann auf einen Post viele Likes, unterstütze das den Selbstwert. Zwar sind viele Jugendliche laut dem Medienpsychologen hauptsächlich beobachtend unterwegs, posten also eher sporadisch selbst etwas. Doch auch wer nur kommentiere oder like, drücke seine Freundschaft und Wertehaltung aus. «Selbst ein Like ist nie nur eine individuelle Antwort, sondern immer ein Statement, das andere sehen.»

Problematisch wird es, wenn Langweile oder ungute Gefühle routinemässig mit dem Griff zum Handy übertönt werden.

Daniel Süss, Medienpsychologe

Natürlich bewege sich niemand bewusst mit dem Ziel auf einer Plattform, seine Identität zu ent­wickeln, so Süss. «Vielmehr wollen sich Jugendliche der Verbundenheit mit Gleichaltrigen versichern und mitreden können.» Nicht zuletzt böten digitale Medien Unterhaltung, Entspannung – und Ablenkung.

Belastungen, wie beispielsweise Stress in der Schule, kurz zu vergessen, sei dabei auch etwas Positives. «Problematisch wird es nur, wenn Langweile oder ungute Gefühle routinemässig mit dem Griff zum Handy übertönt werden – und der Konsum sozialer Medien überhandnimmt.»

Ist wirklich alles so schlimm?

Aber ist das nicht schon längst der Fall? Das fragen sich viele Eltern, wenn ihr Teen mal wieder nicht vom Gerät wegzubringen ist. Und: Wie wirkt sich das ständige Onlinesein aus? Wie der permanente Vergleich? Was, wenn Algorithmen in eine Abwärtsspirale führen? Und sind nicht soziale Medien schuld an den zunehmenden psychischen Problemen von Jugendlichen? Diesen und weiteren Fragen geht das Dossier im Folgenden nach. 

Die Debatte um Gefahren sozialer Medien ist nicht neu – wird aber in letzter Zeit intensiver geführt. Ein Grund hierfür ist das Buch «Generation Angst» des US-amerikanischen Sozialpsychologen Jonathan Haidt, das 2024 erschienen ist. Kinder seien in der «wirklichen» Welt über- und in der virtuellen Welt unterbehütet, schreibt Haidt. So habe sich die früher spielbasierte Kindheit in eine smartphonebasierte verändert – was zu einer «ängstlichen Generation» geführt habe und die weltweite Zunahme von Angststörungen und Depressionen bei Teenagern erkläre.

Liam, Leah und Vanessa (v.l.) besuchen die Kantonsschule Wiedikon in Zürich. Wie die Jugendlichen Social Media nutzen erfahren Sie hier. (Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo)

Das Buch schien einen Nerv zu treffen – es wurden aber auch Stimmen laut, die es zu einseitig, zu alarmistisch fanden. Kurze Zeit später erschien eine grosse Metastudie, veröffentlicht in einem Fachblatt der American Psychological Association (APA), die 46 Studien aus den Jahren 2012 bis 2022 analysierte und zum Schluss kam: Es gebe keine Belege für einen negativen Einfluss von sozialen Medien auf die psychische Gesundheit. Also doch alles unbedenklich?

Soziale Medien als Verstärker psychischer Probleme

Der Psychologe James Weiss vermutet, dass die «Wahrheit» irgendwo dazwischen liegt. Weiss leitet die Jugendberatung der Stadt Zürich. Mit 15 Mitarbeitenden betreut er gut 300 Klientinnen und Klienten im Alter von 13 bis 25 Jahren – und stellt in letzter Zeit eine Zunahme von Unsicherheiten, Angststörungen und Panik­attacken fest.

«Ich glaube nicht, dass soziale Medien der einzige Grund dafür sind», sagt Weiss und verweist auf Faktoren wie Leistungsdruck, Pandemie, Krieg auf europäischem Boden, die Polarisierung in der Politik. «Doch ich denke, dass soziale Medien als moderierender, verstärkender Faktor bei der Entstehung von psychischen Problemen wirken.»

