Social Media: Kinder schützen – aber wie?
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Social Media: Kinder schützen – aber wie?

Lesedauer: 4 Minuten

Australien verbietet soziale Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Ist das ein tauglicher Weg? Sollten wir nachziehen? Fünf Fragen und Antworten.

Text: Thomas Feibel
Illustration: Petra Duvkova / Die Illustratoren

Australien hat es mit bizarren Gesetzen immer wieder in die Schlagzeilen geschafft. So ist in bestimmten Teilen des Kontinents der Handel mit Piraten verboten oder der Besitz von Kartoffeln mit 50 Kilogramm streng reguliert; in anhaltenden Dürreperioden ist der Bevölkerung untersagt, künstlich Regenwolken zu erzeugen. Vermutlich belächeln selbst die Aussies diese juristischen Kapriolen.

Doch was die australische Regierung Ende 2024 beschlossen hat, ist todernst: Mit 102 zu 13 Stimmen wurde vom Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Kindern und Jugend­lichen unter 16 Jahren den Zugang zu Social Media verwehrt. Wie ist dieser radikale Schritt einzuschätzen? Fragen und Antworten.

1. Wie soll dieses Verbot technisch ablaufen?

Das weiss niemand. Bislang ist jedenfalls nicht ersichtlich, wie Altersverifizierung und datenschutzrechtliche Aspekte technisch umgesetzt werden sollen. Die aus­tralische Regierung hat den Ball an die Betreiber sozialer Netzwerke zurückgespielt. Ihnen bleibt nun ein knappes Jahr Zeit, die Vorgabe umzusetzen.

Wie wirksam das allerdings sein wird, ist zweifelhaft. Mit der sogenannten VPN-Technologie, die den eigenen Standort verbirgt und die Internetverbindung anonymisiert, lassen sich derartige Verbote kinderleicht umgehen. Wer also unter 16 Jahren ist und unbedingt zu Tiktok oder Instagram will, wird mühelos einen Weg finden. 

Ein leicht zu umgehendes Verbot nützt niemandem. Stattdessen müssen die Plattform-Giganten staatlich stärker reguliert werden.

2. Was finden Kinder und Jugendliche an Social Media?

Soziale Medien sind ein fester Bestandteil der Kinder- und Jugendkultur. «Neun von zehn Jugendlichen nutzen soziale Netzwerke täglich oder mehrmals pro Woche», bestätigt auch die aktuelle James-Studie 2024. Mit Social Media probieren Kinder sich selbst und ihre Wirkung auf andere aus auf ihrer Suche nach einer eigenen Identität. Auch halten sie so Kontakt zu Gleich­altrigen oder folgen den unterschiedlichsten Idolen.

Wer auf Selbstdarstellung verzichtet, kann trotzdem mit Liken, Teilen und Kommentieren aktiv teilnehmen. Langweilig wird es nie, da die Feeds der Netzwerke kein Ende kennen. Ach ja, und Spass macht die Beschäftigung mit sozialen Medien auch noch, zumal die Nutzung das Belohnungssystem im Gehirn anspricht.

3. Welche negativen Einflüsse hat Social Media auf Kinder?

Die meisten Netzwerke sind offiziell ab 13 Jahren erlaubt. Aber niemand kontrolliert die Eingaben, weil die Betreiber kein Interesse daran haben. Sie profitieren besonders stark von der jungen Zielgruppe, weil diese die höchste Verweildauer in ihren Netzwerken aufweist. Altersverifizierungen würden nur unbequeme Hürden darstellen, die Einnahmen und Reichweite schmälern. Es ist also gewollt, dass sich Kinder und Jugendliche nur schwer aus dem digitalen Mahlstrom lösen können. 

Gemäss einer Umfrage würden rund 80 Prozent der Eltern in der Schweiz einer gesetzlichen Initiative wie in Australien zustimmen.

Der Aufenthalt in sozialen Medien wie Tiktok löst auch viele schlechte Gefühle aus: etwa Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, Scham, Neid oder Eifersucht. Kinder kommen hier viel zu früh mit Hass, Lügen, Beleidigungen oder Pädophilie in Berührung. Das geht zulasten der kindlichen Unbeschwertheit. Darum wird auch in anderen Teilen der Welt über Reglementierungen nachgedacht.