Das heisst, sie seien nicht zwingend ein Auslöser, könnten aber bereits bestehende Probleme verschärfen. Und gerade für ohnehin selbstunsichere Jugendliche seien sie ein Stress: «Stellen Sie sich vor, Sie sind jemand, der recht zurückhaltend ist und dem es schwerfällt, Kontakte zu knüpfen. Und dann sehen Sie in Chats ständig, wie andere miteinander abmachen und vielleicht sogar blöde Sprüche über Sie posten. Da wäre es doch förderlicher, Sie bekämen das gar nicht mit, oder?»

Natürlich sehe er in der Beratung vor allem jene Heranwachsenden, bei denen sich Probleme zeigen. Doch Konzentrationsschwierigkeiten oder der Drang, ständig nachzusehen, wie viele Likes man bekommen habe, seien nicht erstaunlich bei solch einem Hochleistungsgerät in der Tasche, dem auch die meisten Erwachsenen nur schwer widerstehen können. 

Social Media und Essstörungen

Wie gross die Gefahr für Heranwachsende ist, die von sozialen Medien ausgeht, lässt sich demnach nicht so leicht sagen. Doch um der Frage nachzugehen, worin sie besteht, lohnt sich ein differenzierter Blick auf einige Aspekte, die Eltern wie Fachpersonen Sorgen bereiten. 

Die Medienwissenschaftlerin Maya Götz beschäftigt sich zum Beispiel mit der Frage, ob soziale Medien zur Entwicklung von Essstörungen beitragen. In einer qualitativen Studie befragte sie 143 Menschen, vor allem Mädchen und Frauen, die sich wegen Essstörungen in einer Behandlung befanden.

Jungs können mit Coolness oder Witzigkeit punkten. Bei Mädchen läuft alles über Äusserlichkeiten.

Maya Götz, Medienwissenschaftlerin

Götz wollte wissen, welche Bedeutung Influencerinnen – etwa mit extrem schlanken oder durchtrainierten Körpern – bei der Entwicklung und in ihrem Leben mit der Krankheit spielten. Und kam zum Schluss: Influencerinnen haben einen deutlichen Einfluss – nicht nur auf Ideale und Körperbilder, sondern auch auf Trainings- und Ernährungsverhalten der Mädchen und Frauen. Der Studie zufolge können sie so essgestörte Verhaltensweisen unterstützen.

Influencerinnen nachahmen

In anderen Untersuchungen stellte Götz den hohen Anpassungsdruck fest, den Mädchen beispielsweise auf Instagram spüren: Je länger sie die Plattform nutzen, desto mehr beginnen sie sich gemäss der Medienwissenschaftlerin wie Influencerinnen zu inszenieren. «Die Mädchen meinen, sich immer fröhlich zeigen zu müssen, lernen Posen, die den Bauch ‹verschwinden› lassen, und nutzen Filter für ein perfektes Bild.»

Dabei sähen ihre eigenen Fotos einander immer ähnlicher und glichen sich mehr und mehr den Influencer-Bildern an. Auch empfänden die Mädchen Bilder mit Filter irgendwann als natürlicher als ohne, so Götz. «Das führt zu verzerrten Idealvorstellungen und senkt das Selbstwertgefühl – weil sich das Ideal nie wirklich erreichen lässt.»

Mara, 18, kann sich vorstellen, dass sie später einmal bereut, wie viel Zeit sie mit sozialen Medien zugebracht hat. Mehr dazu erfahren Sie hier. (Bild: Adobe Stock)

Auch Jungs bleiben vor solchen Einflüssen nicht verschont. «Jungs haben aber noch andere Möglichkeiten, um mit Fotos Status herzustellen», so Maya Götz. «Etwa indem sie mit Coolness oder Witzigkeit punkten.» Bei Mädchen laufe nach wie vor alles über Äus­serlichkeiten. So erstaunt es nicht, dass Mädchen laut Götz auch viel häufiger Filter verwenden.

Dass gerade Schönheitsfilter sich negativ auf das Selbstbild auswirken, wird oft beschrieben. Studien zufolge sollen sie gar zum Wunsch nach Schönheits-OPs führen können. Immerhin gab Tiktok letzten November bekannt, bestimmte Effekte für unter 18-Jährige einzuschränken. In der Kritik stand vor allem der KI-Filter Bold Glamour, der Augen vergrössert, Lippen aufpolstert, Wangenknochen definierter erscheinen lässt – und dies ungewohnt realistisch.