Frankreich hat bereits 2023 die Nutzung sozialer Medien von 13 auf 15 Jahre angehoben, andere Länder wägen noch ab. Deutschsprachige Regionen verweisen auf den Digital Service Act der EU, der die Betreiber sozialer Netzwerke zu mehr Verantwortung veranlassen soll. Nach einer Umfrage des Medienhauses Tamedia würden rund 80 Prozent der Eltern in der Schweiz einer gesetzlichen Initiative wie in Australien zustimmen.

4. Was spricht gegen ein staatliches Verbot?

Wer seine Kinder vor sozialen Medien schützen will, kann es ihnen schon jetzt untersagen – ohne staatliche Vorgaben. Das ist aber mühsam, konfliktreich und äus­serst schwer umzusetzen. Ein staatliches Verbot wäre somit eine Entlastung. Andererseits könnte dies dahingehend missinterpretiert werden, dass Eltern nicht mehr länger für den Umgang ihrer Kinder mit Social Media verantwortlich sind.

Fachleute geben zudem zu bedenken, dass Kinder und Jugendliche dann in dubiose Internetzonen wie etwa das Darknet abwandern könnten, die wir noch schlechter überschauen.

5. Brauchen wir wirklich ein staatliches Verbot wie in Australien?

Ein solches Verbot löst keineswegs die grundlegenden Probleme, die diese Plattformen verursachen. Ursprünglich wurden soziale Medien dazu erschaffen, Menschen miteinander zu verbinden. Seit sie vor allem auf Gewinnmaximierung getrimmt wurden, haben sie ihre zweifelhaften Methoden immer weiterentwickelt. So bedienen sie sich psychologischer und technologischer Strategien, um die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange zu binden. 

Wir wissen, dass kaum etwas die Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft dermassen verstärkt wie soziale Medien. Wir wissen, dass es ihnen durch gut geölte Filterblasen gelungen ist, das Misstrauen gegenüber klassischen Medien zu säen. Wir wissen auch, dass diese Konzerne viel zu wenig gegen Hatespeech, Fake News, Social Bots und Gewalt unternehmen.

Kinder sollten präventiv einen guten und gesunden Umgang mit sozialen Medien lernen können und dazu befähigt werden.

Der Grund: Wut und Aufregung bilden das Elixier, welches das Geld in ihre Kassen spült. Darum hat Meta-Chef Mark Zuckerberg kürzlich in den USA die Fakten­checker entlassen. Die Community soll Kontroversen künftig in den Kommentaren selbst regeln. Es wird also ein Hauen und Stechen geben. Wer das für schädlich hält, muss sich Zensur vorwerfen lassen.

Kaum ein Staat geht heute entschlossen genug gegen diese unlauteren Praktiken vor. Die Angst, dass Plattformen wie X und andere die öffentliche Meinung gegen die Regierung mobilisieren könnten, ist oft zu gross. Dabei hätten Regierungen allen Grund zu handeln, denn diese unregulierten Netzwerke sägen beständig an den dünnen Stuhlbeinen der Demokratie.

Ein Verbot hätte negative Folgen

Fazit: Die sozialen Medien für Kinder unter 16 Jahren zu verbieten, ist zweifellos ein wichtiges politisches Signal an die digitalen Netzwerkbetreiber, die sich nur schwer regulieren lassen. Und dass Plattformen wie Tiktok schweren Schaden bei jungen Menschen anrichten können, ist weitgehend unbestritten.

Für Kinder und Jugendliche hätte ein solches Verbot hierzulande jedoch negative Folgen. Es widerspräche nicht nur den Kinderrechten, die ihnen freien Zugang zu Informationen garantieren, sondern würde auch die Frage aufwerfen, über welche Kanäle sie künftig an für sie relevante Informationen gelangen sollen. Und was nützt ein Verbot, das leicht zu umgehen ist, wenn Kinder weiterhin in einer überreizten Gesellschaft aufwachsen, die von Skandalisierung, Schwarz-Weiss-Denken und Manipulation der sozialen Medien geprägt bleibt? 

Wir brauchen daher zwei Dinge: Erstens sollten Kinder präventiv einen guten und gesunden Umgang mit sozialen Medien lernen können und dazu befähigt werden. Zweitens brauchen wir stärkere, politisch verbindliche Rahmenbedingungen. Der Staat muss alle seine Bürgerinnen und Bürger, Kinder wie Erwachsene, wirksamer vor den perfiden Mechanismen und Geschäftsmodellen der Plattform-Giganten schützen.

Thomas Feibel
ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Alle Artikel von Thomas Feibel

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