Sich vergleichen und austauschen

Sich auf sozialen Medien zu bewegen, heisst, sich zu vergleichen. Und während man sich früher mit den Mädchen im gleichen Schulhaus oder mit den Jungs im Fussballverein verglichen hat, messen sich Jugendliche auf sozialen Medien heute mit der ganzen Welt. Und oft mit Menschen auf Bildern, die nicht nur mit Filtern bearbeitet, sondern auch perfekt inszeniert sind. Dass sie dabei immer jemanden finden, der scheinbar erfolgreicher, muskelbepackter, schöner, dünner ist und das bessere Leben führt, ist klar.

Gewalt in Videos fällt seit dem 1. Januar 2025 unter das neue Jugendschutzgesetz und ist daher besser reguliert als Videos betreffend Anorexie oder Selbstverletzungen.

Yvonne Haldimann, Projekt­leiterin von Jugend und Medien

Medienpsychologe Daniel Süss warnt aber auch vor der Illusion, dass Jugendliche ohne Zugang zu sozialen Plattformen keinen schädlichen Einflüssen ausgesetzt wären. «Auch in Werbung, Modebranche oder Sport lassen sich Vergleiche anstellen und auch da werden oft Ideale inszeniert.» Sowohl Daniel Süss als auch Maya Götz betonen zudem die Chancen von Onlineplattformen: Zu vielen Themen gebe es Gegen-Communitys.

Sättigungspunkt bei der Nutzungsdauer erreicht?

Götz nennt die Bewegung «Body Positivity», die sich für die Abschaffung unrealistischer und diskriminierender Schönheitsideale einsetzt, und Süss Communitys für Queerness, die sexuelle Vielfalt propagieren. Hier teile man schwierige Erfahrungen und tausche sich aus, so Süss. «Das kann Jugendliche in ihrer Entwicklung unterstützen.»

Nimmt das Onlinesein aber so stetig zu wie das Wohlbefinden ab, liegt die Vermutung nah, dass Ersteres verantwortlich ist, wenn Zweiteres leidet. Medienkonsum kann dabei laut Süss allerdings auch eine «Coping»-Strategie sein, ein Versuch, damit eine schwierige Lebenssituation zu bewältigen. So gibt es gar Forschende, die – entgegen der Befürchtung, dass soziale Medien Depressionen begünstigen – einen gegenläufigen Zusammenhang vermuten: dass intensive Mediennutzung Folge einer Depression sein könnte.

Beruhigend ist auf alle Fälle: Jugend­liche sind nicht immer länger am Handy. Rund drei Stunden an Wochentagen, rund vier an Wochenenden nutzen sie ihr Gerät laut James-Studie 2024. Im Jahr 2022 waren es an Wochentagen ebenso viele Stunden, am Wochenende sogar noch eine Viertelstunde mehr. «Es gibt Anzeichen dafür, dass bei der Nutzungsdauer ein Sättigungspunkt erreicht ist», sagt Süss.

Die unseligen Algorithmen von Social Media

Dass dies so ist, erstaunt, denn die Anbieter tun viel dafür, einen auf den Plattformen zu halten – um die gesammelte Aufmerksamkeit an Werbetreibende zu verkaufen. «Gefällt mir»-Buttons, Benachrichtigungen oder die Möglichkeit, endlos zu scrollen, setzen sie gezielt dafür ein, wie etwa die Netflix-Doku «The Social Dilemma» von 2020 beleuchtete. Auch Algorithmen, die einem Inhalte zuspielen, die man anscheinend mag, dienen diesem Zweck.

Zudem: «Wer einmal etwas Bestimmtes angeschaut hat, gerät oft in einen Strudel gleicher Inhalte», sagt Yvonne Haldimann, Projekt­leiterin von Jugend und Medien, der nationalen Plattform des Bundesamts für Sozialversicherungen, die die Medienkompetenz von Jugendlichen fördert. Nun mag das bei süssen Kätzchen angehen. «Etwas anderes ist es, wenn es um Anorexie oder Selbstverletzungen geht», so Haldimann.

Es ist wichtig, dass ­Jugendliche lernen, ­reflektiert mit dem Handy umzugehen. Da nützen ­Regeln mehr als Verbote.

Daniel Süss, Medienpsychologe

«Hier können Jugendliche in richtige Abwärtsspiralen geraten.» Sie stand deshalb schon mit Meta in Kontakt, dem Mutterkonzern von Instagram und Facebook. «Es hiess, man mache schon viel, um Abwärtsspiralen entgegenzuwirken. Aber verpflichtet sind sie nicht.» Entsprechende Mechanismen seien nicht gesetzlich geregelt. Anders bei Themen wie Gewalt in Videos. Sie fallen unter das neue Jugendschutzgesetz, das am 1. Januar 2025 in der Schweiz in Kraft getreten ist.

Anbieter scheuen Regulierungen

Erfreulich sei aber, dass der Druck auf Anbieter zugenommen habe. «Staaten realisieren, dass sie etwas fordern können», so Haldimann. Dass die Rechtsdurchsetzung schwierig ist, verschweigt sie nicht. Was zudem noch viel zu wenig der Fall sei: dass Anbieter selbst ihre Verantwortung wahrnehmen. Meta habe inzwischen zwar eine Reihe von Massnahmen zum Schutz von Jugendlichen ergriffen. «Aber da muss mehr kommen», so Haldimann.

Sie verweist auf unerwünschte Kontaktaufnahmen. «Diese zu kontrollieren, ist wichtig, um Cybergrooming – den Versuch Pädokrimineller, über das Internet Kontakt mit Minderjährigen aufzunehmen – zu verhindern.» Da Erstkontakte aber nicht strafbar seien, stelle sich immer schnell die Frage, wie sehr man in die Privatsphäre eingreifen dürfe.

«Manchmal wünsche ich mir für meine Töchter die Welt von damals zurück», sagt Verena, 48. Mehr dazu erfahren Sie hier. (Bild: dpa Picture Alliance)

Auch Tiktok zeige sich in Sachen Jugendschutz mittlerweile aktiver, die Problematik sei aber dieselbe, so Haldimann. Bei Meta bleibt zudem abzuwarten, wie sich die neue US-Regierung auf regulierende Massnahmen auswirkt. Dass der Konzern in den USA Fakten-Checker abschafft, wie er im Januar bekannt gegeben hat, lädt kaum zu Optimismus ein.

Der stärkere Druck auf Anbieter, die intensivere Debatte um Gefahren: Sie spiegeln sich in Beispielen von Staaten, die neue Gesetze einführen. So etwa Australien, das Ende 2024 das strengste Social-Media-Gesetz weltweit verabschiedete. Es verbietet den Zugang für unter 16-Jährige und soll Ende 2025 in Kraft treten. Den Zugang für unter 14-Jährige untersagt seit diesem Jahr der US-Bundesstaat Florida.

Ein Handyverbot an Schulen? 

Die Social-Media-Plattformen selbst sicherer zu machen oder den Zugang von Minderjährigen auf ebendiese Plattformen zu begrenzen, ist ein Ansatz. Ein anderer, beim Gerät anzusetzen: Denn das Werkzeug, mit dem soziale Medien in der Regel genutzt werden, ist das Smartphone.

In vielen Ländern gibt es mittlerweile Verbote von Handys in Schulen. In Italien beispielsweise ist die Nutzung während des Unterrichts seit dem laufenden Schuljahr untersagt. Auch die Niederlande haben Handys seit letztem Jahr aus Klassenzimmern verbannt. In Frankreich gilt ein Verbot während der gesamten Schulzeit schon seit 2018. 

In der Schweiz haben die meisten Schulen Regelungen zur Nutzung. Ein flächendeckendes Handyverbot jedoch führte im Februar als eine der Ersten die Berner Gemeinde Köniz ein. Ähnliches hat die Stadt Zug ab nächstem Schuljahr vor. Dass Schweizerinnen und Schweizer ein Verbot an Schulen begrüs­sen, zeigt der Generationenbarometer 2024/25 des Berner Generationenhauses: 82 Prozent der Befragten sprachen sich tendenziell dafür aus. 

Statt über Verbote zu diskutieren, sollten wir Jugendlichen mehr Raum zum Mitwirken geben.

Petra Marty und Susanne Lüscher vom Verein Netphatie

Medienpsychologe Süss hin­gegen hält nicht viel von strikten Verboten. «Es ist wichtig, dass Jugendliche lernen, reflektiert mit dem Gerät umzugehen. Da scheint es mir angebrachter, Regeln auszuhandeln.» Verbote an Schulen, so glaubt er, führten eher dazu, dass Jugendliche unerlaubt das Areal verlassen, um ihr Gerät zu nutzen. Auch würden Jugendliche Süss zufolge wohl schnell auf ­andere Kanäle umsteigen, wenn beispielsweise Instagram erst ab 16 Jahren erlaubt wäre.

Ebenfalls skeptisch auf Gesetze blickt Jugendberater James Weiss. «Ich begrüsse aber handyfreie Zeiten an Schulen.» Er spreche bewusst nicht von Verboten. Aber er hoffe, dass Schulen und Lehrbetriebe noch mehr machten, «um Jugend­lichen bei den Schwierigkeiten und unendlichen Möglichkeiten dieses Geräts zur Seite zu stehen».

Jugendliche miteinbeziehen

Und was sagen diejenigen, die diese ganze Diskussion betrifft? Zwei, die das gut beantworten können, sind Petra Marty und Susanne Lüscher. Die Designerin und die schulische Heilpädagogin haben vor drei Jahren den Verein Net­pathie gegründet. Dies mit dem Ziel, Fachleute zu Themen wie Sicherheit und respektvoller Kommunikation im Netz zusammenzubringen, um neben Eltern und Schulen auch Kinder und Jugendliche zu unterstützen.

«Wir stellen immer wieder fest, wie wertvoll es ist, Jugendliche einzubeziehen und ihnen zuzuhören», sagt Marty. In Workshops, die sie mit Jugendlichen durchführen, seien sie oft beeindruckt, wie viel die Teens über Social Media wüssten und wie genau sie spürten, was ihnen guttue und was nicht.

Laut Fachleuten wissen viele junge Menschen durchaus mit den Herausforderungen der digitalen Welt umzugehen. (Bild: Christof Schürpf)

Fühlen sie sich etwa von Apps gestresst, löschen oder deaktivieren sie diese laut Lüscher und Marty auch mal von sich aus. Gerade bei älteren Teens seien zudem Gegenbewegungen spürbar. Viele störten sich an überhöhten Fitness- und Schönheitsidealen und an Bildern, auf denen nichts mehr echt sei.

In Workshops mit Eltern wiederum erleben Marty und Lüscher viel Unsicherheiten und Sorgen. «Doch unserer Erfahrung nach ist nicht alles so negativ, wie es teilweise dargestellt wird. Statt Monologe zu führen und über Verbote zu diskutieren, sollten wir Jugendlichen mehr Raum zum Mitwirken geben und sie frühzeitig begleiten.»

Medienkompetenz als A und O

Fakt ist: Die Risiken sozialer Medien sind zahlreich. Neben dem ständigen Sich-Vergleichen, den Filtern und manipulativen Mechanismen mit all ihren möglichen Folgen lauern zudem Gefahren wie Cybergrooming und -mobbing, Hate, Fake News, Verschwörungstheorien und das Risiko der Radikalisierung. Und als ob dies nicht reichte, liegt über allem die drohende Zuspitzung durch die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. 

Dass ein griffiger Jugendmedienschutz durch die Politik sicherzustellen ist, dass Anbieter eine Mitverantwortung für sichere digitale Räume haben, da sind sich Fachleute einig. Darüber hinaus fällt immer wieder der Begriff Medienkompetenz. «An ihr kommen wir nicht vorbei», so Yvonne Haldimann. «Zumal Regulierungen den Entwicklungen immer hinterherhinken.» Neben der Schule seien hier die Eltern gefragt. «Sie sollten ihr Kind Schritt für Schritt begleiten und anleiten, von klein auf.» 

Daniel Süss ist es nicht zuletzt wichtig, auf die mehrheitlich gute Balance bei der Mediennutzung von Jugendlichen in der Schweiz hinzuweisen. «Sie treffen nach wie vor am liebsten Freunde, treiben Sport oder gehen in die Stadt und in den Ausgang.» Natürlich sei das Smartphone dabei. Jugendliche seien aber nicht nur noch digital unterwegs, so Süss. «Sie bewegen sich vielmehr in einer hybriden Lebenswelt.»

Mirjam Oertli
ist freie Journalistin und Buchautorin («Wer auf dem Handy kein gratis Internet hat, ist tot!», «Jetzt stellen Sie doch das Kind mal ruhig!»). Sie ist Mutter von zwei Teenagern und einem Primarschulkind und lebt mit ihrer Familie in Luzern.

Alle Artikel von Mirjam Oertli

Mehr zum Thema Social Media

Social Media: Teenager-Mädchen filmt sich mit Kamera
Medien
«Fragen Sie Ihr Kind, was es in der virtuellen Welt mag»
Die Psychiaterin Susanne Walitza rät Eltern dazu, erst einmal mit ihrem Kind ins Gespräch zu kommen, wenn Insta und Tiktok überhandnehmen.
Legoland Deutschland Header
Advertorial
LEGOLAND® Deutschland 2025: kreativ, gemeinsam, unvergesslich
Seid dabei, wenn am 5. April das LEGOLAND® Deutschland Resort und der PEPPA PIG Park im bayerischen Günzburg in die neue Saison starten!
Social Media: Ein junges Mädchen mit einem Smartphone
Medienerziehung
«Social Media kann unglaublich manipulativ sein»
Effi, 16, würde Social Media frühestens ab dreizehn empfehlen und rät Eltern dazu, eine beschränkte Bildschirmzeit einzustellen.
Soziale Medien: Bub sitzt in Schule allein auf einer Bank und schaut in sein Smartphone
Medienerziehung
Wie kann ich meinen Sohn vor Gewaltinhalten schützen?
Tiktok, Insta, Snapchat: Soziale Medien wecken bei Eltern viele Ängste. Das sagen Fachleute zu den häufigsten Fragen und Befürchtungen.
Social Media: Zwei Mädchen machen Grimassen vor der Kamera
Medienerziehung
«Wir waren jung und hatten keine Ahnung»
Malinka, 16, hätte sich gewünscht, von ihren Eltern und der Schule besser auf den Umgang mit sozialen Medien vorbereitet zu werden.
Drei Kinder sitzen auf einer Treppe in der Schule und sprechen über Social Media.
Medien
«Es gibt Social-Media-Welten, die wie Safe Spaces sind»
Wie Leah (17), Vanessa (15) und Liam (11) soziale Medien wie Snapchat, TikTok und Instagram erleben, nutzen und kritisch hinterfragen.
Teenanger Mädchen mit Smartphone in der Hand spricht über soziale Medien.
Medien
«Ich könnte alles löschen, aber der Drang dazu ist nicht da»
Mara, 18, kann sich vorstellen, dass sie später einmal bereut, wie viel Zeit sie mit sozialen Medien zugebracht hat. Die coolen Seiten möchte die Schülerin aber auch nicht missen.
Soziale Medien: Jugendliche mit Handy
Medienerziehung
Wenn soziale Medien zum Problem werden
Soziale Medien bieten Entspannung, Unterhaltung und Spass. Sie bergen aber auch Suchtpotenzial. Hier finden Sie Rat und Hilfe.
Social Media: Unser Thema im April
Fritz+Fränzi
Social Media: Unser Thema im April
Soziale Netzwerke ziehen Jugendliche in ihren Bann – mit ungewissen Folgen. Wo liegen die Gefahren, wo das Potenzial? Und worauf sollten Eltern achten?
Soziale Medien: Teenagermädchen am Handy. Zeigt WhatsApp-Verlauf
Medienerziehung
«Manchmal wünsche ich mir die Welt von damals zurück»
Verena, 48, nervt sich vor allem über seichte Kurzvideos. Ganz verbieten will sie ihren Töchtern, 13, soziale Medien trotzdem nicht.
Kinderbilder im Netz: Eine Mutter fotografiert ihre Tochter
Medien
Kinderbilder im Netz: No-Go oder gar nicht so schlimm?
Warnende Stimmen fordern, Kinderbilder nicht im Internet zu zeigen. Doch haben wir nicht das Recht, schöne Momente mit anderen zu teilen?
Thomas Feibel Medienexperte
Medien
Social Media: Kinder schützen – aber wie?
Australien verbietet soziale Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Ist das ein tauglicher Weg? Fünf Fragen und Antworten.
Social Media: Mädchen tippt auf Smartphone
Medienerziehung
Social Media: «Ohne geht auch nicht»
Meret, 16, sind die Gefahren von sozialen Medien bewusst. Für sie ist entscheidend, in welchem Alter Kinder ein Smartphone erhalten. 
Social Media: Mädchen schaut ins Handy
Medienerziehung
«Mit 14 glaubte ich alles, was ich auf Tiktok sah»
Manyutha, 16, würde den Zugang zu Social Media erst ab 16 Jahren ermöglichen. Erst dann könnten Jugendliche verantwortungsbewusst damit umgehen. Vorher seien sie überfordert.
Cybergrooming: Die Gefahren im Netz
Erziehung
Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Cybergrooming
Tiktok, Instagram oder Onlinegames: Auf diesen Plattformen tummeln sich nicht nur ältere Kinder und Jugendliche – sondern auch Pädophile.
Zeit für Kinder: Psychologe Fabian Grolimund im Monatsinterview
Familienleben
«Kinder brauchen Eltern, die sich Zeit für sie nehmen»
Kinder- und Jugendpsychologe Fabian Grolimund über die grössten Herausforderungen heutiger Eltern – und wie sie damit klarkommen.
Ein gesundes Körperbild entwickeln: Ein Mädchen vor dem Spiegel
Entwicklung
So entwickeln Kinder ein gesundes Körperbild
Seinen Kindern ein positives Körperbild zu vermitteln, stellt Eltern vor Herausforderungen – die sie aber nicht scheuen sollten.
Thomas Feibel Medienexperte
Medien
Radikalisiert Social Media unsere Jugend?
Das Schwarz-Weiss-Denken auf Social Media schadet Kindern und Jugendlichen. Es schürt Konflikte und verstärkt Zukunftsängste.
Bild des Kindes im Netz: Ist das eine gute Idee?
Kindergarten
Kinderbilder im Netz – darauf sollten Eltern achten
Die Versuchung ist gross, den ersten Chindsgi-Tag des Nachwuchses zu fotografieren und zu posten. Nur: Ist das eine gute Idee?
Thomas Feibel Medienexperte
Familienleben
Wie digitale Medien die Kindheit transformieren
Weltweit haben das Smartphone und die sozialen Medien die Kindheit umgekrempelt. Das habe weitreichende Folgen, schreibt Autor Jonathan Haidt.
Onlinesucht-Experte Franz Eidenbenz über die Risiken der digitalen Medien für Kinder und Jugendliche.
Video
Gehen Kinder im digitalen Sog verloren?
Die Psychotherapeutin Sabine Brunner zeigt Wege auf, wie Eltern und Kinder trotz Trennung von Mutter und Vater eine Familie bleiben können.
Vergleiche: Wer kann was am besten?
Gesellschaft
Wer kann was am besten?
Sei es in der Schule oder auf Social Media: Kinder und Jugendliche vergleichen sich ständig. Sie gewinnen damit wichtige Informationen über sich selbst.
2403 ich sehe toll aus im internet swisscom michael inalbon filter tiktok hg
Medien
Ich sehe super aus – im Netz
In den sozialen Medien wie Tiktok findet ein Schönheits-Wettrüsten statt. Wir müssen mit unserem Kind darüber reden, was das mit uns macht.
Lernen
Achtung, Fälschung!
Fake News oder glaubwürdige Quelle? Oft ist die Unterscheidung gar nicht so leicht. Wie man Nachrichten im Internet kritisch hinterfragt.
Fritz+Fränzi
Unsere Highlights 2023 bei Fritz+Fränzi Online
Ein neuer Social-Media-Auftritt, tiefgründige Texte, wachsende User-Zahlen und ein Newsletter, der durch die Decke geht: Das Online-Team von Fritz+Fränzi hat Grund zu feiern.